«Hive», das Langspielfilmdebüt von Regisseurin Blerta Basholli, zeichnet ein schonungsloses, aber auch hoffnungsvolles Bild vom Kosovo der Nachkriegszeit. Ein grossartiges, stilles Werk.
Fahrijes Mann wird seit dem Kosovokrieg vermisst, die Familie kann sich finanziell kaum über Wasser halten und die patriarchale Struktur verlangt, dass die Frauen zu Hause bleiben und sich um den Haushalt, die Kinder und die Pflege der Alten kümmern. Die Hoffnung, eine ganze Generation Männer wiederzufinden, oder zumindest zu identifizieren, zermalmt die Menschen im Dorf Krusha; doch Fahrije (Yllka Gashi) kann sich nicht nur mit ihrem persönlichen Trauma auseinandersetzen, wenn sie eine ganze Familie ernähren soll. Daher beschliesst sie, den Führerschein zu machen, um Arbeit zu finden.
Die Bienen von Fahrijes Mann produzieren nämlich kaum mehr Honig, und sie ist es auch leid, ständig von ihnen gestochen zu werden. Sie beginnt, Ajvar, eine traditionelle Gewürzpaste aus rotem Paprika, herzustellen, um es in der Stadt zu verkaufen. Unterstützung findet sie anfänglich einzig in der resoluten Naze (Kumrije Hoxha), die ihr hilft, einen Deal mit einem Supermarkt in Pristina abzuschliessen und die, wie auch Fahrije selbst, die sexistischen Beleidigungen und den Tratsch im Dorf ignoriert.
«Als die junge Filmemacherin Blerta Basholli im lokalen Fernsehen auf diese Geschichte aufmerksam wurde, die Mitte der Nullerjahre Fahrije Hotis Leben grundlegend veränderte, glaubte sie zuerst an einen Scherz: Wie ist es möglich, dass einer Frau so viele persönliche und systemische Hindernisse in den Weg gelegt werden, wo sich der Kosovo doch zunehmend zu emanzipieren beginnt?»
Als die junge Filmemacherin Blerta Basholli im lokalen Fernsehen auf diese Geschichte aufmerksam wurde, die Mitte der Nullerjahre Fahrije Hotis Leben grundlegend veränderte, glaubte sie zuerst an einen Scherz: Wie ist es möglich, dass einer Frau so viele persönliche und systemische Hindernisse in den Weg gelegt werden, wo sich der Kosovo doch zunehmend zu emanzipieren beginnt? Basholli war ergriffen von dieser mutigen Frau, die nicht nur überleben wollte, sondern den anderen Witwen und ihren Kindern eine Perspektive bieten wollte, egal, wie das traditionelle Dorf darüber denkt.
Mit Yll Uka («Exil») und Valon Bajgora als Produzenten entstand ein sensibles Portrait über eine Pionierin, die ein schweres Trauma erlitt, als am 25. März 1999 der Kosovokrieg auch das kleine Bauerndorf Krusha e Madhe erreichte und über 100 Männer ermordet oder verschleppt, fast alle Häuser niedergebrannt und die Frauen und Kinder vertrieben wurden. Als die Frauen nach Kriegsende im Juni 1999 in ihr zerstörtes Dorf zurückkamen, erhielten sie kaum Unterstützung bei der Suche nach den verschwundenen Männern.
Wenn Fahrije am Steuer ihres Autos sitzt, das ihr von der Frauenkooperative von Krusha zur Verfügung gestellt wurde, ist das einer der seltenen Momente in «Hive», wo ein kaum merkliches Lächeln über ihr Gesicht huscht. Es ist, als würde sie leise triumphieren, dass sie ihr Schicksal nun selbst in die Hand nimmt und sich nicht mehr von den überlebenden alten Männern unterjochen lässt, welche die patriarchalen Strukturen aufrechterhalten wollen und es als Stärke ansehen, wenn sie den Frauen das Arbeiten verbieten und ihnen Steine in den Weg legen, respektive dieselben dazu benutzen, die Scheibe von Fahrijes Auto zu zertrümmern.
Ihr Schwiegervater Haxhi (Çun Lajçi) wiederum verbietet Fahrije, dass sie die Kreissäge ihres Mannes verkauft, erlaubt aber ebenso wenig, eine DNA-Probe von sich oder den Kindern nehmen zu lassen, um seinen Sohn identifizieren zu können. Resigniert hofft er auf dessen Rückkehr und duldet keinerlei Veränderungen. Zana (Kaona Sylejmani), Fahrijes Teenagertochter, schämt sich indes für ihre Mutter und braucht sehr lange, um zu lernen, dass Frauen, die mit Arbeit Geld verdienen, nicht zwangsläufig Sexarbeiterinnen sind.
Inmitten all dieser Widrigkeiten kämpft Fahrije mit eiserner Miene für ihr Business, gibt die Suche nach ihrem Mann nicht auf und ermutigt immer mehr Frauen, es ihr gleichzutun und finanziell unabhängig zu werden. Die stählerne Fassade, die Yllka Gashi bisweilen geradezu emotionslos wirken lässt, ist so überzeugend, dass man das gewaltige Trauma dahinter fast körperlich zu spüren bekommt. Geweint wird in der Dusche, tagsüber siegt der Blick nach vorne, ausgedehnte Dialoge sind überflüssig.
«Dieses fesselnde Langspielfilmdebüt von Blerta Basholli verzichtet auf Glanz und Leichtigkeit und ist stattdessen geprägt von schonungsloser Authentizität.»
Dieses fesselnde Langspielfilmdebüt von Blerta Basholli verzichtet auf Glanz und Leichtigkeit und ist stattdessen geprägt von schonungsloser Authentizität. Und doch überrascht das Drama mit einigen spitzen Bemerkungen, gerade von Naze, die dem Publikum immer wieder ein Schmunzeln zu entlocken vermag, etwa wenn sie zum Beispiel im Kreise der «Witwen von Krusha» trocken fragt, worin der Sinn liegt, dass die Töchter eine gute Ausbildung haben sollen: «Schule oder nicht, sie wird immer eine Frau sein».
Die Handkamerabilder von Alex Bloom tauchen das harte Leben im Kosovo der Nachkriegszeit in grau-braune Töne; kommuniziert wird in langen Einstellungen: Besonders eindrücklich zeigt sich das in der Szene, in der Fahrije Leichensack um Leichensack aufreisst, um ihren Mann zu finden. So entsteht ein grossartiges, stilles Werk, das weder polarisieren noch urteilen möchte, sondern vielmehr die Stärke jener Figuren unterstreicht, die beweisen, dass Frauen mit einer Mission nicht aufzuhalten sind.
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Kinostart Deutschschweiz: 7.10.2021 / Berta Blasholli ist am 7.10. in Bern und am 8.10. in Zürich anwesend.
Filmfakten: «Hive» («Zgjoi») / Regie: Blerta Basholli / Mit: Yllka Gashi, Çun Lajçi, Kaona Sylejmani, Aurita Agushi, Kumrije Hoxha / Kosovo / 84 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Frenetic Films AG
In Blerta Bashollis «Hive» kämpft eine mutige Frau trotz patriarchaler Strukturen für Selbstbestimmung in einem vom Krieg dezimierten Volk. Authentisch und grossartig.
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