Die Oscars stehen ins Haus: Je fünf Filme buhlen am 25. April in den beiden Trickfilmkategorien (bester Animationsfilm und bester animierter Kurzfilm) um die Goldstatue. Vieles deutet darauf hin, dass das Rennen schon gelaufen ist. Oder gibt es doch noch eine Überraschung? Wir nehmen die Oscar-Animationsfilme genauer unter die Lupe.
Bester Animationsfilm
- «Onward»
- «Over the Moon»
- «A Shaun the Sheep Movie: Farmageddon»
- «Soul»
- «Wolfwalkers»
Gleich drei Nominationen regnete es für den Pixar-Musik-Seelentrip «Soul», in zwei Kategorien geht der Film als klarer Favorit ins Rennen: So wurde die Musik zum Film von Trent Reznor, Atticus Ross und Jon Batiste bereits bei den Golden Globes ausgezeichnet, und das Trio darf sich auch grosse Hoffnungen auf das Goldmännchen der Academy machen. Praktisch gesetzt ist auch der Oscar für den besten Animationsfilm: Regisseur Pete Docter wird für den Film nach «Up» (2009) und «Inside Out» (2015) wohl seinen dritten Oscar gewinnen.
Wie schon in «Inside Out» wird auch in «Soul» ein abstraktes Konzept beleuchtet: Docter nimmt uns mit auf eine Reise in die Welt der Seelen und der Kreativität. Und das scheint aufzugehen: Der Film, der in der Maximum-Cinema-Kritik durchfiel, scheint in der restlichen Kinolandschaft umso mehr auf Gegenliebe zu stossen und punktet mit seinem jazzigen Soundtrack und einer verspielten Geschichte. Mit einem Sieg wäre nicht nur Docter ein Oscar-Wiederholungstäter: Für Pixar wäre es der elfte Oscar in den 20 Jahren, seit es die Kategorie des besten Animationsfilms gibt. Für Mutterkonzern Disney wäre es gar das 14. Goldmännchen in dieser Kategorie: Nur sechsmal ging das Studio bisher leer aus.
«Docter nimmt uns in ‹Soul› mit auf eine Reise in die Welt der Seelen und der Kreativität. Und das scheint aufzugehen: Der Film, der in der Maximum-Cinema-Kritik durchfiel, scheint in der restlichen Kinolandschaft umso mehr auf Gegenliebe zu stossen und punktet mit seinem jazzigen Soundtrack und einer verspielten Geschichte.»
Am gefährlichsten könnte sich Pixar selber werden: Mit «Onward» von Dan Scanlon hat das Animationsstudio noch einen zweiten Film im Rennen. Das berührende Roadmovie über zwei Elfenbrüder ist zwar vergleichsweise chancenlos, ging der Film doch mit seinem Release just zum Beginn der Corona-Pandemie im Frühling komplett unter. Scanlons Film könnte «Soul» aber durch sogenanntes Vote-Splitting – also in diesem Fall das Aufteilen von Disney- und Pixar-freundlichen Stimmen auf die beiden Filme – ein Bein stellen. Von solch einem Szenario könnte ein dritter Film profitieren. Da es aber keinen anderen grossen Konkurrenten für «Soul» gibt und auch «Onward» eine vergleichsweise kleine Fanbase hat, ist das eher unwahrscheinlich.
Dass Disney die Oscars dominiert, zeigt auch das Beispiel «Over the Moon», der neue Film des chinesischen Pearl Studios, der auf Netflix erschienen ist. Pearl hiess bis 2018 noch Oriental DreamWorks und war ein chinesisch-amerikanisches Joint Venture und als solches der chinesische Ableger von DreamWorks («Shrek», «Kung Fu Panda»), bevor das traditionsreiche Studio von Universal aufgekauft wurde. Die chinesischen Investor*innen übernahmen daraufhin die Mehrheit an Oriental DreamWorks und produzieren nun als Pearl eigene Animationsfilme.
Für «Over the Moon» holte das Studio mit Glen Keane und John Kahrs für Regie respektive Co-Regie zwei frühere Disney-Legenden an Bord. Keane ist der Charakterdesigner und Animator zahlreicher Disney-Held*innen der Neunziger – darunter Tarzan, das Biest und Ariel – und eine Ikone des Zeichentrickfilms, die schon 2018 bei den Oscars von seiner Bekanntheit profitieren konnte und sich für den mittelmässigen Kurzfilm «Dear Basketball» den Preis für den besten Animationskurzfilm sicherte. Auch Kahrs ist Oscar-Veteran: Für den animierten Kurzfilm «Paperman» gewann er 2013 die Goldstatue.
Mit «Over the Moon» wollen die beiden einer chinesischen Legende über eine Mondprinzessin neuen Schwung verleihen, doch der Film ist ein chaotisches und inkohärentes Durcheinander, das lustlos ein Disney-Klischee nach dem anderen abklappert – inklusive anstrengender Gesangseinlagen. Da hilft es dem Film auch nicht, dass er auf Netflix veröffentlicht wurde und so vermutlich ein grösseres Publikum erreicht hat als die Konkurrenz.
Für die britischen Aardman-Studios, bekannt für ihre Knetanimationsabenteuer («Wallace & Gromit», «Chicken Run»), dürfte es an den Oscars ein Déjà-vu der unangenehmen Sorte geben: 2015 war man mit «Shaun the Sheep» für den Preis nominiert, musste sich jedoch «Inside Out» und dessen Regisseur Pete Docter geschlagen geben. Nun angelte sich auch die Fortsetzung «A Shaun the Sheep Movie: Farmageddon» eher überraschend eine Oscarnomination – und abermals sieht es danach aus, als würde Pete Docter den Schafen die Suppe versalzen. Mit seiner kindlich-drolligen Science-Fiction-Story ohne wirklichen Tiefgang ist der Schaf-Film wirklich keine ernstzunehmende Konkurrenz für Pixars «Soul».
«Vier Filme, vier Nominationen – diese beeindruckende Marke weist das irische Studio Cartoon Saloon vor, das mit ‹Wolfwalkers› ins Rennen geht. Das fantastische Abenteuer zweier ungleicher Mädchen überzeugt mit seinem unkonventionellen und verspielten Stil, dürfte dem Studio aber wohl erneut keinen Oscar bescheren.»
Vier Filme, vier Nominationen – diese beeindruckende Marke weist wiederum das irische Studio Cartoon Saloon vor, das mit «Wolfwalkers» ins Rennen geht. Das fantastische Abenteuer zweier ungleicher Mädchen überzeugt mit seinem unkonventionellen und verspielten Stil, dürfte dem Studio aber wohl erneut keinen Oscar bescheren. Zum einen kann man das der relativen Unbekanntheit des Studios sowie der harten Konkurrenz von «Soul» zuschreiben. Zum anderen hilft es dem Film wohl kaum, dass er auf Apple TV+ erschienen ist, der vom Tech-Giganten noch viel zu stiefmütterlich behandelten Plattform, wo ihn kaum jemand gesehen haben dürfte. Auch wenn die Filme über andere Wege zu den Academy-Mitgliedern finden, hilft eine derartige Sichtbarkeit enorm. Und so dürfte für Cartoon Saloon wohl auch im vierten Anlauf gelten: Dabei sein ist alles.
Bester animierter Kurzfilm
- «Burrow»
- «Genius Loci»
- «If Anything Happens I Love You»
- «Opera»
- «Yes-People»
Im Vorfeld war das Rennen um den Oscar für den besten animierten Kurzfilm noch relativ offen, doch das änderte sich mit der Verkündung der Nominationen. Nun hat sich ein klarer Favorit hervorgetan: «If Anything Happens I Love You» ist ein aufwühlendes Drama über ein Paar, das am Verlust der Tochter zu zerbrechen droht. Der Film von Michael Govier und «Toy Story 4»-Schreiberling Will McCormack greift ein relevantes und politisch brisantes Thema auf und präsentiert das mit maximaler Plumpheit und penetrantem Druck auf die Tränendrüse. Mit Erfolg: Der Film eroberte Netflix im Sturm und löste sogar eine TikTok-Challenge aus, bei der sich Leute vor und nach dem Schauen des Films aufnahmen. #emotions.
Dagegen kommen nur harte Geschütze an – und diese wurden von der Academy im Vorfeld gnadenlos ausgemerzt. Gleich beide grossen Mitfavoriten von «If Anything Happens I Love You» wurden überraschend nicht nominiert: Im Fall des wunderschönen «Kapaemahu», der einen hawaiianischen Mythos über heilende Steine aufgreift, ist das ungemein schade – im Fall von «Out», in dem Pixar einen schwulen jungen Mann in einen Hund verwandelt, geht das hingegen völlig in Ordnung.
«‹Burrow› könnte tatsächlich noch vorne mitmischen, denn wie ‹If Anything Happens I Love You› hat der Film einen entscheidenden Vorteil gegenüber der Konkurrenz: Er ist dadurch, dass er auf Disney+ lief, für ein breites Publikum zugänglich.»
«Out» dürfte vermutlich das Opfer des anderen Pixar-Kurzfilms geworden sein, der sich durchsetzen konnte: «Burrow» von Madeline Sharafian – der einzigen nominierten Regisseurin in beiden Kategorien in diesem Jahr. Ihr gegenüber stehen insgesamt 17 männliche Regisseure und Co-Regisseure. Auch wenn die Oscars dieses Jahr in vielerlei Hinsicht Hoffnung machten: Der Weg zu mehr Diversität ist noch lang. «Burrow» hätte eigentlich in den Kinos der Vorfilm von «Soul» sein sollen, wurde dann aber auf Disney+ veröffentlicht. In diesem 2D-Animationsfilm will ein kleines Häschen nur seine Ruhe, doch alle anderen Tiere wollen unbedingt, dass es ihnen Gesellschaft leistet, weil: «Gemeinsam ist man weniger einsam», oder sonst irgendein inspirierender Blödsinn. «Burrow» ist lieb gemeint und will knuffig sein, ist letzten Endes in seiner Erzählung aber vor allem toxisch. «Burrow» könnte tatsächlich aber noch vorne mitmischen, denn wie «If Anything Happens I Love You» hat der Film einen entscheidenden Vorteil gegenüber der Konkurrenz: Er ist dadurch, dass er auf Disney+ lief, für ein breites Publikum zugänglich. Da sich die Oscar-Voters in den vergangenen Jahren dem Zeichentrickfilm gegenüber wiederholt ignorant zeigten, ist eine einfache Verfügbarkeit und Zugänglichkeit in diesem Rennen von Vorteil.
Eher chancenlos ist «Opera» von Erick Oh, einem ehemaligen Pixar-Animator. Oh schafft eine Hieronymus-Bosch-eske Trickfilminstallation über Hierarchie, Kasten und Rollen in der Gesellschaft, die vor Metaphern nur so strotzt. «Opera» ist voller Details, die auf kleinen Bildschirmen verloren gehen dürften. Es wäre überraschend, wenn sich dieser Film durchsetzt – doch wenn eine Kategorie für Überraschungen gut ist, dann diese.
Auch «Genius Loci», das sehr poetische Werk von Adrien Merigeau, dürfte leer ausgehen. Der Film über eine junge Frau auf der Suche nach Zugehörigkeit entwickelt einen einzigartigen Sog, nicht zuletzt dank der wunderschönen Bildern des Illustrators Brecht Evens. Der Academy ist der sehr komplexe Film aber wohl zu wirr. Für Schmunzler sorgt hingegen «Yes-People» des isländischen Regisseurs Gísli Darri Halldórsson, der jedoch viel zu wenig aus seinem absurden Konzept – dem Alltag von Menschen, die in vielen Varianten nur «Ja» sagen – herausholt.
Die Disney-Dominanz geht weiter
Mit viel Glück sichert sich Disney in diesem Jahr gleich in beiden Kategorien den Oscar – völlig ausgeschlossen ist das nicht. Ein solcher Coup gelang Disney zuletzt 2017, als sich «Zootopia» und der Pixar-Kurzfilm «Piper» die beiden Oscars schnappten. Doch wahrscheinlicher ist, dass sich der Mauskonzern lediglich in der Hauptkategorie durchsetzt und sich mit «Soul» den Oscar für den besten Animationsfilm sichert. Immerhin kann man sich damit trösten, dass auch der wahrscheinliche Gewinnerfilm in der Kategorie des besten animierten Kurzfilms, «If Anything Happens I Love You», die Handschrift des Branchenkrösus trägt. Überhaupt ist die Disney-Dominanz nicht von der Hand zu weisen: Nicht nur stellt das Studio von den zehn nominierten Filmen schon selber drei – bei drei weiteren sassen zudem ehemalige Mitarbeiter von Disney auf dem Regiestuhl. Egal, wer letzten Endes gewinnt: Die Animations-Oscars riechen auch 2021 sehr nach Maus.
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Titelbild aus «If Anything Happens I Love You» / © 2020 Oh Good Productions / Netflix
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[…] Malcolm D. Lee. Zudem habe ich noch einige Hintergrundartikel verfasst, etwa zum Fantoche, zu den oscarnominierten Animationsfilmen, oder – mein Lieblingstext für Maximum Cinema – zu der Verbindung zwischen The Mandalorian und […]