Regisseur Steven Soderbergh liess nach dem Thriller «Unsane» die Filmkamera erneut links liegen und nahm seinen neuen Film «High Flying Bird» vollständig mit einem iPhone auf. Im Zentrum des Sportdramas steht der Spieleragent Ray (André Holland), der es mit der mächtigen US-Profibasketballiga aufnimmt. Soderbergh und Drehbuchautor Tarell Alvin McCraney («Moonlight») werfen einen kritischen Blick auf die Unterhaltungsmaschine NBA und stellen deren Machtstrukturen infrage.
Die Prämisse des Filmes wird bereits zu Beginn dargelegt: Zwei Afroamerikaner, der eine im eleganten Dreiteiler, der andere leger gekleidet, sitzen in einer schicken Bar. Ray (André Holland) ist ein schneidiger Sportagent und beruhigt seinen Klienten Erick (Melvin Gregg), ein aufstrebendes Basketballtalent: «Meinst du diese reichen, weissen Typen lassen den heissesten Sport der Welt sausen? Es steht zu viel Kohle auf dem Spiel.»
Erick ist beunruhigt, die Basketball-Profiliga NBA steht wegen eines sogenannten «lockouts» still. Solange sich die Teambesitzer und Spielergewerkschaften nicht über die Gehälter und Werberechte einigen können, finden weder Trainings noch Spiele statt. Und Erick erhält keinen Cent Gehalt.
Ray steht ebenfalls mit dem Rücken zur Wand, denn es fliesst kein Geld in die Sportagentur. Doch in der Not hat er eine Eingebung und heckt zusammen mit seiner ehemaligen Assistentin (Zazie Beetz) einen Plan aus. Sein Ziel ist, das ganze System des Profibasketballs aus seinen Grundfesten zu reissen, und ein neues zu erschaffen. Ein System, in dem die schwarzen Spieler auf dem Feld die Kontrolle haben, statt die weissen Besitzer in ihren VIP-Logen.
Die wahre Natur des Sports
«High Flying Bird» ist ein Sportdrama, das im Gegensatz zu «Jerry Maguire» (Cameron Crowe, 1996) oder «Any Given Sunday» (Oliver Stone, 1999) ganz ohne Sportszenen auskommt. Man sieht keine Athleten in Zeitlupe, es gibt keine heroische Ansprache des Coachs in der Umkleidekabine und kein Meisterschaftssieg in letzter Sekunde. Das Drama entfaltet sich abseits der Sportarenen in Bars, Limousinen, gläsernen Eingangshallen und Büroräumen. Die kalten Handlungsräume und die harten, digitalen iPhone-Bilder zeigen die wahre Natur des Sports auf, die sich einzig um den Dollar dreht.

Kyle MacLachlan (links) spielt einen NBA-Teambesitzer, Sonja Sohn (rechts) eine Spielergewerkschafterin.
Für André Holland ist es nach der brillanten (und leider abgesetzten) Serie «The Knick» die zweite Zusammenarbeit mit Soderbergh. Er verleiht dem Sportagenten eine Intensität und gewisse Ambivalenz, so dass man sich nicht ganz sicher ist, inwiefern Ray wirklich das System umkrempeln will, oder inwiefern er aus Eigennutzen handelt. Die Nebenrollen sind ebenfalls stark besetzt mit der charismatischen Zazie Beetz («Atlanta»), Sonja Sohn («The Wire») und Kyle MacLachlan («Twin Peaks»), der mit Gusto einen schleimigen Teambesitzer spielt.
Doch der eigentliche Star des Filmes ist das Drehbuch aus der Feder von Oscarpreisträger Tarell Alvin McCraney («Moonlight»). Seine smarten Dialogzeilen, von den Schauspielern z.T. in hohem Tempo vorgetragen, erinnern an den Schreibstil von Aaron Sorkin («The Social Network», «West Wing»), ohne vom Pathos seines Drehbuchkollegen Gebrauch zu machen.

Melvin Gregg (links) als Basketballtalent Erick, Zazie Beetz (rechts) als Assistentin Sam.
«High Flying Bird» blickt kritisch hinter die Kulisse des US-Profisports und entlarvt dessen ungleiche Strukturen: Wie die Footballliga NFL besteht auch die Basketballliga NBA mehrheitlich aus afroamerikanischen Spielern, wohingegen mehr als 90% der Teambesitzer weiss sind. Werbe-, Bild- und TV-Rechte – das ganze Machtgefüge des Profisports – spielt gänzlich in die Hände der Teambesitzer und der Liga. Soderbergh und McCraney wagen es, an diesem etablierten Gefüge zu rütteln und träumen von einem System, das sich nicht nach dem Profit der Besitzer und Ligen richtet, sondern im Dienste seiner Sportler steht.
«High Flying Bird» ist ein Sportdrama mit sprühendem Wortwitz, das vor allem in Hinblick auf die Proteste der schwarzen NFL-Spieler gegen Polizeigewalt, ein brandaktuelles Thema aufgreift.
Aufgrund der Sportbegriffe und den komplizierten Strukturen des US-Sports ist es stellenweise nicht ganz leicht, den Wortgefechten zwischen Teambesitzern, Sportagenten und Spielergewerkschaftern zu folgen. Nichtsdestotrotz ist «High Flying Bird» ein Sportdrama mit sprühendem Wortwitz, das vor allem in Hinblick auf die Proteste der schwarzen NFL-Spieler gegen Polizeigewalt, ein brandaktuelles Thema aufgreift.
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Zu sehen auf Netflix Schweiz.
Filmfakten: «High Flying Bird» / Regie: Steven Soderbergh / Mit: André Holland, Melvin Gregg, Zazie Beetz, Kyle MacLachlan / USA / 90 Minuten
Bild- Und Trailerquelle: Netflix
«High Flying Bird» rüttelt am Machtgefüge des US-Profisports und wartet mit einem starken André Holland in der Hauptrolle auf. Kenntnisse über US-Sportarten sind von Vorteil.
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