Zusammen mit dem Wissenschaftler Clive Oppenheimer nimmt Kult-Regisseur Werner Herzog im Dokumentarfilm «Fireball: Visitors from Darker Worlds» Meteoriten genauer unter die Lupe: Welche physischen, kulturellen und persönlichen Spuren haben diese Steine hinterlassen, die es aus den Tiefen des Weltalls auf die Erde verschlagen hat?
Wer an Werner Herzog denkt, wird wohl unweigerlich an die Karikatur denken, als die er – befeuert durch seine legendären Interviews im «Fitzcarraldo»-Making-of «Burden of Dreams» (1982) – in die Popkultur eingegangen ist: ein mürrischer Bayer, der mit bierernstem Tonfall jedes noch so alltägliche Phänomen in Grund und Boden analysiert, um letztlich zum Schluss zu gelangen, dass alles und jede*r lediglich ein Symbol für die Sinnlosigkeit des Lebens in einem gleichgültigen Universum ist. Und warum auch nicht? Das Meme ist unglaublich lustig und inspiriert immer wieder neue Variationen – von unzähligen Tumblr-Posts und YouTube-Voiceovers (sorry, Karpi, dein Werner ist meilenweit daneben) bis hin zu einem grossartigen Herzog-Gastauftritt in der Sitcom «Parks and Recreation» (2009–2015).
«Exkurse über die Verlorenheit des Individuums im grossen Ganzen und die Bedeutungslosigkeit der Menschheit in der unvorstellbaren Weite von Raum und Zeit sind Teil von Herzogs Schaffen.»
Es stimmt: Exkurse über die Verlorenheit des Individuums im grossen Ganzen und die Bedeutungslosigkeit der Menschheit in der unvorstellbaren Weite von Raum und Zeit sind Teil von Herzogs Schaffen. Sein Meisterwerk «Aguirre, der Zorn Gottes» (1972) zeigt, wie hoffnungslos überforderte Konquistadoren vom amazonischen Dschungel regelrecht aufgefressen werden. «Cave of Forgotten Dreams» (2010), sein 3D-Lehrfilm über die Steinzeitmalereien in der französischen Chauvet-Höhle, eröffnet seinem Publikum die unermessliche Tiefe der Geschichte auf fast schon schwindelerregende Weise.
Die Kehrseite dieser weit verbreiteten Karikatur ist jedoch, dass dabei leicht in Vergessenheit gerät, was Herzog – und gerade seine Non-Fiction-Werke – tatsächlich auszeichnet: seine bedingungslose Faszination für die Menschen, die er trifft. Nicht für das, was sie symbolisieren könnten, sondern für das, was sie sind – in ihrer ganzen widersprüchlichen, nuancierten Unvollkommenheit.
«Die grosse Ekstase des Bildschnitzers Steiner» (1974) ist weniger ein Film übers Skispringen als einer über einen Ästheten, der sich mit seiner Kunst in den profitorientierten Profisport verirrt hat. In «Encounters at the End of the World» (2007) lernt man weniger über die Antarktis als über das exzentrische Personal, das sich den lebensfeindlichsten aller Kontinente als Arbeitsplatz ausgesucht hat. Und «Cave of Forgotten Dreams» ist nicht zuletzt auch ein Porträt der Forscher*innen, die ihr Leben der Aufgabe verschrieben haben, ihre Vorfahren, die unbekannten Künstler*innen hinter den Höhlenmalereien von Chauvet, zu verstehen.
«Voller Tatendrang reisen die beiden Regisseure an Orte, die von historischen Meteoriteneinschlägen gezeichnet sind: Mittels eindrücklicher Digitalkamerabilder entführen sie ihr Publikum in einen riesigen Krater in der australischen Wüste, in ein durch einen prähistorischen Boliden ausgehobenes Tal in Nordindien, in ein verschlafenes Nest an der mexikanischen Karibikküste, das vor 66 Millionen Jahren zum Ground Zero des grossen Dinosauriersterbens wurde.»
«Fireball: Visitors from Darker Worlds», nach «Into the Inferno» (2016) Herzogs zweite Kollaboration mit dem britischen Vulkanologen Clive Oppenheimer, bildet da keine Ausnahme. Voller Tatendrang reisen die beiden Regisseure an Orte, die von historischen Meteoriteneinschlägen gezeichnet sind: Mittels eindrücklicher Digitalkamerabilder entführen sie ihr Publikum in einen riesigen Krater in der australischen Wüste, in ein durch einen prähistorischen Boliden ausgehobenes Tal in Nordindien, in ein verschlafenes Nest an der mexikanischen Karibikküste, das vor 66 Millionen Jahren zum Ground Zero des grossen Dinosauriersterbens wurde. Dabei wird zwar nicht mit Fakten über die mal kieselstein-, mal medizinball-, seltener sogar lastwagengrossen Felsen gegeizt, mit denen unser Planet Tag für Tag bombardiert wird; doch der Fokus liegt nicht auf den kalten, nackten Tatsachen, welche die Wissenschaft über die Jahrhunderte über Asteroiden, Kometen und Meteore zutage gefördert hat.
Vielmehr wollen Herzog und Oppenheimer wissen, welche Spuren diese interstellaren Besucher in der Menschheitsgeschichte hinterlassen haben – denn noch spannender als die Steine selbst ist, wie sie auf der Erde aufgenommen wurden: In Mekka bildet ein Meteorit das Allerheiligste des islamischen Glaubens, während ein vom Himmel fallender Feuerball im spätmittelalterlichen Elsass der Legitimation der habsburgischen Macht in Europa diente.
Bald wird klar, dass Herzogs primäre Faszination weder den Meteoren an sich noch ihren makrohistorischen Auswirkungen gilt, sondern einmal mehr an den ganz kleinen Geschichten hängenbleibt. Wie schon in «Rad der Zeit» (2003), seiner Dokumentation über eine buddhistische Grossveranstaltung, ist das übergeordnete Thema von «Fireball» hauptsächlich ein Vehikel, um anhand von einzigartigen Begegnungen und unkonventionellen Gesprächen die schiere Vielfalt der menschlichen Existenz zu zelebrieren: Ein Jesuit schwärmt von der Erhabenheit der wissenschaftlichen Neugierde. Eine Aborigine-Künstlerin erläutert anhand eines Gemäldes die verschiedenen kulturellen Interpretationen eines Meteoritenkraters. Ein im Maschinengewehrtakt plappernder Wissenschaftler drückt einem sichtlich überforderten Oppenheimer kostbaren Stein um kostbaren Stein in die Hand. Herzog selbst bekennt sich zu seiner Liebe zu Filmen wie «Deep Impact» (1998), in denen mit teils fragwürdigem CGI das Horrorszenario eines Meteoriteneinschlags durchexerziert wird.
«Für Herzog gibt es nichts Schöneres, nichts Magischeres als diesen spontanen Augenblick des reinen, menschlichen Glücks.»
Von wegen grimmigem Nihilismus also: «Fireball» stimmt bisweilen demütig, ja, begeistert aber insbesondere aufgrund seiner offenherzigen Menschlichkeit. Einer der bewegendsten Momente zeigt den südkoreanischen Antarktisforschers Jong Ik Lee, wie er inmitten der ewigen Eiswüste einen ausserirdischen Brocken von beachtlicher Grösse entdeckt – und vor lauter Freude jauchzend aus dem kaum gelandeten Hubschrauber springt, seine Kollegen umarmt und sich im Schnee zu wälzen beginnt. «This is science at its best», kommentiert Herzog die anrührende Szene, ohne jede Ironie. Die Analyse des Steins wird Licht ins Dunkel der kosmischen Geschichte werfen und uns womöglich sogar etwas über unsere eigene Herkunft erzählen können – doch für Herzog gibt es nichts Schöneres, nichts Magischeres als diesen spontanen Augenblick des reinen, menschlichen Glücks.
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Filmfakten: «Fireball: Visitors from Darker Worlds» / Regie: Werner Herzog, Clive Oppenheimer / Mit: Werner Herzog, Clive Oppenheimer / Österreich, Grossbritannien, USA / 97 Minuten
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Meteoriten sind faszinierend – Menschen aber auch. Mit «Fireball: Visitors from Darker Worlds» widmet Werner Herzog beiden Phänomenen ein intimes, berührendes Porträt.
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