Klug-empathische Coming-of-Age-Geschichte für die Generation der Fortysomethings oder eher geschwätzige Therapiestunde in Serienform für alle, die sich gerne in ihren First-World-Problems suhlen? «Fleishman Is in Trouble» ist ein bisschen beides – und das ist gut so.
Toby Fleishman (Jesse Eisenberg) ist Anfang 40, Arzt, Vater zweier Kinder, frisch geschieden – und er erlebt gerade seinen zweiten Frühling. Denn zu seiner Überraschung verzeichnet er auf Dating-Apps grosse Erfolge, weshalb er sich in eine Affäre nach der anderen schmeisst. Befreit von seiner herrischen Ehefrau Rachel (Claire Danes), findet er nun auch endlich Zeit, den Kontakt zu seinen alten Studienfreund*innen wiederaufzunehmen.
Eine davon, Libby (Lizzy Caplan), ist inzwischen selbst Mutter und Ehefrau hat sich mit ihrer Familie in einem leicht spiessigen Vorort niedergelassen, wo sie das idealtypisch-bürgerliche Familienleben zu führen scheint. Seth (Adam Brody) hingegen findet aus der Rolle des ewigen Junggesellen einfach nicht hinaus. Beruflich erfolgreich führt er noch immer das Leben eines 20-Jährigen, mit einem entsprechend jungen Freundeskreis, vielen Partys und geprägt von Bindungsängsten.
«Doch nach und nach tun sich immer tiefere Risse in der Fassade auf. Denn, wie der Titel bereits ankündigt, erwartet Toby Fleishman ein Sommer voller Ärger.»
Doch nach und nach tun sich immer tiefere Risse in der Fassade auf. Denn, wie der Titel bereits ankündigt, erwartet Toby Fleishman ein Sommer voller Ärger. Alles beginnt damit, dass Rachel, eine erfolgreiche Theateragentin, eines frühen Morgens ohne Vorwarnung bei ihm in der Tür steht und die Kinder bei ihm ablädt, weil sie kurz entschlossen zu einem Yoga-Retreat fährt. Dem überrumpelten Toby bleibt nichts anderes übrig, als die Kinder zu sich zu nehmen.
Doch dann kommt es, wie es kommen muss: Rachel kehrt nicht mehr zurück. Sie verschwindet spurlos, meldet sich nicht, antwortet weder auf Anrufe noch auf Textmitteilungen. Auf einmal steht Toby da und muss irgendwie Beruf, Kinder und sein neu entfachtes Junggesellenleben unter einen Hut bringen.
Während er nach bestem Wissen und Gewissen versucht, allem gerecht zu werden, holen ihn immer wieder Erinnerungen an seine und Rachels gemeinsame Vergangenheit ein. Wie sie sich kennengelernt und ineinander verliebt haben. Wie, das, was sich zwischen ihnen entwickelte, für beide nach der grossen Liebe aussah, und wie diese Liebe nach und nach immer mehr gegenseitigen Ressentiments wich. Aus Tobys Perspektive erfahren wir, wie Rachel ihre Karriere und das Geld an erste Stelle setzte, es den Kindern gegenüber an mütterlicher Liebe mangeln liess und Toby ständig irgendwelche Kompromisse aufzwang. Seine Tätigkeit als Arzt in einem öffentlichen Krankenhaus hat sie ständig gering geschätzt, während für ihn der gesellschaftliche Mehrwert der eigenen Arbeit über Geld und Karriere stand.
Ein Glück, hat Toby seine Freunde wieder, bei denen er dann auch regelmässig sein Leid klagt, ohne wahrzunehmen, dass auch in deren Leben gerade einiges aus den Fugen gerät. Seth verliert seinen Job und stürzt in eine Sinnkrise, während Libby mit depressiven Verstimmungen zu kämpfen hat und sich in der spiessbürgerlichen Familienwelt immer weniger zurechtfindet.
«Die Serie dreht sich hauptsächlich um First-World-Problems – um die Sorgen und Ängste von materiell bessergestellten Fortysomethings, die Karriere gemacht haben, Eigentum besitzen und geliebt werden. Sie leiden an sich selbst, an ihren Zweifeln, ob sie in ihrem Leben den richtigen Weg eingeschlagen haben.»
«Fleishman Is in Trouble» basiert auf dem gleichnamigen Bestseller der Autorin Taffy Brodesser-Akner, die auch das Drehbuch zur Serie geschrieben hat. Und ja, die Serie dreht sich hauptsächlich um First-World-Problems – um die Sorgen und Ängste von materiell bessergestellten Fortysomethings, die Karriere gemacht haben, Eigentum besitzen und geliebt werden. Sie leiden an sich selbst, an ihren Zweifeln, ob sie in ihrem Leben den richtigen Weg eingeschlagen haben und ob sie noch etwas daran ändern können. Sie sind unsicher, narzisstisch, selbstgerecht, aber eben auch keine bösen Menschen. Im Gegenteil: Sie wollen gerne gute Menschen sein – was auch immer das bedeutet – und streben nach einem Leben, das sie wahrhaft glücklich macht.
Eine der grossen Stärken dieser Serie besteht darin, dass es Brodesser-Akner gelungen ist, ihre Figuren trotz aller Makel stets menschlich erscheinen zu lassen. Der Ton der Serie schwankt dabei zwischen Woody–Allen– und Noah–Baumbach-Flair, der Tragikomik eines «Garden State» (2004) mit einer Prise «Sex and the City» (1998–2004). Der Blick auf die Figuren ist dabei von einer manchmal fast schmerzlichen Ehrlichkeit geprägt, aber immer auch von grosser Sympathie.
«Gemeinsam mit dem Publikum legt Libby im Verlauf der Geschichte immer mehr Schichten frei, und was darunter zutage tritt, ist geprägt von Grautönen.»
Während die Handlung zu Beginn ganz aus der Perspektive Toby Fleishmans erzählt wird, verschiebt sich der Blickwinkel im Verlauf der zweiten Serienhälfte nach und nach und stellt damit das bis dahin gezeichnet Bild der Figuren und Ereignisse infrage. Libby kommt hierbei eine Doppelrolle zu: Sie ist nicht nur Protagonistin, sondern auch Erzählerin des Geschehens. Gemeinsam mit dem Publikum legt sie im Verlauf der Geschichte immer mehr Schichten frei, und was darunter zutage tritt, ist geprägt von Grautönen.
Jesse Eisenberg («The Social Network», «Zombieland: Double Tap») gelingt es scheinbar mühelos, die unterschiedlichen, sich teils widersprechenden Seiten seiner Figur in sich zu vereinen. Im Verlauf der achtteiligen Serie ist es weniger Toby, der eine Wandlung durchmacht als vielmehr der Blick des Publikums auf ihn. Das funktioniert darum so gut, weil Eisenberg all die Facetten zwar von Anfang an in Toby anlegt, sie aber erst durch den sich ändernden Fokus der Erzählperspektive für das Publikum deutlich zum Vorschein kommen.
Nicht weniger wichtig für das Funktionieren der Erzählung ist Lizzy Caplan («Mean Girls», «Now You See Me 2») in ihrer Doppelfunktion als Erzählerin und Protagonistin. Als Erzählerin punktet sie mit einer angenehmen und nuancierten Stimme, mit der sie den Ton der Serie entscheidend mitprägt. Schauspielerisch wiederum tritt sie vor allem in der zweiten Serienhälfte in den Fokus. Zwar werden in der Darstellung von Libbys Werdegang einige Klischees bedient, doch es gelingt Caplan dennoch, auch in den etwas abgeschmackten Momenten ihrer Figur die nötige Menschlichkeit zu verleihen und die Zerrissenheit zwischen Pflichtgefühl der eigenen Familie gegenüber und dem Drang nach einem anderen Lebensmodell spürbar zu machen.
«Doch eine Darbietung sticht ganz besonders hervor: die von Claire Danes. Während ihre Figur den grössten Teil der Geschichte als Quasi-Bösewichtin herhalten muss, darf sie in der vorletzten Episode zeigen, was in ihr steckt.»
Doch eine Darbietung sticht ganz besonders hervor: die von Claire Danes («Romeo + Juliet», «The Essex Serpent»). Während ihre Figur den grössten Teil der Geschichte als Quasi-Bösewichtin herhalten muss, darf sie in der vorletzten Episode zeigen, was in ihr steckt – und das Publikum erfährt mehr darüber, was in dieser scheinbar so kalten, herrischen Karrierefrau tatsächlich vorgeht. Insbesondere die Szene, in der die Geburt eines ihrer beiden Kinder behandelt wird, bleibt in Erinnerung, da sie sich auf düstere Art und Weise mit ärztlicher «Geburtshilfe» und den Folgen dadurch erlittener Traumata auseinandersetzt. Was Danes hier leistet, ist eine schmerzliche Tour de Force, die der Serie letztlich eine völlig neue Ebene verleiht.
«Trotz kleinerer Schwächen bietet Brodesser-Akners Adaption ihres eigenen Romans eine äusserst gelungene, mit Humor und Empathie erzählte Reflexion über die Suche nach dem Glück jenseits der 40.»
An der ein oder anderen Stelle hätte «Fleishman Is in Trouble» eine Straffung der Erzählung wahrscheinlich gutgetan. So verliert sich die Serie hie und da zu sehr in der eigenen Geschwätzigkeit oder räumt einzelnen Handlungssträngen, deren Witz im Grunde längst auserzählt ist, zu viel Raum ein. Auch einige der inszenatorischen Mätzchen – etwa die ostentativen Kopfüber-Kamerafahrten – hätte es nicht unbedingt gebraucht. Doch trotz dieser kleineren Schwächen bietet Brodesser-Akners Adaption ihres eigenen Romans eine äusserst gelungene, mit Humor und Empathie erzählte Reflexion über die Suche nach dem Glück jenseits der 40, umgeben von Selbstzweifeln und Lebenskrisen.
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Serienfakten: «Fleishman is in Trouble» / Creator: Taffy Brodesser-Akner / Regie: Jonathan Dayton, Valerie Faris, Alice Wu, Shari Springer Berman, Robert Pulcini / Mit: Jesse Eisenberg, Claire Danes, Lizzy Caplan, Adam Brody, Meara Mahoney Gross, Maxim Swinton / USA / 8 Episoden à 43-67 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © 2024 Disney und seine verbundenen Unternehmen.
«Fleishman Is in Trouble» legt die Zweifel, Ängste und Sehnsüchte von Fortysomethings auf den Seziertisch. Klug, witzig und nachdenklich – wenn auch hie und da etwas gar geschwätzig.
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