Mit vier Auszeichnungen hat «Fleabag» bei den diesjährigen Emmys die Konkurrenz verdienterweise ausgestochen. Die Serie von und mit Phoebe Waller-Bridge ist eine Tour de Force, die den Zeitgeist aufgreift und neu aufmischt.
Fleabag (Phoebe Waller-Bridge) ist süchtig. Doch es geht ihr nicht um Sex, wenn sie sich zum wiederholten Male von ihrem Freund (Hugh Skinner) trennt und routiniert Affären beginnt; auch nicht um Aggression, wenn sie mit ihrer Schwester (Sian Clifford) streitet. Wonach Fleabag süchtig ist, ist das Drama: Peinliche Berührtheit, unangenehme Pausen und taktlose Bemerkungen sind ihre Droge. Mit schelmischem Lächeln richtet sie sich bei jeder Gelegenheit an das Publikum und unterstreicht das Geschehen mit einem bissigen Witz. Mal dienen diese Einwürfe in die Kamera dazu, uns in die Vorgeschichte einzuweihen, mal um die Abscheu gegenüber ihrem ekelhaften Schwager (Brett Gelman) oder ihrer Stiefmutter (Olivia Colman) kundzutun. Doch so ruchlos sie auch sein mag, Fleabag ist stets daran interessiert, den Witz mit dem Publikum zu teilen und lässt uns als intime Begleiter am köstlichen Drama teilhaben.
«Fleabag ist stets daran interessiert, den Witz mit dem Publikum zu teilen und lässt uns als intime Begleiter am köstlichen Drama teilhaben.»
Diese direkte Anrede, das Durchbrechen der sogenannten «vierten Wand», gibt in «Fleabag» – ähnlich wie in «House of Cards» – Ton und Form an. Einerseits erlaubt es der Protagonistin, das Geschehen laufend zu kommentieren und den Zuschauer durch dramatische Ironie auf ihre Seite zu ziehen. Zugleich etabliert sich Fleabag als dominante Erzählinstanz, die ihre eigene Geschichte kontrolliert. Geschickt orchestriert sie Erwartungen und Informationsfluss, ergänzt mittels frecher Bemerkungen und präsentiert sich als scheinbar perfekte Geschichtenerzählerin. Doch entpuppt sie sich schon bald als Illusionistin, die sowohl Publikum als auch sich selbst täuscht. Es sind Erinnerungen, die ihre selbstbewusste Fassade bröckeln lassen und das unterschwellige Unglück aufdecken. Mit dieser Spannung zwischen Aussen und Innen – Maske und Gesicht – gelingt es «Fleabag» auch, Tiefgang zu erhalten. So ist die Serie letztlich eine Charakterstudie, die sich lediglich des frivolen Humors und der ungewöhnlichen Seitenblicke in die Kamera bedient, um Fleabags Psychologie auszuloten.
«So ist die Serie letztlich eine Charakterstudie, die sich lediglich des frivolen Humors und der ungewöhnlichen Seitenblicke in die Kamera bedient, um Fleabags Psychologie auszuloten.»
Ähnlich wie «Atlanta» oder «Barry» navigiert «Fleabag» zwischen den seichten und tiefschwarzen Gewässern der Komödie. So wird die Stimmung innert Sekunden auf den Kopf gestellt und rutscht schnell vom Komischen ins Ernsthafte. Diese tonalen Umbrüche werden vorwiegend durch den cleveren Schnitt komplimentiert, der Witze vor der Pointe beendet und gekonnt Kontraste setzt. Nichts ist dem Zufall überlassen, wenn Phoebe Waller-Bridges Drehbuch mit einer Mischung von Eleganz und Varieté-Klamauk das peinliche Drama des Familienabendessens oder des spontanen Geschlechtsverkehrs erkundet. Hierbei ist es die Präzision von Dialog und Bild, die an die Komödienklassiker von Billy Wilder («Some Like It Hot») oder Howard Hawks («Bringing Up Baby») erinnern und die Serie von der Mumblecore-Ästhetik von etwas wie «Girls» unterscheidet. Mit ihrer postfeministischen Satire trifft «Fleabag» den Nerv der Zeit und wirkt doch stets zeitlos, indem sie Tradition und Zeitgeschehen geschickt unter einen Hut bringt.
«Mit ihrer postfeministischen Satire trifft ‹Fleabag› den Nerv der Zeit und wirkt doch stets zeitlos, indem sie Tradition und Zeitgeschehen geschickt unter einen Hut bringt.»
«Fleabag» ist eine Tour de Force unter den zeitgenössischen Komödien und vergeht mit nur sechs 20-minütigen Episoden pro Staffel viel zu schnell. Doch es lohnt sich, jedes Augenzwinkern wiederholt zu studieren. Und auch wenn «Fleabag» mit der zweiten Staffel definitiv zu Ende geht, kann man sich schon auf Neues von Phoebe Waller-Bridge freuen: Auf Wunsch von Daniel Craig höchstpersönlich überarbeitet die geistreiche Britin nun den neuesten Teil der James-Bond-Reihe, Cary Fukunagas «No Time to Die». Man darf also gespannt sein, wie sie diese alteingesessene Serie neu aufmischt.
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Serienfakten: «Fleabag» / Creator: Phoebe Waller-Bridge / Mit: Phoebe Waller-Bridge, Sian Clifford, Olivia Colman, Bill Paterson, Andrew Scott, Brett Gelman, Jenny Rainsford, Hugh Skinner / Grossbritannien / 12 Episoden à 23–28 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Amazon Original
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