Auf Ayrton Senna und Amy Winehouse folgt Diego Maradona: Regisseur Asif Kapadia widmet dem argentinischen Jahrhundertfussballer eines seiner gefeierten Dokumentarfilmporträts. Dieses ist einmal mehr informativ und tadellos inszeniert – doch man würde Kapadia etwas mehr Mut zur Innovation wünschen.
«Diego Maradona» ist ein Novum in der Karriere von Asif Kapadia: Der Regisseur, der vor gut einem Jahrzehnt vom Fiction- zum Non-Fiction-Film umsattelte und zum oscargekrönten Prestige-Dokumentaristen avancierte, erzählt hier erstmals die Geschichte einer noch lebenden Person. Anders als der 1994 tödlich verunfallte Formel-1-Fahrer Ayrton Senna («Senna») und die 2011 verstorbene Soul-Diva Amy Winehouse («Amy»), ist Diego Maradona, die skandalumwitterte Fussballikone schlechthin, in der Lage, zu Kapadias minutiöser Nacherzählung seines Lebens Stellung zu nehmen.
Und dieses Leben hat es in sich. Im Schnelldurchlauf wird erzählt, wie Maradona als Kind in den Armenvierteln von Buenos Aires von Talentscouts entdeckt wird, 1982 für seinen Torriecher und seine Spielintelligenz mit einem Transfer zum grossen FC Barcelona belohnt wird und nur zwei Jahre später – nach seiner Beteiligung an einer Massenschlägerei auf dem Spielfeld – an den vergleichsweise ruhmlosen SSC Napoli verkauft wird. Dass der italienische Verein, beheimatet in einer der ärmsten Städte Europas, diesen Coup mit Mafiageldern finanzierte, war bereits damals ein offenes Geheimnis.
So begannen die sieben turbulenten Jahre, die Maradona schliesslich in Neapel verbringen sollte – und die bei Kapadia im Zentrum stehen. Zu vier nationalen und einem europäischen Titel führt er seine Mannschaft in dieser Zeit, steigt auf zu einem Stadtheiligen ehrenhalber und gewinnt nebenbei auch noch die Weltmeisterschaft mit Argentinien. Doch Genie und Wahnsinn liegen bei Diego nahe beieinander, nicht nur in jenem berüchtigten Spiel gegen England, in dem er mit der «Hand Gottes» erst ein illegitimes Tor erzielte, nur um zwei Minuten danach einen atemberaubenden Sololauf vom Stapel zu lassen, der später zum «Tor des Jahrhunderts» gekürt wurde. Immer wieder wird die Magie auf dem Platz überschattet von Mafia-Verstrickungen, Drogen-Eskapaden, unehelichen Kindern und einer Arroganz, die Maradona pünktlich zur WM 1990 in Italien die Liebe «seiner» Stadt kostet.
«Diese Fülle an Eindrücken wird zu einem spannenden Narrativ verdichtet, anhand dessen sich nachgeborene Fussballfans einen willkommenen Überblick über das Phänomen Maradona verschaffen können.»
Kapadia schöpft in seiner immersiven Rekonstruktion der sportlichen Blütezeit Maradonas aus einem Fundus von über 500 Stunden Filmmaterial: Neben Match-Dokumenten sind intime Amateuraufnahmen, rare Blicke hinter die Kulissen der Fussballwelt an der Schwelle zur Moderne und kuriose Momente aus dem italienischen Fernsehen der Achtzigerjahre zu sehen. Wie schon in «Senna» und «Amy» wird diese Fülle an Eindrücken zu einem spannenden Narrativ verdichtet, anhand dessen sich nicht zuletzt nachgeborene Fussballfans einen willkommenen Überblick über das Phänomen Maradona verschaffen können.
«Letztlich ist es irrelevant, dass der Protagonist dieses Films noch lebt.»
Gleichzeitig ist Kapadias Kino aber immer noch eines der absoluten, beinahe schon identitätslosen Funktionalität. Maradona mag sich hie und da zu den zahlreichen anderen Erzählstimmen dazugesellen, doch letztlich ist es irrelevant, dass der Protagonist dieses Films noch lebt – der dramaturgische Bogen, den Kapadia für Maradona spannt, ist im Grossen und Ganzen derselbe, den er bereits für Senna und Winehouse erwirkte. Wie seine Vorgänger ist auch «Diego Maradona» ein kompetent gemachtes Porträt über die Tücken des Ruhms – niemals weniger als lehrreich, aber eben auch selten mehr als das.
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Kinostart Deutschschweiz: 5.9.2019
Filmfakten: «Diego Maradona» / Regie: Asif Kapadia / Mit: Diego Maradona / UK / 130 Minuten
Bild- und Trailerquelle: DCM
Wer schon immer einen detaillierten Blick hinter die Kulissen von Diego Maradonas Napoli-Abenteuer werfen wollte, ist hier an der richtigen Adresse. Innovatives Doku-Kino sieht aber anders aus.
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