«Guardians of the Galaxy Vol. 3» ist der mit Abstand beste Film, den das Marvel Cinematic Universe (MCU) seit dem grossen Franchisen-Reset 2019 zustande gebracht hat – und zugleich ein wunderbares Fallbeispiel für die Stärken und Schwächen von Regisseur James Gunn, der unlängst zum Marvel-Konkurrenten DC abgewandert ist.
Schon seit ihrem Leinwanddebüt 2014 sind die «Guardians of the Galaxy» einer der grossen Trümpfe des MCU. In einer Franchise, in der inzwischen fast jeder Film auch ein Teaser für zukünftige Crossover-Abenteuer ist, war die bunt zusammengewürfelte Truppe aus interstellaren Outlaws immer so etwas wie der ruhende Pol: Während Captain America, Iron Man, Spider-Man, Black Panther und all die anderen Superheld*innen damit beschäftigt waren, die Erde vor allerlei Bedrohungen zu beschützen – und sich dabei so oft in die Quere kamen, dass bald jeder neue MCU-Titel ein «Avengers»-Film war –, gondelten die dysfunktionalen Guardians in ihren ersten beiden eigenen Filmen munter durch die Galaxie und nahmen es mit vergleichsweise originellen Problemen auf.
Ja, Über-Bösewicht Thanos machte sich in «Guardians of the Galaxy» erstmals so richtig bemerkbar – doch diese Anbindung an die übergeordnete Serien-Kontinuität ging angesichts der neuen Settings, der schrillen Alien-Designs und der Tatsache, dass Thanos‘ Adoptivtochter bei den Guardians anheuerte, fast schon unter. Und auch «Guardians of the Galaxy Vol. 2» (2017) bestach mit spannenden neuen Figuren und fantasievollen Exkursionen in fremde Welten.
«Regisseur und Drehbuchautor James Gunn war von Anfang an die treibende kreative Kraft hinter der ‹Guardians›-Reihe und war sichtlich darum bemüht, seinen Filmen eine visuelle, erzählerische und emotionale Identität zu geben – eine Seltenheit im MCU.»
Der Erfolg hinter diesen willkommenen Verschnaufpausen inmitten des Marvel’schen Franchisenrummels hat einen Namen: Regisseur und Drehbuchautor James Gunn war von Anfang an die treibende kreative Kraft hinter der «Guardians»-Reihe und war sichtlich darum bemüht, seinen Filmen eine visuelle, erzählerische und emotionale Identität zu geben – eine Seltenheit im MCU, auf dessen Regiestühlen sich neben stilistisch anonymen Auftragsarbeitern wie Peyton Reed («Ant-Man») in der Regel nur teppichetagennahe Produzenten-Regisseure wie Jon Favreau («Iron Man») und die Russo-Brüder («Captain America: Civil War») länger halten.
Entsprechend gross war die Fan-Konsternierung, als Gunn 2018 aufgrund von geschmacklosen Tweets aus den späten 2000er Jahren, in denen er Witze über Pädophilie und Vergewaltigungen gerissen hatte, von Marvel entlassen wurde. Doch die Entscheidung sollte keine vier Monate Bestand haben: Kaum hatte er beim Disney– und Marvel-Konkurrenten Warner Bros. angeheuert, um die DC-Comicverfilmung «The Suicide Squad» (2021) zu übernehmen, wurde ihm mitgeteilt, dass er seine «Guardians»-Trilogie nun doch selber beenden könne. Und dabei wird es für den Moment auch bleiben: Gunn wurde im November letzten Jahres zum Co-CEO der DC-Filmabteilung ernannt.
Dass das alles andere als gute Nachrichten für Disney und Marvel sind, macht «Guardians of the Galaxy Vol. 3» mehr als deutlich. Seit nunmehr vier Jahren – also seit mit «Avengers: Endgame» (2019) ein neues Superheld*innen-Zeitalter eingeläutet wurde – serbelt das MCU vor sich hin und produziert einen Fehlschuss nach dem anderen. Hin und wieder ist ein Film mit kreativer Vision und nicht ausgeschöpftem Potenzial dabei – «Eternals» (2021) von Oscargewinnerin Chloé Zhao («Nomadland») ist das beste Beispiel –, doch es überwiegen lieblos, ja geradezu stümperhaft zusammengeschusterte Greenscreen-Orgien wie «Thor: Love and Thunder» (2022) oder «Ant-Man and the Wasp: Quantumania» (2023), in denen sich Figuren in massiv über- oder unterbeleuchteten Räumen mit abgedroschenen Flachwitzen berieseln.
Ganz anders «Guardians of the Galaxy Vol. 3»: Gunn zieht zum Abschluss noch einmal alle Register und erinnert das Publikum daran, dass sich Marvel-Filme nicht grundsätzlich wie Hausaufgaben anfühlen müssen, die es durchzustehen gilt, um beim nächsten Mal erzählerisch nicht auf verlorenem Posten zu stehen.
«Gunn zieht zum Abschluss noch einmal alle Register und erinnert das Publikum daran, dass sich Marvel-Filme nicht grundsätzlich wie Hausaufgaben anfühlen müssen, die es durchzustehen gilt, um beim nächsten Mal erzählerisch nicht auf verlorenem Posten zu stehen.»
Und er schafft das, ohne erzählerisch das Rad neu zu erfinden. Im Gegenteil: Die Mission, die den Guardians hier ins Haus steht, ist eine ziemlich plumpe MacGuffin-Jagd nach Schema F. Der Held*innen-Trupp, bestehend aus dem Erdling Star-Lord (Chris Pratt), dem schiesswütigen Waschbären Rocket (Bradley Cooper), dem simpel gestrickten Muskelprotz Drax (Dave Bautista), der bekehrten Thanos-Supersoldatin Nebula (Karen Gillan), der Gefühle manipulierenden Mantis (Pom Klementieff) und dem einsilbigen Baum-Alien Groot (Vin Diesel), hat sich im Weltraum-Auffanghafen Knowhere niedergelassen. Eines Tages kracht der goldene Schläger Warlock (Will Poulter) durch den Schutzschild, versetzt Rocket ins Koma und kann nur mit Mühe wieder vertrieben werden. Um ihren pelzigen Freund retten zu können, müssen die Guardians aber einen Weg finden, um den «Killswitch» zu umgehen, der vor Jahren an Rockets Herz angebracht worden zu sein scheint. Also bitten sie die Piratin Gamora (Zoe Saldaña), eine alternative Version jener Gamora, die bis zu ihrem gewaltsamen Tod mit Star-Lord zusammen war, darum, mit ihnen den Code zu stehlen, mit dem Rockets Todesknopf ausgeschaltet werden kann.
Doch das ist alles andere als einfach: Wie sich herausstellt, war Rocket einst die Herzensangelegenheit des High Evolutionary (Chukwudi Iwuji) – einem Wissenschaftler, der von der Idee besessen ist, die perfekte Gesellschaft mit der perfekten Lebensform zu kreieren.
Nicht nur ist das, zumindest auf dem Papier, ein Plot von der algorithmischen Gestalt; der zweieinhalbstündige Film braucht auch gut 25 Minuten, bis er richtig in die Gänge kommt. Vorher dominiert nämlich der ungelenke Expositionsdialog, der, so hört es sich an, selbst Gunns sonst so gut aufgelegte Schauspieler*innen in Langeweile versetzt.
«Der Qualitätsunterschied zwischen ‹Guardians of the Galaxy Vol. 3› und einem durchschnittlichen Marvel-Projekt aus den 2020er Jahren ist praktisch von der ersten Szene an unübersehbar.»
Und dennoch ist der Qualitätsunterschied zwischen «Guardians of the Galaxy Vol. 3» und einem durchschnittlichen Marvel-Projekt aus den 2020er Jahren praktisch von der ersten Szene an unübersehbar. Hier streift Rocket in einer langen Einstellung gedankenverloren durch Knowhere – vorbei an heimelig-rostigen Stahlbauten, vorbei am gutmütigen Kraglin (Sean Gunn), der wieder einmal mit dem sprechenden Hund Cosmo (Maria Bakalova) kabbelt, hinein ins Raumschiff der Guardians, wo Star-Lord gerade «seiner» Gamora nachtrauert. Der Eindruck, den dieser Spaziergang hinterlässt: Dieser Film spielt in einer lebendigen Welt, die man anfassen kann, in der es versteckte Winkel gibt, in der eine Figur ohne Schnitt von A nach B laufen kann.
Natürlich wurde auch in dieser Eröffnungsszene digital nachgeholfen – immerhin ist Rocket selber ein CGI-Konstrukt. Doch nach so visuell tiefenlosen Filmen wie «Spider-Man: No Way Home» (2021), «Love and Thunder», «Quantumania» oder sogar dem ansonsten nicht ganz reizlosen «Black Panther: Wakanda Forever» (2022) wirkt der simple Anblick eines begehbaren, haptisch wirkenden Science-Fiction-Sets äusserst erfrischend.
Die erste Hälfte von «Guardians of the Galaxy Vol. 3» bietet gleich mehrere solcher Erlebnisse – von der herrlich fleischigen Architektur einer Raumstation über die grellen Kostüme und poppigen Farben eines Google-artigen Weltraumlabors bis hin zum stimmungsvoll ausgeleuchteten Gefängniskomplex, in dem Rocket seine Jugend verbrachte. Selbst die Actionsequenzen sind so sauber wie schon lange nicht mehr bei Marvel: An die Stelle von bis zur Inkohärenz zerschnittenen Prügeleien treten hier nachvollziehbare Choreografien. Die Höhen eines «RRR» (2022) oder eines «John Wick»-Kapitels mögen hier nicht erreicht werden, aber der Unterschied zum hauseigenen Standard ist dramatisch – auch dank des für Marvel-Verhältnisse eher hohen Blutzolls, welcher die sonst so sterile, oftmals verwirrend konsequenzenlose Comic-Gewalt in einen fassbaren physischen Zusammenhang stellt. Es ist eine Anleihe aus dem DC-Universum, und besonders Gunns eigenem «The Suicide Squad», die sich bezahlt macht.
«Die Action-Höhen eines ‹RRR› oder eines ‹John Wick›-Kapitels mögen hier nicht erreicht werden, aber der Unterschied zum hauseigenen Standard ist dramatisch.»
Die Enttäuschung darüber, dass der Film visuell konventioneller, also tendenziell dämmriger und pixeliger, wird, je mehr er sich in Richtung Finale bewegt, wird indes dadurch abgefedert, dass Gunns Guardians einmal mehr beweisen, dass sie die charismatischsten Figuren des ganzen MCU sind. Nach dem eher holprigen Start fangen die Witze an, zu zünden; und die etablierten Beziehungen zwischen den ungleichen Protagonist*innen werden auf unterhaltsame Art und Weise weiterentwickelt. Gerade Karen Gillans grimmige Nebula darf mit neuen Gefühlswelten experimentieren; derweil die schon immer etwas asymmetrische Freundschaft zwischen Drax und Mantis, pünktlich zum Trilogie-Schluss, überraschend konsequent zu Ende gedacht wird.
Obwohl die Schlussviertelstunde eindeutig darauf bedacht ist, das Publikum in Erinnerungen schwelgen zu lassen und die originale Filmkonstellation der Guardians tränenreich zu verabschieden, steht «Guardians of the Galaxy Vol. 3» emotional ganz im Zeichen von Rocket Raccoon. Der Gunslinger-Waschbär, der zwischen 1976 und 2006 in gerade einmal zehn Comicgeschichten auftrat und seit 2014 zu einem der ganz grossen MCU-Breakout-Stars geworden ist, bekommt hier endlich seine schon länger angedeutete Hintergrundgeschichte – und sie ist genauso tragisch und brutal, wie man erwarten konnte.
Doch es sind nicht zuletzt Rockets anrührende Rückblenden, welche die Aufmerksamkeit auf Gunns filmemacherische Schwächen lenken. Denn der Film scheint nicht darauf zu vertrauen, dass die Figur aus eigener Kraft starke emotionale Reaktionen hervorrufen kann: Stattdessen setzt Gunn auf eine etwas gar manipulative Mischung aus sadistischen Trauer-Klischees und süssen, verschüchtert zitternden Tierbabys. Das mag den gewünschten Effekt erzielen – die Tränendrüsen werden aktiviert –, wirkt aber zunehmend plump.
«Obwohl Gunn und sein künstlerisches Team wesentlich bessere Arbeit leisten als ihre Marvel-Kolleg*innen in der jüngeren Vergangenheit, glänzen ihre auffälligsten Kreationen vor allem durch Imitation.»
Auch die visuelle Verve, mit der «Guardians of the Galaxy Vol. 3» in gewissen Sequenzen aufwartet, kommt nicht ganz ohne Abstriche aus. Denn obwohl Gunn und sein künstlerisches Team – insbesondere die Setdesign-Abteilung um Beth Mickle und Rosemary Brandenburg – wesentlich bessere Arbeit leisten als ihre Marvel-Kolleg*innen in der jüngeren Vergangenheit, glänzen ihre auffälligsten Kreationen vor allem durch Imitation. Das Labor, das die Guardians auf ihrer Suche nach dem rettenden Code für Rocket infiltrieren, rezikliert sowohl die «biologischen» Technologien, die man aus den Filmen von David Cronenberg («The Fly», «Crimes of the Future») kennt, als auch die Zukunftsmode, die in Stanley Kubricks Meisterwerk «2001: A Space Odyssey» (1968) zu sehen war. Anderswo werden Ridley Scotts Science-Fiction-Meilensteine «Alien» (1979) und «Blade Runner» (1982) zitiert; und auch George Lucas‘ «Star Wars» und James Camerons «Aliens» (1986) dürfen als Inspiration herhalten.
Der wiederholte Einsatz von langen Einstellungen und nachdrücklich inszenierten Nahaufnahmen wiederum setzt zwar einen bewussten Kontrast zu den schneller geschnittenen, eher auf das Einfangen mehrerer Figuren auf einmal bedachten MCU-Einträgen, ist aber in den seltensten Fällen von erkennbarer thematischer Bewandtnis – frei nach dem Motto: Hauptsache ästhetisch.
Mit solch auffälligen stilistischen Kniffen sowie Anspielungen an die prägenden Filmerlebnisse aus der eigenen Jugend zu kokettieren, ist natürlich nichts Verwerfliches. Doch bei einem jener Regisseure, die ganz besonders empfindlich reagierten, als Martin Scorsese 2019 seine Meinung zu Superheldenfilmen kundtat, wirken solche Gesten ein wenig wie ein verzweifelt übereifriger – und absolut unnötiger – Versuch, der cinephilen Szene etwas zu beweisen.
Gunns Schwächen als Filmemacher – von der überbordenden Zitierfreude bis zum inflationären Gebrauch von Popsongs – kann also auch «Guardians of the Galaxy Vol. 3» nicht aus der Welt schaffen. Gleichzeitig ist es aber auch eine Freude, dass im MCU überhaupt wieder einmal eine klar definierte persönliche Handschrift auszumachen ist. Darüber hinaus profitiert der Film auch von seinen unbestrittenen Stärken, insbesondere seinem Talent, die Dynamiken eines Figurenensembles effizient auszuloten und es durch einen stringent getakteten Plot zu führen.
«Gunns Schwächen als Filmemacher – von der überbordenden Zitierfreude bis zum inflationären Gebrauch von Popsongs – kann also auch ‹Guardians of the Galaxy Vol. 3› nicht aus der Welt schaffen. Gleichzeitig ist es aber auch eine Freude, dass im MCU überhaupt wieder einmal eine klar definierte persönliche Handschrift auszumachen ist.»
Entsprechend dürfte «Guardians of the Galaxy Vol. 3» ein zwiespältiger Segen für Marvel Studios sein. Zwar dürfen sie sich das erste Mal seit langem rühmen, einen überwiegend überzeugenden Film produziert zu haben, bei dem sich nicht zuallererst die Frage aufdrängt, wohin um Gottes willen denn das ganze Budget geflossen ist. Doch andererseits fusst diese Leistung auf der neunjährigen Vorgeschichte der Guardians, auf der Arbeit eines Regisseurs und Autors, der ungewöhnliche kreative Freiheiten genoss und Marvel bereits den Rücken gekehrt hat, und auf der Tatsache, dass hier so gut wie nichts unternommen wurde, um den Film in den übergeordneten MCU-Plot einzubetten. «Guardians of the Galaxy Vol. 3» ist ein Erfolg, der sich so wohl nicht wiederholen lässt.
Über «Guardians of the Galaxy Vol. 3» wird auch in Folge 59 des Maximum Cinema Filmpodcasts diskutiert.
–––
Kinostart Deutschschweiz: 3.5.2023
Filmfakten: «Guardians of the Galaxy Vol. 3» / Regie: James Gunn / Mit: Chris Pratt, Zoe Saldaña, Dave Bautista, Karen Gillan, Pom Klementieff, Vin Diesel, Bradley Cooper, Chukwudi Iwuji, Sean Gunn, Will Poulter, Elizabeth Debicki, Maria Bakalova, Sylvester Stallone, Linda Cardellini, Nathan Fillion / USA / 150 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © Marvel Studios. All Rights Reserved. © The Walt Disney Company Switzerland. All Rights Reserved.
James Gunns voraussichtlich letzter Marvel-Film – und der letzte Auftritt der «Guardians of the Galaxy» in dieser Konstellation – ist der beste Eintrag ins Marvel Cinematic Universe seit Jahren.
No Comments