Eine frustrierte Supermarktangestellte und ein gelangweilter Buchhalter züchten ein Rennpferd. Das Dorf hilft. Nein, das ist keiner der algorithmisch errechneten Plots des Schweizer-Film-Generators. Es ist die Prämisse von Euros Lyns faktenbasiertem Feelgood-Film «Dream Horse», einer halbgaren Klischeeparade sondergleichen.
Wäre die Geschichte des Rennpferdes Dream Alliance nicht tatsächlich passiert, hätte man sie fürs Kino erfinden müssen. Anfang 2000er Jahre erfuhr die ehemalige Hunde- und Taubenzüchterin Janet Vokes in einem Pub vom Steuerberater Howard Davies von den Freuden der Rennpferdzucht – und schritt sogleich zur Tat: Für gerade einmal 350 Pfund erstand sie eine Stute, die 2001 in einem zum Stall umfunktionierten Schrebergarten das Fohlen Dream Alliance zur Welt brachte. Um dessen Training zum Rennpferd bezahlen zu können, organisierten Vokes und Davies ein Syndikat, in das 23 Leute aus der Umgebung wöchentlich zehn Pfund einzahlten. Die Investition fruchtete: Dream Alliance avancierte zum Shootingstar der walisischen Pferderennszene.
«Wäre die Geschichte des Rennpferdes Dream Alliance nicht tatsächlich passiert, hätte man sie fürs Kino erfinden müssen.»
Vokes, Davies und ihr Pferd wurden schon 2015 in der Dokumentation «Dark Horse: The Incredible True Story of Dream Alliance» filmisch porträtiert; doch das reicht für so eine bemerkenswerte Aussenseitergeschichte natürlich nicht. Entsprechend dick tragen Regisseur Euros Lyn und Drehbuchautor Neil McKay, beides Veteranen des britischen Fernsehens, in ihrer fiktionalisierten Version «Dream Horse» auf.
Man nehme: ein verarmtes südwalisisches Dorf, eine resolute, aber verletzliche Jan Vokes (gespielt von Toni Collette), einen grossspurigen Howard Davies mit einem Herz aus Gold (Damian Lews), ein paar hemdsärmelige Syndikats-Nebenfiguren mit lustigen Ticks wie bürokratischer Überkorrektheit oder akuter Alkoholsucht, und ein treuherziges Pferd, das mit seinen aussergewöhnlichen Exploits auf der Rennbahn noch die grössten Zweifler*innen in Ekstase versetzt. Dann noch das Etikett «Based on a true story» obendrauf, und voilà: Fertig ist der am Reissbrett entstandene Publikumsliebling.
Zugegeben, es gibt verwerflichere Strategien, um 113 Minuten Film zu füllen; und «Dream Horse» ist dermassen zuckersüss angerichtet, dass das aus schon hundertmal gesehenen Versatzstücken zusammengepappte Leinwandgeschehen mitunter sogar angenehm einlullend wirkt. Man könnte sich wahrlich Schlimmeres vorstellen, als in einem gemütlichen Kinosessel zu sitzen und einer Horde stereotyper Figurenskizzen beim pferdebedingten Freudentaumel zuzuschauen.
«Nicht nur ist praktisch jeder Konflikt ein abgedroschenes Drama-Klischee, das inzwischen sogar in Parodieform altbacken wirkt: Die Lösung jedes einzelnen dieser Probleme lässt sich letztlich auf den geradezu messianischen Dream Alliance zurückführen.»
Doch je länger das Ganze dauert, desto eklatanter wird, mit wie wenig narrativer und emotionaler Substanz Lyn und McKay hier operieren. Von der Ehe- und Identitätskrise über entfremdete oder gar tote Eltern bis hin zum scheinbar fatalen Reitunfall – nicht nur ist praktisch jeder Konflikt ein abgedroschenes Drama-Klischee, das inzwischen sogar in Parodieform altbacken wirkt: Die Lösung jedes einzelnen dieser Probleme lässt sich letztlich auf den geradezu messianischen Dream Alliance zurückführen.
Zudem führt die für Pferderennsport-Filme eher ungewöhnliche Erzählperspektive zu mehreren unfreiwillig komischen Momenten. Anders als in Werken wie «Phar Lap» (1983) oder «Seabiscuit» (2003) liegt hier der Fokus nicht auf Jockeys und Pferdetrainer*innen, sondern auf den Leuten, die von den Rennen profitieren: den Besitzer*innen und Wettenden. Gerade Damian Lewis kommt als Howard Davies wiederholt in die undankbare Situation, dass er seiner Film-Ehefrau (Joanna Page) mit Verzweiflung in der Stimme versichern muss, «dass es dieses Mal anders wird als beim letzten Mal», als seine Pferdespielchen die Familie schier in den Ruin trieben. Was in jedem anderen Film ein unangenehmer Einblick in die pathologische Selbsttäuschung eines Spielsüchtigen wäre, wird hier, nach der internen Logik von «Dream Horse», zum moralisch richtigen Verhalten. Was bildet sich Mrs. Davies auch ein, das finanzielle Überleben ihrer Familie nicht von einem dahergelaufenen Gaul abhängig machen zu wollen? Was für eine Spielverderberin.
«Lyn und McKay belassen es beim fantasielosen, bisweilen widersinnigen Wiederkäuen.»
Ja, «Dream Horse» war dafür prädestiniert, ein formelhaftes Stück seichter Sommerunterhaltung zu sein. Auch solche Filme können durchaus ihren Reiz haben – wenn sie die bekannten Strukturen kompetent einzusetzen wissen. Lyn und McKay belassen es beim fantasielosen, bisweilen widersinnigen Wiederkäuen.
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Kinostart Deutschschweiz: 12.8.2021
Filmfakten: «Dream Horse» / Regie: Euros Lyn / Mit: Toni Collette, Damian Lewis, Owen Teale, Joanna Page, Nicholas Farrell, Siân Phillips, Karl Johnson, Peter Davidson, Steffan Rhodri, Anthony O’Donnell / USA, Grossbritannien / 113 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © 2021 Impuls Pictures AG
«Dream Horse» verspricht kitschig-inspirierendes Pferderennkino im malerischen Wales. Dieses Versprechen hält er, nur leider ist das Ganze viel zu klischiert und inkohärent erzählt.
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