Mit «Furiosa: A Mad Max Saga» bringt George Miller das lang ersehnte Prequel zu «Mad Max: Fury Road» in die Kinos. Der Film erzählt die Ursprünge von Imperator Furiosa und erweitert das «Mad Max»-Universum um neue Dimensionen.
Neun Jahre ist es her, seit Regisseur George Miller («Happy Feet», «Three Thousand Years of Longing») die Welt mit dem wohl besten Actionfilm der Neuzeit beglückte. Sein Epos «Mad Max: Fury Road» sprengte Konventionen des Genres und galt sofort als Klassiker. Meisterhaft schaffte es Miller, eine 120-minütige Verfolgungsjagd durch die Wüsten des Wastelands mit facettenreichen Charakteren und umfassender Folklore zu füllen. Es war eine Achterbahnfahrt durch die Hölle, ein grell leuchtendes Chaos, eine Mischung aus Richard Wagners «Walkürenritt» und Rudimentary Penis «Rotten to the Core». Nun, fast ein Jahrzehnt später, kommt mit «Furiosa: A Mad Max Saga» das langersehnte Prequel zu «Fury Road».
Diese Saga erstreckt sich über 15 Jahre und folgt der jungen Furiosa, gespielt von Anya Taylor-Joy («The Northman», «The Menu»). Als kleines Mädchen wird sie von einer Bikergang unter der Führung des Kriegsherrn Dementus (Chris Hemsworth) entführt. Auf ihrer Reise durch die Ödnis trifft sie schliesslich auf die Zitadelle von Immortan Joe (Lachy Hulme), wo sie zur mutigen Kriegerin heranwächst. Als Furiosa erwachsen wird, navigiert sie die brutale Welt der Wastelands, sucht Rache und Gerechtigkeit und kämpft zwischen Hoffnung und Verzweiflung.
Was im Vergleich zu den anderen «Mad Max»-Filmen untypisch ist: «Furiosa» ist in fünf Kapitel unterteilt, die klar voneinander getrennt sind. Jedes Kapitel zeigt Furiosa in einem neuen Lebensabschnitt und lässt das Publikum an ihrer Entwicklung teilnehmen. Gleichzeitig taucht man tiefer und tiefer ins «Mad Max»-Universum ein und lernt die Politik und Kultur der postapokalyptischen Wüste kennen.
Denn die unendlichen Weiten der Wastelands wirken zwar ausgestorben, stecken aber trotzdem voller Leben. Bereits für Vorgänger «Fury Road» arbeiteten Regisseur George Miller und Co-Autor Nico Lathouris 15 lange Jahre an der Welt von Mad Max – der titelgebenden Figur, die Mel Gibson einst zum Star gemacht hatte. Figuren wurden entwickelt, Mythen erforscht, Kulturen gefestigt. Immortan Joe ist der Herrscher der Zitadelle, wo er reiches «Aqua Cola» pumpt, seine «War Boys» kämpfen «Fukushima Kamakrazee» und träumen davon, nach «Valhalla» zu kommen. Dieser riesige Fundus an «Mad Max»-Lore wird in «Furiosa» köstlich präsentiert und ist die grösste Stärke des Films.
«Dieser riesige Fundus an Mad Max›-Lore wird in ‹Furiosa› köstlich präsentiert und ist die grösste Stärke des Films.»
«Show, don’t tell», gilt als goldene Filmregel – und muss wohl ein Mantra von Miller sein. Während in «Fury Road» die «Show» nur als Mittel zum Zweck diente, wird sie im Sequel zum heimlichen Hauptdarsteller. Immer wieder wird auf Figuren fokussiert, die im Vorgänger nur am Rande vorkamen. So konzentriert sich «Furiosa» beispielsweise ausgiebig auf die «Bullet Farm» und «Gas Town», die im Vorgänger nur erwähnt wurden, und zeigt, wie komplex die Wastelands aufgebaut sind. Diese visuelle Darstellung und das Worldbuilding in «Furiosa» sind spektakulär und episch.
Miller zeigt seine Welt jedoch nicht nur im Grossen, sondern auch im Kleinen. Zum Beispiel sieht man, wie Furiosa ihren Roboterarm mittels Seilzugstarter wie eine Motorsäge aktiviert. Es ist nur eine nette kleine Szene, die bei anderen Filmemacher*innen wohl im Schnittraum-Papierkorb gelandet wäre. Doch Miller zeigt dieses relativ unwichtige Detail und haucht der Figur dadurch noch mehr Leben ein.
Apropos Leben: Wenn jemand ins «Mad Max»-Universum gehört, dann ist es Chris Hemsworth («Thor: Love and Thunder», «Avengers: Endgame»). Der Australier spielt den charismatischen Bikergang-Anführer Dementus wunderbar ulkig und verleiht der düsteren Welt von Mad Max die sie typische humorvolle Note. Auf seinem Streitwagen, gezogen von drei Motorrädern, kutschiert er mit seiner Bikerhorde durch die postapokalyptische Wüste: ein Chef, der im Grunde gar nicht Chef sein will und viel lieber Blödsinn treibt. Ein Typ, der halt irgendwie in einer Kaderposition gelandet ist und nun durch seine Karriere eiert.
Mit seiner nasalen Stimme und seiner strahlenden Inkompetenz erinnert Dementus fast schon ein wenig an Michael Scott (Steve Carell) aus «The Office» (2005–2013). «Alle geben mir die Schuld», jammert er und sorgt für Lacher. Hemsworth muss einen saumässigen Spass gehabt haben, diese drollige Rolle zu spielen. Dennoch – dank Hemsworths Disziplin oder der Führung von Miller – rutscht Dementus nicht in ein Slapstick-Chaos und bleibt in der Realität des «Mad Max»-Universums verankert.
«Mit seiner nasalen Stimme und seiner strahlenden Inkompetenz erinnert Dementus fast schon ein wenig an Michael Scott aus ‹The Office›.»
Anya Taylor-Joy ist nicht nur verankert; sie ist quasi einbetoniert. In typischer «Mad Max»-Manier spricht sie als Hauptfigur nämlich kaum und kommuniziert viel eher durch ihre riesigen Katzenaugen. Ihre Darstellung zeigt eine dunkle Tiefe und nackte Verletzlichkeit. Obwohl sie in dieser Rolle eine starke emotionale Performance liefert, fehlt ihr die physische Präsenz, die Charlize Theron als Furiosa in «Fury Road» auszeichnete. Während Theron wohl wirklich jede*n verkloppen könnte, wirkt Taylor-Joy mit ihrer ballerinaartigen Figur kaum überlebensfähig in den Wastelands.
Ein weiterer, wenn auch nur kleiner, Kritikpunkt ist ihre Bald-Cap: Anders als Theron hat sich Taylor-Joy als Furiosa nicht den Kopf geschoren und trägt eine Glatzenattrappe. Gemäss eigenen Angaben wollte die Schauspielerin unbedingt eine echte Glatze haben, wurde aber von Miller daran gehindert, weil sie so wunderschönes Haar habe (wer’s glaubt…). Auch wenn das Imitat nicht einmal so unecht wirkt, scheint ihr Kopf dadurch trotzdem geschwollen, was irritierend wirkt. Es ist ein Anblick, der stark an Austin Butler erinnert, der für «Dune: Part Two» für dieselbe Make-up-Technik optierte und eine ähnlich fadenscheinige Ausrede verwendete.
Haarsträubend wirkt zudem der episodenartige Aufbau der Geschichte. Der Plot des Vorgängers «Mad Max: Fury Road» könnte simpler kaum sein: Die Protagonist*innen müssen von A nach B kommen (und wieder zurück). Das Geniale an diesem Film war jedoch das zunehmende, kaum je abbrechende Tempo. «Furiosa» lässt leider keinen solchen Geschwindigkeitsrausch zu, da der Film bei jedem Kapitel eine Vollbremsung einlegt.
Besonders auffallend ist dabei das Ende, das ohne grosse Explosionen auskommt und stattdessen einen Dialog liefert – ein Duell mit Worten, das wohl feurig sein sollte, aber eher halbgar serviert wird. Schade, denn ein «Mad Max»-Film verdient ein pikantes Finale und nicht einen lauwarmen Griessbrei. Rhythmuswechsel wie diese wären weniger störend, wäre wenigstens eine klare erzählerische Zielsetzung erkennbar; doch leider fühlen sich die verschiedenen Episoden teils künstlich überdehnt oder sogar aufgeblasen an. Die beeindruckenden visuellen Effekte und intensiven Actionszenen sind da – und sie sorgen einmal mehr für puren Kinospass –, aber sie wirken weitaus weniger dringlich als in früheren Teilen.
«Die beeindruckenden visuellen Effekte und intensiven Actionszenen sind da – und sie sorgen einmal mehr für puren Kinospass –, aber sie wirken weitaus weniger dringlich als in früheren Teilen.»
Das alles ist aber Kritik auf hohem Niveau. Denn woran «Furiosa» am meisten leidet, sind die Vergleiche zu «Fury Road». Auch wenn das Sequel nicht mit seinem Vorgänger mithalten kann, ist und bleibt es ein Film voller grenzenloser Kreativität: eine Welt, die im Chaos versinkt, eine Geschichte, die wahnsinnig wirkt, ein Film, der schon alleine durch seine Existenz Pluspunkte verdient hat. George Miller ist ein Mann mit einer einzigartigen Vision und reiht sich ein in die ewige Hall of Fame der exzentrischen, einzigartigen Filmemacher*innen ein. Viele Regisseure hätten wohl «Happy Feet» drehen können, aber nur George Miller konnte «Mad Max» drehen.
Über «Furiosa: A Mad Max Saga» wird auch in Folge 74 des Maximum Cinema Filmpodcasts diskutiert.
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Kinostart Deutschschweiz: 24.5.2024
Filmfakten: «Furiosa: A Mad Max Saga» / Regie: George Miller / Mit: Anya Taylor-Joy, Chris Hemsworth, Tom Burke, Lachy Hulme, Nathan Jones, Josh Helman / Australien, USA / 148 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © Warner Bros. Entertainment Switzerland GmbH
«Furiosa: A Mad Max Saga» erweitert die «Mad Max»-Reihe mit beeindruckender Kreativität und visionärer Kraft. Trotz gewisser Schwächen bietet der Film visuell beeindruckendes Kino.
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