Wir präsentieren fünf grossartige animierte Fernsehserien, welche die leider immer noch allzu strikt definierten Grenzen zwischen «für Kinder» und «für Erwachsene» sprengen.
Wie so oft, wenn es um das Medium der Animation geht, gibt es auch bei den Zeichentrickserien eine scheinbare Unterteilung in intellektuell anspruchsvolle, «erwachsene» Serien und bunte und didaktische Spektakel, die für ein Kinderpublikum erdacht wurden – quasi «Rick and Morty» und «BoJack Horseman» versus «Peppa Pig» und «PAW Patrol».
Diese Unterteilung funktioniert allerdings nicht immer so einfach, und gerade einem erwachsenen Publikum gehen dabei viele Perlen durch die Lappen. Die folgenden Serien zielen, auf den ersten Blick, auf Kinder ab, zeichnen sich aber durch packende Geschichten, wunderbaren Humor, tiefgründige Gedanken, komplexe Referenzen und/oder einen einzigartigen Animationsstil aus und sind so ideal für einen einsamen Serienmarathon oder einen Streaming-Nachmittag mit der ganzen Familie.
«Over the Garden Wall» von Patrick McHale
Mit nur zehn Episoden à zehn Minuten hat Patrick McHales Kreation lediglich die Länge eines durchschnittlichen Spielfilms – was aber nicht heisst, dass sie deswegen an Spannung und Tiefe einbüsst: Die Reise der Brüder Wirt (Elijah Wood) und Greg (Collin Dean) durch einen märchenhaft unheimlichen Wald ist ein ungemein fesselndes, poetisches und atmosphärisches Gesamtkunstwerk. Die Animation verdichtet Inspirationen von frühen Disney-Shorts und Garden-Hose-Animation, Ghibli-Figuren und alten Kinderbuchillustrationen zu einem eigenen, wundersam düsteren Stil, der einen abwechselnd ins Staunen versetzt und kalte Schauer über den Rücken jagt. Das Stimmenensemble um Wood und Dean ist mit Christopher Lloyd, John Cleese und Tim Curry äusserst prominent und talentiert besetzt und erweckt eine schauerlich schöne Figurensammlung zum Leben. Und nicht zuletzt ist da noch die Musik: mal melancholisch, mal lieblich, mal albern, mal beklemmend – doch immer so eingängig und berührend, dass man nach dem Ende der Serie gleich die Playlist suchen oder gar die LP bestellen möchte.
«Die Reise der Brüder Wirt und Greg durch einen märchenhaft unheimlichen Wald ist ein ungemein fesselndes, poetisches und atmosphärisches Gesamtkunstwerk.»
Seit Kurzem leider nicht mehr auf Netflix verfügbar, dafür auf DVD und BluRay erhältlich
«Gravity Falls» von Alex Hirsch
Alex Hirschs Serie, zwischen 2012 und 2016 für den Disney Channel produziert, folgt während zwei Staffeln den Erlebnissen der zwölfjährigen Zwillinge Dipper (gesprochen von Jason Ritter) und Mabel (Kristen Schaal), die einen Sommer bei ihrem grantigen Onkel Stan (Hirsch selbst) in den Wäldern Oregons verbringen. Konfrontiert werden sie dabei mit mysteriösen Ereignissen, Familiengeheimnissen, Monstern und Verschwörungstheorien – quasi «Twin Peaks» im Kinderformat. Die Geschichte beginnt mit scheinbar wenig zusammenhängenden Episoden, nimmt aber bald Fahrt auf und lässt einen mit einem atemberaubenden Serienfinale zurück, das alle Fäden gekonnt zu einem surrealen Ganzen zusammenspinnt. Hervorzuheben sind die liebenswert extravaganten Hauptfiguren, der ikonische Bösewicht Bill Cipher (ein einäugiges Dreieck mit Zylinder und Hut, das – selbstverständlich – von der Weltherrschaft träumt) und der Humor, der sich – absurd, ironisch und voller Running-Gags – irgendwo zwischen den «Simpsons» und «Rick and Morty» bewegt.
«Quasi ‹Twin Peaks› im Kinderformat.»
Verfügbar auf Disney+
«Steven Universe» von Rebecca Sugar
Rebecca Sugars Geschichte über Steven, einen Jungen mit Superkräften, und seine Adoptivfamilie von monsterbekämpfenden Edelsteinen aus dem All ist eine Ode an Empathie, Freundschaft und Familie, Liebe ohne (Gender-)Grenzen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Doch nicht nur deswegen eignet sich «Steven Universe» gerade jetzt ideal als Binge-Material: Die Welt und die Mythologie, die Sugar erschafft, sind fesselnd und deuten von Beginn an immer wieder ein grösseres Ganzes an, das sich im Verlauf der Serie in seiner ganzen emotionalen und narrativen Komplexität offenbart. So laden die Folgen, die grösstenteils in einer idyllischen, pastellfarbenen Küstenstadt spielen, abwechselnd entweder zum gemütlichen, realitätsfernen Tagträumen ein oder lassen in überraschenden Wendungen den Adrenalinspiegel nach oben schnellen. Ganz nebenher geht es dabei auch um Trauma, Kriegsverbrechen und die Erkenntnis, dass Erwachsene tief von Erinnerungen, Fehlern, Verlusten und Reue gezeichnet sind – wie man das von einer guten Kindersendung eben erwartet.
«Eine Ode an Empathie, Freundschaft und Familie, Liebe ohne (Gender-)Grenzen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.»
Staffeln 1 und 5 auf Netflix verfügbar
«Hilda» von Luke Pearson
Die Comicbuch-Adaption von Luke Pearson ist definitiv der kindlichste Eintrag auf dieser Liste – was die Serie allerdings nicht weniger charmant macht, auch für ein älteres Publikum. Einmal mehr steht ein aufgewecktes Kind im Zentrum, das in einer Welt voller Fabelwesen zuhause ist: Hilda (die als Lyanna Mormont aus «Game of Thrones» bekannte Bella Ramsay) ist soeben mit ihrer Mutter vom magischen Land in die Kleinstadt Trollburg gezogen und muss sich dort, wo Elfen, Trolle und Riesen nur aus Fabeln bekannt sind, in Anpassung üben – selbstverständlich mit mässigem Erfolg. Der Comic-Stil mit seinen sanften Farben ist unglaublich ästhetisch, und die Stimmung erinnert entfernt an Hayao Miyazakis «Kiki’s Delivery Service» (1989): von den lichtdurchfluteten, skandinavisch anmutenden Strassen über die tiefen Kinderfreundschaften bis hin zu den melancholischen Momenten des Aufwachsens und den Augenblicken tiefen Glücks im Angesicht der Magie in der Welt.
«Der Comic-Stil mit seinen sanften Farben ist unglaublich ästhetisch, und die Stimmung erinnert entfernt an Hayao Miyazakis ‹Kiki’s Delivery Service›.»
Verfügbar auf Netflix
«DuckTales» von Matt Youngberg und Francisco Angones
Ob man mit dem Original (und/oder einem ganzen Regal von «Lustigen Taschenbüchern») aufgewachsen ist oder nicht: Der «DuckTales»-Reboot macht unglaublich viel Spass. Dagobert, Donald und Co. werden – so weit, so bekannt – auf rasante Abenteuer à la «Indiana Jones» rund um den Globus geschickt und treffen auf bekannte Bösewichte wie die Panzerknacker, die es schon seit Jahrzehnten auf Goldtaler abgesehen haben. Dabei wird das Ganze aber, mitsamt zahlreichen Anspielungen, viel Nostalgie und Achtung vor dem Original, wunderbar für die 2010er Jahre adaptiert: Die Dialoge sind schnell und pointiert, sprühen vor übermütigem (Internet-)Humor und werden vom Sprechensemble um David Tennant («Doctor Who»), Danny Pudi (Abed aus «Community») und Ben Schwartz (Jean-Ralphio aus «Parks and Recreation») mit stets perfektem Timing und jeder Menge Augenzwinkern vorgetragen. Der Zeichenstil erinnert nun mehr denn je an liebevoll zerlesene Comicbücher und bietet viel Raum für absurden visuellen Klamauk. Und nicht zuletzt darf Webbigail (Kate Micucci), die gewitzte Freundin von Tick, Trick und Track, endlich auch mit auf die Abenteuer und muss nicht alleine daheim versauern. DuckTales – woo-hoo!
«Der Zeichenstil erinnert nun mehr denn je an liebevoll zerlesene Comicbücher und bietet viel Raum für absurden visuellen Klamauk.»
Staffel 1 auf Disney+ verfügbar
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Bild-, Trailer- und Videoquellen: Disney, Cartoon Network Studios, Warner Bros. Television Distribution, Netflix
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