Mit «Gut gegen Nordwind» erreicht die Briefromanze à la «The Shop Around the Corner» (1940) und «You’ve Got Mail» (1998) das 21. Jahrhundert: Der Adaption des gleichnamigen E-Mail-Romans von Daniel Glattauer gelingt die Visualisierung der Internetkommunikation nicht wirklich befriedigend; dafür punktet sie mit angenehmer Nostalgie.
Das Leben von Leo Leike (Alexander Fehling) gerät plötzlich ausser Kontrolle: Im einen Moment noch glücklich verliebt, gesteht ihm seine Freundin Marlene (Claudia Eisinger) im nächsten, dass sie sich mit einem anderen Mann trifft. Mit gebrochenem Herzen sitzt Leo in seiner Wohnung, betrachtet die deprimierenden Weihnachtslichter am Gummibaum und hört den gleichen melancholischen Song in Dauerschleife.
Da erklingt das Geräusch einer eingehenden E-Mail: Eine gewisse «E. Rothner» ist an die falsche Adresse geraten und möchte bei ihm ungehalten ein Zeitschriftenabonnement kündigen. Die Urheberin dieser Nachricht ist die wortgewandte Emmi (Nora Tschirner) und ihr einfacher Tippfehler erweist sich als schicksalhaft: Fortan schreiben sich die beiden täglich, schäkern, streiten und versöhnen sich und teilen unzählige intensive Momente und tiefe Geheimnisse in ihrer kleinen Internetwelt. Langsam, aber unaufhaltsam verlieben sie sich in das mysteriöse virtuelle Gegenüber, dessen Gesicht, Stimme und Lebenssituation sie nicht kennen.
Einen Roman zu adaptieren, der ausschliesslich aus E-Mails besteht, stellte Regisseurin Vanessa Jopp vor einige schwierige Entscheidungen: Wie visualisiert man am besten ein Gespräch, das ausschliesslich aus geschriebenen Worten besteht? Wie bettet man die Online-Konversation in ein lebhaftes und interessantes Umfeld ein, das im Roman stets hinter der E-Mail-Fassade verborgen bleibt? Und wie baut man für das Publikum eine romantische Intimität zwischen zwei Menschen auf, die einander nie physisch gegenüberstehen?
«In ihrem sanften Werben umeinander, in dem jegliche physische Interaktion fehlt, erhalten alltägliche Situationen ungeahnt poetisches Potenzial und Worte die Qualität von Berührungen.»
Vieles ist Jopp, nicht zuletzt dank ihrer charmanten Hauptdarsteller*, gelungen: Wenn die beiden – unterlegt mit stimmigem Soundtrack und Bildern in sanfter Instagram-Ästhetik – Plattitüden und Tiefgründiges in die Diktierfunktion ihres Telefons säuseln, entsteht tatsächlich ein intimes Gespräch, das räumliche Grenzen verwischt: In ihrem sanften Werben umeinander, in dem jegliche physische Interaktion fehlt, erhalten alltägliche Situationen ungeahnt poetisches Potenzial und Worte die Qualität von Berührungen.
«Trotz allem ist ‹Gut gegen Nordwind› ansprechendes und wenig sperriges Wohlfühlkino, das sein Publikum erreichen wird.»
Allerdings hadert der Film des Öfteren mit den Einschränkungen seiner Vorlage, beziehungsweise schafft es nicht, diese gänzlich überzeugend auf die Leinwand zu übersetzen: E-Mails sind kein visuell aufregendes Medium, und auch wenn Jopp ihre beiden Figuren für die Schreiberei ans Meer, in den Supermarkt oder auf einen Stadtspaziergang schickt, muss die Kamera doch meist statisch bleiben, in Close-ups mimisch minimale Reaktionen festhalten und den Charakteren beim Denken und Formulieren zusehen. Ausgefuchst ist die Bildkomposition selten, und hin und wieder fühlt man sich sogar so, als würde man den beruhigend sanften Klängen eines Hörbuchs lauschen, statt einen Film zu schauen. In einer Zeit, in der Filme wie «Searching» (2018) das visuelle Potenzial der Onlinekommunikation in innovativen Extremen ausloten, scheint Jopps Annäherung an eine virtuell geführte Liebschaft insgesamt etwas gar altbacken.
Trotz allem ist «Gut gegen Nordwind» ansprechendes und wenig sperriges Wohlfühlkino, das sein Publikum erreichen wird: Emmi und Leo beim Verlieben zuzuhören und -schauen, geht mit viel angenehmer Sehnsucht und Melancholie einher und erinnert nostalgisch an eine Zeit, in der klassische romantische Komödien das Kino beherrschten und das Internet noch um einiges simpler war.
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Kinostart Deutschschweiz: 12.9.2019
Filmfakten: «Gut gegen Nordwind» / Regie: Vanessa Jopp / Mit: Nora Tschirner, Alexander Fehling, Ulrich Thomsen, Lisa Tomaschewsky, Ella Rumpf, Claudia Eisinger, Eleonore Weisgerber, Moritz Führmann/ Deutschland / 118 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Sony Pictures Releasing Switzerland GmbH
Nora Tschirner und Alexander Fehling erwecken die literarischen Lieblinge Emmi und Leo zum Leben: zwar oft mehr Hörbuch als Film, dennoch angenehm sehnsüchtig.
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