Ganze neun Jahre nach seiner pompösen Literaturverfilmung «The Great Gatsby» schlägt Kitsch-Maestro Baz Luhrmann wieder zu und fährt seine Opulenz-Linie konsequent weiter. Mit der Über-Legende Elvis Presley hat er sich ein kongeniales Sujet ausgesucht, um erneut grandiose Bilder auf die Leinwand zu zaubern. In «Elvis» versäumt er es bisweilen aber, neben seinem Inszenierungswahn auch mal gefühlvolle Momente auszukosten, was den Sehgenuss jedoch nur minimal schmälert.
Nick Cave schrieb einst über Elvis Presley: «In my eyes, he was some kind of angel; both terribly and awfully human yet divine in his meteoric reach that touched so many hearts. He was fallible and God-like at the same time. He crucified himself on stage in Vegas … His latter years on Earth were as sad and lonely as any can be, but his Vegas performances were epic triumphs of human transcendence, where the angels looked down on one who had fallen so far, then looked up to where he ascended.»
«In my eyes, he was some kind of angel; both terribly and awfully human yet divine.»
Elvis schlug wie ein Meteor mit einem kosmischen Knall auf der Erde auf, brachte sie zum Beben und sang obendrein auch noch mit der Stimme eines Engels: So hoch flog und so tief fiel niemand zuvor oder danach. Einen so gewaltigen Personenkult hatte es in der Musikgeschichte bis dahin nicht gegeben, und spätestens seit Elvis‘ frühem Ableben, im Alter von 42 Jahren am 16. August 1977 , ist der King mehr Mythos als Mensch.
Der Mythos ist denn auch das, was Regisseur Baz Luhrmann interessiert und was er gekonnt und gewohnt spektakulär in Szene zu setzten weiss. Eine mutige, aber dennoch nachvollziehbare Entscheidung, die schon früh im Film fruchtet: Die erste Szene mit Elvis zeigt ihn schüchtern auf einer Bühne. Von einem blöden Spruch aus dem Publikum angestachelt, vollführt er zum ersten Mal seinen später weltberühmten Hüftschwung. Die Archivaufnahmen von ebenjenem Auftritt lassen die Zuschauer*innen heute höchstens noch anerkennend nicken; ein einfaches Nachstellen wäre entsprechend dröge – weshalb Luhrmann die Flucht nach vorne ergreift: Austin Butler wirbelt als Elvis schillernd, erotisch und ekstatisch wie ein Derwisch über die Bühne, der Sound ist auf 11 gedreht; selbst der pinke Anzug scheint von einer höheren Macht besessen, und das weibliche Publikum gibt sich ab dem ersten Takt der totalen Euphorie hin und kommt aus dem Kreischen gar nicht mehr heraus.
«Dieser Film zeigt nicht, wie Elvis war, sondern wie er auf die Menschen wirkte.»
Die Szene macht klar: Dieser Film zeigt nicht, wie Elvis war, sondern wie er auf die Menschen wirkte. So grenzt sich «Elvis» klar von den zwar tollen, aber konventionell Lebensstationen abgrasenden Musiker-Biopics wie «Ray» (2004), «Walk the Line» (2005), «Get on Up» (2014) oder «I Saw the Light» (2015) ab. Dass so ein Nostalgie-Spass zwar nett anzusehen ist, aber im Endeffekt wenig mit innovativem Filmemachen zu tun hat, veranschaulichte zuletzt «Bohemian Rhapsody» (2018) – und mit dem 2005 erschienenen TV-Zweiteiler «Elvis» mit Jonathan Rhys Meyers in der Hauptrolle existiert genau dieser Film nach etabliertem Muster bereits.
In diesem Wissen inszeniert Baz Luhrmann Elvis als eine Lichtgestalt, einen Superhelden, der auf die Welt geschickt wurde, um den Menschen die Musik zu schenken, die sie wollten – aber in den streng konservativen Fünfzigerjahren nicht hören sollten. Elvis sang nicht bloss die populäre brave Countrymusik; er mixte eine gehörige Portion Gospel und den von ihm heiss geliebten – jedoch in einer Zeit strenger Rassentrennungsgesetze verpönten – Blues hinzu. Aufgewachsen in einem Stadtviertel Tupelos, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft viele Afroamerikaner*innen lebten, entwickelte Elvis bald eine innige Liebe zur «schwarzen» Musik, sang sie vom Gegenwind unbeeindruckt im berühmten Sun Studio von Memphis ein und landete damit überraschend mehrere grosse Hits. Der wachsende Erfolg und das Potenzial, das ein Weisser mit einer «schwarzen» Stimme mit sich brachte, bleibt dem gerissenen Geschäftsmann Tom Parker nicht verborgen, der den jungen Elvis mit dem Versprechen von Reichtum und Ruhm um den Finger wickelt und fortan sein Manager wird.
Der schwierige Charakter des «Colonel» Tom Parker wird als schurkenhafter Erzähler eingeführt – ein weiterer Clou des Films: Er erzählt dem Publikum, wie er seinen Schützling aufgebaut und der Menschheit Elvis Presley geschenkt hat – und nicht, wie alle behaupten, ihn letzten Endes auf dem Gewissen hat. Tom Hanks («News of the World», «A Beautiful Day in the Neighborhood») verbirgt sich in einer seiner seltenen Antagonistenrollen unter viel Maske, einem Fatsuit und einem seltsamen niederländischen Dialekt, geniesst es aber sichtlich, als schmieriger Karneval-Mephisto beobachtend hinter den anderen Charakteren umherzuschleichen und alle in seiner Umgebung zu bezirzen. Trotz seiner zwielichtigen Äusseren strahlt er Charme und Charisma aus und blickt im richtigen Moment wie ein zuckersüsser Hundewelpe, sodass man versteht, weshalb der naive Elvis sich für Dinge hat breitschlagen lassen, die er im Grunde nicht wollte.
Neben dem ungleich erfahreneren Hanks ist Austin Butler («Once Upon a Time in Hollywood», «The Dead Don’t Die») ein auf der grossen Leinwand noch unverbrauchtes Gesicht; doch das wird sich nach dieser Performance mit Sicherheit schnell ändern, denn er liefert als King eine elektrisierende Vorstellung ab. Ob die unkoordinierten Bühnengesten, die legendären Tanzmoves, das selbstbewusste Stolzieren in den berühmten Jumpsuits oder das verschmitzt-schüchterne Lächeln: Butler hat die Persona Elvis Presley regelrecht inhaliert.
«Ob die unkoordinierten Bühnengesten, die legendären Tanzmoves, das selbstbewusste Stolzieren in den berühmten Jumpsuits oder das verschmitzt-schüchterne Lächeln: Butler hat die Persona Elvis Presley regelrecht inhaliert.»
Neben Elvis bleibt Tom Parker die einzige grössere erwähnenswerte Figur. Luhrmann überlässt die Bühne ganz Butler und Hanks, und es ist eine Freude den beiden zuzusehen, wie sie die Feind-Freundschaft zwischen Presley und Parker genüsslich ausspielen. Alle anderen Wegbegleiter*innen bleiben blosse Staffage; die menschlichen Dramen werden nur knapp angerissen: Elvis‘ innige Liebe zu seiner Mutter (Helen Thomson), die dankbare Verbundenheit zu Sam Phillips (Josh McConville) und dem Sun Studio, die Freundschaft mit seiner Band, seine grosse Liebe Priscilla (Olivia DeJonge), die er während seinem Wehrdienst in Übersee kennenlernt – diese Geschichten werden in anderen Filmen erzählt. Dafür fährt Luhrmann, fast wie zu «Moulin Rouge»-Zeiten, wieder ganz gross auf und beweist, dass er noch immer einer der kreativsten Köpfe ist, was visuelle Umsetzung im Kino angeht: Die Kamerafahrten sind wild, das Tempo hoch, die Musikeinlagen fiebrig und die Ausstattung verschwenderisch bunt-pompös. Ein Film, so schillernd wie der King selbst.
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Kinostart Deutschschweiz: 23.6.2022
Filmfakten: «Elvis» / Regie: Baz Luhrmann / Mit: Austin Butler, Tom Hanks, Olivia DeJonge, Helen Thomson, Richard Roxburgh, Kelvin Harrison Jr., David Wenham, Kodi Smit-McPhee, Luke Bracey, Dacre Montgomery / Australien, USA / 159 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © 2022 Warner Bros. Ent. All Rights Reserved.
In «Elvis» wird der Mythos «King» zelebriert wie nie zuvor: Dafür hat Baz Luhrmann die perfekten Bilder komponiert. Zeit für zarte Zwischentöne bleibt auf dem wilden Ritt aber nicht.
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