Dass Netflix schon seit längerem eine strategische Gratwanderung zwischen spannendem Autorenkino und unterirdischem Trash unternimmt, wird beim Scrollen durch den stetig wachsenden Katalog schnell klar. Charlie Kaufman steht neben «The Kissing Booth 2», Ava DuVernay neben «Sierra Burgess Is a Loser». Wer sich allerdings schon immer gewundert hat, wie abgründig schlecht ein Netflix-Original tatsächlich werden kann, braucht nicht länger zu suchen: «Emily in Paris» ist die Antwort.
Emily Cooper (Lily Collins) ist Mitte 20, aus Chicago, und wird von ihrer Marketing-Agentur von heute auf morgen nach Paris versetzt, da Frankreich, ganz offensichtlich, den «amerikanischen Input» benötigt. Ausgerüstet mit dem extravaganten Kleiderschrank einer regelrechten Serena van der Woodsen und dem gesunden Selbstbewusstsein der Jugend marschiert sie in ihrer neuen Heimat ein, überzeugt davon, dass nicht einmal ihre fehlenden Sprachkenntnisse sie daran hindern werden, Paris und die Marketingwelt gehörig aufzumischen. Und obwohl die arroganten, dauerrauchenden Franzosen zunächst nicht gerade begeistert auf die amerikanische Übernahme reagieren, wird doch schon sehr bald klar: Emily ist ein ungemein talentiertes und überaus charmantes Geschenk des Himmels.
Letzteres will die Serie dem Publikum zumindest weismachen, ohne dies je mit irgendwelchen narrativen Beweisen zu unterlegen: Munter knipst Emily belanglose Selfies, in denen sie mit Dackelblick an Croissants knabbert, kombiniert diese mit depperten Hashtags – und wird dafür als Influencer-Genie gefeiert, das sogar die Aufmerksamkeit von Persönlichkeiten wie Brigitte Macron oder Carla Bruni auf sich zieht. Jede einzelne Marketing-Kampagne, die Emily sich – in der Regel ganz spontan – aus den wohlmanikürten Fingern saugt, ist absoluter Blödsinn – rettet dem undankbaren Marketingbüro aber wieder und wieder die Existenz.

Lily Collins als Emily
«Munter knipst Emily belanglose Selfies, in denen sie mit Dackelblick an Croissants knabbert, kombiniert diese mit depperten Hashtags – und wird dafür als Influencer-Genie gefeiert, das sogar die Aufmerksamkeit von Persönlichkeiten wie Brigitte Macron oder Carla Bruni auf sich zieht.»
Obendrein ist Emily auch Feministin, und auch dafür sollten die sexistischen, dauererregten Franzosen dankbar sein. Denn als moderne Amerikanerin kann sie den lüsternen Europäern nicht nur erklären, warum Lingerie kein angemessenes Geschäftsgeschenk ist – sie weiss auch, dass in Amerika, wo Sexismus und Objektifizierung bekanntlich schon vor Jahrzehnten gründlich ausgerottet wurden, die Dinge sehr viel aufgeklärter und gleichberechtigter laufen. In einer der ungewollt unterhaltsamsten Szenen der Serie erklärt sie etwa in wenigen Worten, warum der «Male gaze» beim US-Publikum nicht gut ankomme – ganz zum Unverständnis der Franzosen, die, weit entfernt von #MeToo und ähnlichen Diskursen, irgendwo im Mittelalter feststecken und neben Nacktheit und Chauvinismus sowieso nur wenig im Kopf haben.
«In einer der ungewollt unterhaltsamsten Szenen der Serie erklärt sie etwa in wenigen Worten, warum der ‹Male gaze› beim US-Publikum nicht gut ankomme – ganz zum Unverständnis der Franzosen, die, weit entfernt von #MeToo und ähnlichen Diskursen, irgendwo im Mittelalter feststecken und neben Nacktheit und Chauvinismus sowieso nur wenig im Kopf haben.»
Die Serie tut sich keinen Gefallen damit, dass sie zu keinem Zeitpunkt weiss, welche Position sie eigentlich gerade einnehmen möchte: Ist Emily eine Identifikationsfigur und tun ihr die gemeinen Franzosen Unrecht, wenn sie ihr vorwerfen, dass sie Paris nur als ihren verklärten Instagram-Spielplatz behandelt – und das, obwohl gefühlt in jeder einzelnen Aufnahme dieser Serie der perfekt ausgeleuchtete Eiffelturm im Hintergrund in die Höhe ragt? Ist es charmant, dass Emily tatsächlich nur ungefähr vier Worte Französisch spricht und diese konstant mit einem furchtbaren Akzent in jeden noch so unsinnigen Satz einbaut? Oder darf man sich über ihren besorgniserregenden Grössenwahn tatsächlich hin und wieder einmal wundern? Man weiss es nicht, denn auf jeden Moment, in dem Emily die französische Sprache mit dem Feingefühl einer Dampfwalze niedermäht, folgt eine Szene, in welcher der Armen aufgrund ihres fehlenden Sprachtalents sogar der Kauf eines Blumenstrausses verwehrt wird: die berühmte alltägliche Diskriminierung.
Auch in den Gebieten, in denen die Serie glänzen sollte, will der Funke einfach nie überspringen: Entwickelt wurde sie vom «Sex and the City»-Produzenten Darren Star und entsprechend sind romantische Irrungen und Wirrungen zentral – immerhin, um dies noch einmal zu betonen, ist man ja auch in très (ausgesprochen: «tray») sexy Frankreich. Emily ist aber eine solche einfältige Nervensäge, alle ihre potenziellen Liebhaber solche eindimensionalen Langweiler und jede Dialogzeile so uninspiriert abgestanden oder lachhaft (was machten die Franzosen einst, als die Bomben auf Paris fielen? Liebe!), dass auch hier die höchste Reaktion ein müdes Gähnen oder ein ungläubiges Schnauben ist.
«Oder vielleicht funktioniert die Serie halt eben doch, auf irgendeiner Ebene: als langsamer Unfall, zum Beispiel, bei dem man einfach nicht wegsehen kann und sich die ganze Zeit wundern muss: Ist das gerade wirklich passiert?»
Aber warum, könnte man fragen, hat sich diese Kritikerin trotz allem ganze zehn Episoden offensichtlichen Schundes zu Gemüte geführt? Diese Frage wird wohl ewig unbeantwortet bleiben müssen. Vielleicht ist es ein Zeichen unseres Alltags, dass wir unsere kostbare Zeit auf dieser Welt mit bedeutungsleerem Unsinn wie «Emily in Paris» füllen und jedes höhere Streben nach Kunst und Intellekt mit Croissants, Fake-Feminismus und saulustigen Witzen (schon mal überlegt, dass «coq» wie «cock» klingt?) rabiat abtöten müssen. Oder vielleicht funktioniert die Serie halt eben doch, auf irgendeiner Ebene: als langsamer Unfall, zum Beispiel, bei dem man einfach nicht wegsehen kann und sich die ganze Zeit wundern muss: Ist das gerade wirklich passiert?
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Jetzt auf Netflix Schweiz
Serienfakten: «Emily in Paris» / Creator: Darren Star / Mit: Lily Collins, Philippine Leroy-Beaulieu, Ashley Park, Lucas Bravo, Samuel Arnold, Bruno Gouery, Camille Razat / USA / 10 Episoden à 24–34 Minuten
Bild- und Trailerquelle: NETFLIX © 2020
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