Die Komödie «Dumb Money» wandelt auf den Spuren von «The Big Short» und erzählt die absurde Geschichte der Underdog-Aktie GameStop, die 2021 die US-Finanzwelt in ihren Grundfesten erschütterte. Doch so antielitär sich der neue Film von «I, Tonya»-Regisseur Craig Gillespie auch geben mag, er ist letztlich vor allem etwas: ein zynischer Werbespot.
Im Januar 2021 sorgte eine kuriose Wall-Street-Geschichte für internationale Schlagzeilen: Der Börsenkurs des geschäftlich unter Druck geratenen US-Videospielhändlers GameStop kletterte innert weniger Wochen von rund 20 Dollar pro Aktie auf fast 500 Dollar, angekurbelt durch einen Run von Kleinanleger*innen ohne nennenswerte Börsenerfahrung.
Es war ein ökonomisches Lauffeuer, wie es nur im Internetzeitalter hätte ausbrechen können: Als Brandherde wurden rasch der YouTube-Kanal des Finanz-Influencers Keith Gill (alias Roaring Kitty und DeepFuckingValue) und das Reddit-Forum r/WallStreetBets identifiziert. «Memestock» – ein Begriff für Underdog-Aktien, die dank viralen Hypes wie ein Internetmeme an Beliebtheit gewinnen – sicherte sich quasi über Nacht einen Platz im Vokabular unzähliger Broker*innen.
«‹Memestock› – ein Begriff für Underdog-Aktien, die dank viralen Hypes wie ein Internetmeme an Beliebtheit gewinnen – sicherte sich quasi über Nacht einen Platz im Vokabular unzähliger Broker*innen.»
Und die Episode hatte auch darüber hinaus diverse Nachspiele. Während einige der Börsenneulinge mit dem rechtzeitigen Verkauf ihrer Aktien kleinere und grössere Vermögen machten, verloren andere nach dem unausweichlichen Absacken des Kurses ihr investiertes Geld. Der Hedgefonds Melvin Capital erlitt Schiffbruch, nachdem er sich mit Leerverkäufen von GameStop-Aktien – dem Verkauf geliehener Anteile, bei dem die verkaufende Partei vom späteren Wertverlust der Anteile profitiert – verspekuliert hatte, was wiederum die grösseren Player im Wall-Street-Universum in Alarmbereitschaft versetzte. Die bei den Kleinanleger*innen beliebte Börsen-App Robinhood wurde aufgrund ihrer Finanzierungsstruktur durch den Run an den Rand des Bankrotts getrieben.
Auf Reddit bildete sich im Anschluss an die Ereignisse vom Januar 2021 indes ein veritabler Verschwörungskult, der bis heute am Glauben festhält, dass die Causa GameStop nur ein erstes kleines Scharmützel in einem kataklysmischen Krieg zwischen rechtschaffenen Internet-Krieger*innen und den dunklen Mächten des globalen Finanzsystems gewesen sei.
Dass dieser von Memekultur durchzogene Börsenwahnsinn für Hollywood attraktiv ist, liegt auf der Hand; und Non-Fiction-Autor Ben Mezrich – dessen Arbeit bereits bei «The Social Network» (2010), einem stilbildenden Internethistorien-Blockbuster, Pate gestanden hatte – lieferte im September 2021, nur knapp sieben Monate nach dem GameStop-Run, mit «The Antisocial Network» die Steilvorlage für eine filmische Nacherzählung.
Und nun, weitere zwei Jahre und einen turbulenten Finanzierungsprozess später, bekommt das breite Kinopublikum mit «Dumb Money» endlich die verwinkelte Vorgeschichte und die atemlose Dramatik des GameStop-Glücksrittertums zu Gesicht – niederschwellig und ohne allzu viel Fachjargon aufbereitet von «I, Tonya»-Regisseur Craig Gillespie und den Autorinnen Lauren Schuker Blum und Rebecca Angelo, die sich mit ihrer Mischung aus lakonischer Satire und verblüffter Komödie insbesondere am thematisch verwandten «The Big Short» (2015) orientiert zu haben scheinen.
«Regisseur Craig Gillespie und die Autorinnen Lauren Schuker Blum und Rebecca Angelo scheinen sich mit ihrer Mischung aus lakonischer Satire und verblüffter Komödie insbesondere am thematisch verwandten ‹The Big Short› orientiert zu haben.»
Paul Dano («The Batman», «The Fabelmans») ist in der Protagonistenrolle als Keith «Roaring Kitty» Gill zu sehen, ein optimistisch veranlagter Finanzanalyst, der mit seiner Ehefrau Caroline (Shailene Woodley) und einem gemeinsamen Kleinkind ein bescheidenes Dasein irgendwo an der Grenze zwischen Prekariat und Mittelstand fristet. Als im Sommer 2020 die Börsenaussichten von GameStop – nicht zuletzt wegen der grassierenden COVID-19-Pandemie – alles andere als rosig aussehen, stellt er in einem YouTube-Stream eine steile These vor: Die bei gut vier Dollar stehende Aktie werde unterbewertet; ein mittelfristiger Anstieg auf 20 Dollar komme ihm durchaus realistisch vor; und um seine Zuversicht zu beweisen, werde er seine Familienersparnisse, um die 50’000 Dollar, in GameStop-Anteile investieren.
Der Rest ist Geschichte, und «Dumb Money» erzählt sie anhand eines Ensemble-Casts, der die verschiedenen Interessen und Parteien, die am Siegeszug von GameStop und der Niederlage der Hedgefonds beteiligt waren, exemplarisch abbilden soll. Da ist etwa Gabe Plotkin (Seth Rogen), der Chef von Melvin Capital, der – wie auch die Robinhood-Gründer Vlad Tenev (Sebastian Stan) und Baiju Bhatt (Rushi Kota) – bei den noch reicheren Finanz-Schwergewichten Steve Cohen (Vincent D’Onofrio) und Ken Griffin (Nick Offerman) zu Kreuze kriechen muss, um seinen Betrieb zu retten. Da ist der ungläubige Thomas, Keiths Bruder Kevin (Pete Davidson), dem der Spott über den Investor in der Familie dann irgendwann doch noch vergeht.
Und dann gibt es da all die tapferen, von der Pandemie gebeutelten Kleinanleger*innen – in der Branche abfällig als «dumb money» bezeichnet –, die es der sprichwörtlichen Wall-Street-Gier so richtig heimzahlen, indem sie ihre Robinhood-Apps öffnen, die GameStop-Aktie aufrufen, den «Kaufen»-Knopf antippen und den Kurs in die Höhe schiessen lassen: Die Studentinnen Riri (Myha’la Herrold) und Harmony (Talia Ryder) träumen vom Abzahlen ihrer Darlehensschulden; der GameStop-Angestellte Marcos (Anthony Ramos) wünscht sich endich etwas Perspektive im Leben; die Krankenpflegerin Jennifer (America Ferrera) hat es satt, vom nächsten Gehaltscheck abhängig zu sein.
«Gillespie, Schuker Blum und Angelo konstruieren ein inspirierendes David-gegen-Goliath-Narrativ, an dessen Ende der Traum eines gerechteren Finanzsystems steht.»
Die erzählerische Stossrichtung von «Dumb Money» ist unzweideutig: Mit ihren kleinen Alltagsheld*innen, ihren jubilierenden Zusammenschnitten von zum kollektiven Handeln aufrufenden Reddit-Posts und ihren verzogenen, in luxuriös-sterilen Villen hausenden, von Heerscharen von Bediensteten umsorgten Hedgefonds-Managern konstruieren Gillespie, Schuker Blum und Angelo ein inspirierendes David-gegen-Goliath-Narrativ, an dessen Ende der Traum eines gerechteren Finanzsystems steht. Seit der GameStop-Panik würden Wall-Street-Profis signifikant mehr Ressourcen dafür aufwenden, Internetforen und «Dumb Money»-Bewegungen im Auge zu behalten, heisst es in einer Texttafel am Ende des Films: Die Machtverhältnisse mögen weiterhin asymmetrisch sein, aber wenigstens scheinen «die da oben» endlich ein bisschen Angst bekommen zu haben.
An sich ist das ja nichts Schlechtes. Die perfiden Exzesse der Hochfinanz sind – nicht zuletzt dank Filmen wie «Wall Street» (1987), «The Wolf of Wall Street» (2013) und «The Big Short» – wohlbekannt, ebenso ihre negativen Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft und ihre Tendenz, dank irgendwelcher Kungeleien immer wieder straffrei auszugehen. Was könnte kathartischer sein als eine mit Schimpfwörtern durchsetzte Komödie, in der die Keiths, Jennifers, Marcos, Riris und Harmonys dieser Welt den arroganten Multimillionären und -milliardären mit ihren Sterneköchen und Swimmingpools einen Denkzettel verpassen – und dabei auch gleich ihr eigenes Bankkonto etwas aufbessern?
«Der amerikanische Traum, den Gillespies Film schliesslich so triumphal formuliert, ist nicht die kollektive Überwindung des unfairen Status quo, sondern der individuelle Erfolg innerhalb der bestehenden Strukturen.»
Doch genau darin liegt das Problem: «Dumb Money» übernimmt jene kognitive Dissonanz, von der auch die fanatischen Reddit-Sekten, die sich seit Frühling 2021 rund um die GameStop-Aktie gebildet haben, ergriffen sind. Sie alle predigen eine schöne neue Welt, die sich einerseits von der Ungleichheit, der Moralvergessenheit und der rücksichtslosen Gier des gegenwärtigen Börsenspekulations-Milieus losgesagt hat, andererseits aber dennoch die «Mutigen» – die Keiths, die Marcos, die Riris – mit denselben alten monetären Belohnungen überhäuft. Der amerikanische Traum, den Gillespies Film schliesslich so triumphal formuliert, ist nicht die kollektive Überwindung des unfairen Status quo, sondern der individuelle Erfolg innerhalb der bestehenden Strukturen – das Kunststück, sich auch endlich einmal auf der Gewinnerseite des Wall-Street-Spiels wiederzufinden.
Mit anderen Worten: Nicht die Ungleichheit gilt es zu lösen, sondern den Umstand, dass zu wenige Leute auf Kosten anderer davon profitieren können. Diese Affiche hätte das Zeug zu einer bitterbösen Satire über die begrenzte Vorstellungskraft, die sowohl das liberale Hollywood als auch die nominelle amerikanische Linke mit schöner Regelmässigkeit an den Tag legen – doch stattdessen stürzt sich «Dumb Money» kopfüber ins unreflektierte Abfeiern des erfolgreichen Spekulierens, derweil die satirischen Ambitionen des Films kaum über das abgedroschene Persiflieren von weinerlich-privilegierten Wall-Street-Schnöseln hinausgehen.
Selbst die unrühmlicheren Seiten der von Jennifer, Marcos, Riri und Harmony vertretenen r/WallStreetBets-Community sind Gillespie, Schuker Blum und Angelo keinen zweiten Blick wert. Skeptiker*innen wie Kevin, die an der Ratsamkeit zweifeln, die eigenen Ersparnisse einem glorifizierten Meme zu opfern, verstummen ebenso wie Jennifers Arbeitskollege Chris (Larry Owens), der sich verständlicherweise daran stösst, dass die Subreddit-User zur Selbstbezeichnung ein ableistisches Schmähwort gewählt haben. «Just a few bad apples», kontert Jennifer, wohl ohne zu wissen, dass laut Sprichwort ein fauler Apfel genügt, um den ganzen Korb zu verderben.
«Selbst die unrühmlicheren Seiten der von Jennifer, Marcos, Riri und Harmony vertretenen r/WallStreetBets-Community sind Gillespie, Schuker Blum und Angelo keinen zweiten Blick wert.»
Im Zusammenspiel mit den diversen Momenten, in denen der Aufruf zum Tragen einer medizinischen Maske als herablassende Machtdemonstration inszeniert wird – und mit der Szene, in der sich ein Raum voller Krankenpfleger*innen nur widerwillig gegen COVID-19 impfen lässt –, lenken diese Details den Blick auf die Produzent*innen-Liste von «Dumb Money». Denn dort finden sich neben den üblichen Verdächtigen – dem Regisseur, den Autorinnen, Ben Mezrich – auch Cameron und Tyler Winklevoss, die Unternehmer-Zwillinge, die in «The Social Network» und Mezrichs Buchvorlage «The Accidental Billionaires» (2009) im Kampf um Facebook die grossen Gegenspieler von Mark Zuckerberg waren.
Wohlverstanden, die Gebrüder Winklevoss sind bislang weder mit COVID-Verschwörungstheorien aufgefallen, noch haben sie einen erkennbaren direkten Bezug zur GameStop-Affäre. Doch die ehemaligen Profiruderer sind sehr wohl in der rechtslibertär geprägten, tendenziell regulierungsfeindlichen Welt der Online-Spekulation zu Hause: Schon seit geraumer Zeit versuchen sie – mehr oder minder erfolgreich –, auf der NFT- und Kryptowährungs-Welle zu reiten, einer Welle, die, wie Memestocks, nicht zuletzt auf grossflächigen Hype und blauäugige, ausnehmbare Glücksritter*innen angewiesen ist und auf eine «Utopie» zusteuert, in der alles ein bisschen mehr wie der Aktienmarkt funktioniert.
Und jetzt, da sich NFTs in einer ähnlichen Abwärtsspirale befinden wie die GameStop-Aktie vor Keith Gills Intervention und das jüngste Winklevoss-Krypto-Venture gehörig in Schieflage geraten ist, würde den Marktschreiern der Internetspekulation eine kleine Hype-Injektion in Form einer flotten, faktenbasierten Hollywood-Komödie wohl ganz gut in den Kram passen.
«‹Dumb Money› ist keine Satire über das Wall-Street-Establishment, sondern eine Verkaufsmasche jener, die es gerne wären.»
Entsprechend schwer fällt es, «Dumb Money» die antielitäre Rhetorik abzunehmen. Die ostentativ zur Schau gestellte Empörung über die Ränkespiele von Gabe Plotkin, Steve Cohen und Ken Griffin, die gönnerhaft belächelte Naivität von Start-up-Bros wie Vlad Tenev und Baiju Bhatt, die ganzen Verneigungen vor der Macht der «roaring kitties» – den bissigen Kleinanleger*innen –, ja selbst der kompetente Erzählfluss und die sympathische Schauspielleistung des wie immer verlässlichen Paul Dano: Sie alle täuschen letztlich nicht über den kalkulierten Zynismus von Gillespies Film hinweg. «Dumb Money» ist keine Satire über das Wall-Street-Establishment, sondern eine Verkaufsmasche jener, die es gerne wären.
Mehr zum Zurich Film Festival 2023
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Kinostart Deutschschweiz: 26.10.2023
Filmfakten: «Dumb Money» / Regie: Craig Gillespie / Mit: Paul Dano, Pete Davidson, America Ferrera, Anthony Ramos, Shailene Woodley, Seth Rogen, Myha’la Herrold, Talia Ryder, Larry Owens, Vincent D’Onofrio, Nick Offerman, Sebastian Stan, Dane DeHaan, Rushi Kota / USA / 104 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © 2023 Ascot Elite Entertainment. All Rights Reserved.
Als Komödie ist «Dumb Money» mitunter ganz passabel. Doch hier verkleidet sich ein Hype-Generator für Online-Spekulation als inspirierende Underdog-Geschichte. Das ist einfach nur zynisch.
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