Die Arbeitswelt ist ein Schlachtfeld: Stéphane Brizé inszeniert im hochgradig politischen Drama «En guerre» die schrittweise Eskalation eines kontroversen Fabrikstreiks – und bestätigt damit einen anhaltenden Trend im europäischen Kino.
Es ist ein spannendes Experiment, das der Franzose Stéphane Brizé und sein Co-Autor Olivier Gorce hier wagen. Steht Brizé in der Regel für stille, präzise Charakterstudien wie «Je ne suis pas là pour être aimé» (2005), «Mademoiselle Chambon» (2009), «Quelques heures de printemps» (2012) oder «Une vie» (2016), dreht sich sein neuester Film ganz um das Kollektiv – selbst wenn mit Vincent Lindon einer seiner Stammschauspieler im Zentrum des Geschehens steht.
Lindon spielt Laurent, den Wortführer der streikenden Arbeiterschaft einer südwestfranzösischen Fabrik, deren Betreiber – trotz gegenteiliger Versprechungen – soeben die Schliessung bekanntgegeben haben. 1’100 Angestellten droht die Kündigung; viele von ihnen sehen beruflich schwarz – sei es aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters oder wegen der gravierenden Stellenknappheit in der Region.
In dokumentarisch angehauchten Handkamerabildern zeigt «En guerre» Laurent und seine Gewerkschaftskollegen bei der Arbeit: beim Skandieren vor der Fabrik, beim Fernsehinterview, beim Aufmarsch in der Niederlassung der Arbeitgebervereinigung, bei der Diskussion mit dem Betriebsleiter, dem Regierungsgesandten oder potenziellen Streikbrechern in den eigenen Reihen. Die Individualität der Figuren, die einem im Laufe des Films auch ohne spezifische Exposition immer vertrauter werden, spielt hierbei keine grosse Rolle: Im Fokus stehen die Sache, das Gemeinwohl, der Kampf gegen die Willkür aus der Teppichetage.
Wie bereits in Brizés vorletztem Film, dem radikal kapitalismuskritischen «La loi du marché» (2015), stellt sich «En guerre» – ohne erhobenen Zeigefinger – gegen eine Arbeitskultur, in welcher sich der Mensch nach dem Betrieb richten muss, anstatt umgekehrt. Es scheint, als wären übermenschliche Anstrengungen von Laurent und seinen Mitstreiterinnen nötig, um von ihren Vorgesetzten überhaupt erst angehört zu werden – nur um im persönlichen Gespräch mit den immer gleichen Worthülsen über Aktionäre, Gewinnmargen und Dividende abgespeist zu werden.
«‹En guerre› erzählt vom entmenschlichenden Charakter von Arbeit im 21. Jahrhundert, von der kafkaesken Suche nach Gerechtigkeit in einem auf Ungleichheit fussenden System.»
Mit dieser unverhohlenen Kritik am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Status quo verfolgt der Film ein Motiv, das sich in den letzten zehn Jahren (west)europaweit etabliert zu haben scheint: Wie «La loi du marché», «Deux jours, une nuit» (2014) von den Dardenne-Brüdern, Ken Loachs Palme-d’or-Gewinner «I, Daniel Blake» (2016) und Thomas Stubers Grossmarkt-Elegie «In den Gängen» (2018) erzählt auch «En guerre» vom entmenschlichenden Charakter von Arbeit im 21. Jahrhundert, von der kafkaesken Suche nach Gerechtigkeit in einem auf Ungleichheit fussenden System.
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Kinostart Deutschschweiz: 2.5.2019
Filmfakten: «En guerre» / Regie: Stéphane Brizé / Mit: Vincent Lindon, Mélanie Rover, Jacques Borderie, David Rey, Olivier Lemaire, Isabelle Rufin / Frankreich / 113 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Xenix Filmdistribution GmbH
«En guerre» nimmt sein Publikum mit an die Streikfront – ein Ort der mitreissenden Debatten und der himmelschreienden Ungerechtigkeiten. Ein starker Aufruf zum Aktivismus.
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