Alles neu in Westeros? Die zweite Staffel von «House of the Dragon», der Vorgeschichte zu «Game of Thrones», korrigiert im Vergleich zum Auftakt einiges. Doch die Fantasyserie schwächelt noch immer.
Es ist nie ein gutes Zeichen, wenn eine Serie bereits nach der ersten Staffel ihren Showrunner verliert. Doch Miguel Sapochnik hatte nach den ersten zehn Folgen von «House of the Dragon» bereits genug und überliess das Projekt seinem Co-Showrunner Ryan Condal, der mit Alan Taylor («Thor: The Dark World») gleich den nächsten «Game of Thrones»-Veteranen als ausführenden Produzenten und Regisseur an seine Seite holte. Vordergründig merkt man von dieser Rochade nicht viel, und doch ist in der zweiten Staffel von «House of the Dragon» vieles anders – nicht zuletzt die Episodenzahl, die von zehn auf acht reduziert wurde.
Am grundlegenden Konflikt hat sich aber nichts geändert: Auf dem Königsthron in King’s Landing auf dem Kontinent Westeros sitzt noch immer der junge und ungestüme Aegon II. Targaryen (Tom Glynn-Carney) – und nicht Rhaenyra (Emma D’Arcy), seine ältere Schwester und die eigentliche Thronfolgerin. Diese trauert derweil ihrem Sohn Lucerys nach, der von Aegons jüngerem Bruder Aemond (Ewan Mitchell) und dessen Drachen Vhagar ermordet wurde – und schwört Rache. Weil ein Krieg zwischen den beiden Fraktionen unausweichlich scheint, sind sowohl die herrschenden «Greens» als auch Rhaenyras Allianz bemüht, sich jede mögliche Unterstützung in und um Westeros zu sichern.
«We are now in the Dance of the Dragons, and we’re gonna tell that story», verkündete Showrunner Ryan Condal im Hinblick auf die zweite Staffel in einem Interview. Das bedeutet, dass die Zeitsprünge und die daraus erfolgenden häufigen Darsteller*innen-Wechsel, die es einem in der ersten Staffel noch erschwerten, an den Figuren dranzubleiben, passé sind.
Diese neue Ruhe und Ordnung tut der zweiten Staffel gut – schläfert sie aber auch ein, weil die Verantwortlichen in Gedanken offenbar schon zu sehr bei der kommenden dritten Staffel sind. Anders lässt sich nicht erklären, wieso sich auch der zweite Durchgang von «House of the Dragon» anfühlt wie ein einziger langer Auftakt. Dabei beginnt diese Staffel intensiv und liefert schon in der Auftaktfolge «A Son for a Son» eine der denkwürdigsten Szenen im ganzen «Game of Thrones»-Universum. Ein paar Folgen lang kann die Staffel dieses Tempo tatsächlich halten und eine Mischung aus «Game of Thrones»’schem Tiefgang und Spektakel bieten, ehe der ihr dann doch die Luft ausgeht und sie sogar ihr eigenes Staffelfinale verschläft.
«Ein paar Folgen lang kann die Staffel dieses Tempo tatsächlich halten und eine Mischung aus ‹Game of Thrones›’schem Tiefgang und Spektakel bieten, ehe der ihr dann doch die Luft ausgeht und sie sogar ihr eigenes Staffelfinale verschläft.»
Es scheint, als hätten Condal und Co. auch ohne Zeitsprünge einen Weg gefunden, ihr narratives Edging weiterzuführen. Anstatt im zentralen Konflikt voranzukommen, verbringen wir in dieser Staffel viel zu viel Zeit mit Nebensächlichkeiten wie dem Harrenhal-Selbstfindungstrip von Daemon Targaryen (Matt Smith) oder der komplexen Familiengeschichte von Seefahrer Corlys Velaryon (Steve Toussaint). Dass auch nach zwei Staffeln noch nicht sonderlich viel passiert ist, ist in Anbetracht der Tatsache, dass erst gerade bekannt gegeben wurde, dass die Serie insgesamt nur vier Staffeln umfassen wird und wir somit bei der Halbzeit angekommen sind, besorgniserregend.
Das bedeutet aber nicht, dass «House of the Dragon» in seiner zweiten Staffel überhaupt nichts gelingt – im Gegenteil. Die Serie ist in vielerlei Hinsicht auf Augenhöhe mit «Game of Thrones», in gewissen Aspekten sogar besser. Gerade bei den Frauenfiguren macht das Prequel vieles richtig, womit sich die Vorgängerserie schwertat, und rückt die verschiedenen Protagonistinnen auf eine interessante und vielfältige Weise in den Fokus. Davon profitieren nicht zuletzt Figuren wie die weise «Queen Who Never Was» Rhaenys (Eve Best) oder die Königsmutter Alicent (Olivia Cooke), die die Folgen ihres Verrats allmählich einsieht.
Auch in Bezug auf ihr Begehren und die Darstellung von Lust und Leidenschaft gibt «House of the Dragon» seinen Protagonistinnen viel mehr Handlungsfähigkeit als noch «Game of Thrones». Ein Schelm, wer denkt, dass das damit zusammenhängen könnte, dass vier der insgesamt acht Episoden dieser Staffel von Frauen – nämlich Clare Kilner («Snowpiercer») und Geeta Vasant Patel («Meet the Patels») – inszeniert wurden. Das sind übrigens ebenso viele wie in allen acht Staffeln und 73 Folgen der Vorgängerserie.
«‹House of the Dragon› ist in vielerlei Hinsicht auf Augenhöhe mit ‹Game of Thrones›, in gewissen Aspekten sogar besser.»
«Game of Thrones» lebte von seiner Vielzahl an gleichwertigen Protagonist*innen, und auch wenn uns «House of the Dragon» einen ähnlich reichhaltigen Cast bietet, so hat die Serie doch eine klar erkennbare Hauptfigur: Rhaenyra, die zielstrebige und prinzipientreue Thronerbin, die ihren Anspruch aller Widrigkeiten zum Trotz geltend macht.
In der letzten Staffel wurde die Figur fünf Folgen lang von Milly Alcock («Upright») verkörpert, bevor Emma D’Arcy («Truth Seekers») aufgrund eines Zehn-Jahre-Zeitsprungs in der Erzählung übernahm – und sogleich allfällige Bedenken am Wechsel direkt ausräumte. Daran ändert sich auch im zweiten Durchgang nichts: D’Arcy ist überragend und schafft es ganz nebenbei, mit Leichtigkeit aus dem Schatten von Daenerys, der anderen Targaryen-Thronfolgerin im Exil, herauszutreten.
D’Arcy ist eine von zahlreichen Entdeckungen dieser Serie, die nur auf wenige grosse Namen und dafür umso mehr auf talentierte neue Gesichter setzt. Zwei davon sind Tom Glynn-Carney («Dunkirk») und Ewan Mitchell («Saltburn»), die in dieser Staffel noch einmal stärker in den Vordergrund rücken. Während Glynn-Carney als cholerischer und arroganter König Aegon II. beweist, warum Rhaenyra wirklich die bessere Wahl für den Thron gewesen wäre, ist Mitchell als sadistischer und intriganter Aemond eines der grossen Highlights von «House of the Dragon».
Und mit dem von Archie Barnes («The Dig») gespielten Oscar Tully oder der von Abigail Thorne («The Acolyte») verkörperten Piratenkapitänin Sharako Lohar stehen einige der spannendsten Figuren der Serie wohl erst noch in den Startlöchern. Kurz: Wem das Casting in «Game of Thrones» gefiel, dürfte das Casting in «House of the Dragon» lieben.
«Emma D’Arcy ist eine von zahlreichen Entdeckungen dieser Serie, die nur auf wenige grosse Namen und dafür umso mehr talentierte neue Gesichter setzt.»
Auch visuell kann die Serie überzeugen und scheint der vergleichbar grösseren Aufgabe – immerhin gibt es in dieser Serie sehr viele Drachen – durchaus gewachsen zu sein. Sicher, das ist nicht immer auf Blockbuster-Niveau, und gerade, wenn Figuren auf Drachen reiten, wird das CGI-Gebastel erkennbar. Das ist aber, wenn man sich das Budget der Serie vor Augen führt, das mit 20 Millionen Dollar pro Folge etwa im Bereich der ersten Staffel liegen dürfte (und damit weit über dem Fernsehserien-Durchschnitt), durchaus verzeihlich.
Das Budget dürfte im Hinblick auf die kommenden beiden Staffeln und die sich abzeichnende Eskalation aber auch nicht kleiner werden. Dass «House of the Dragon» auch in den nächsten Staffeln in Sachen Effekten und Spektakel seinem Publikum einiges auftischen wird, daran bestehen keine Zweifel. Eine ähnliche erzählerische Trägheit wie in seiner zweiten Staffel darf sich die Serie aber nicht mehr erlauben, wenn sie ihre letzten Fans nicht endgültig vergraulen will
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Jetzt auf Sky Show
Serienfakten: «House of the Dragon» (2. Staffel) / Creators: Ryan J. Condal, George R. R. Martin / Mit: Emma D’Arcy, Matt Smith, Olivia Cooke, Steve Toussaint, Ewan Mitchell, Tom Glynn-Carney, Eve Best, Fabien Frankel, Sonoya Mizuno, Rhys Ifans / USA / 8 Episoden à 55–70 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © 2024 Home Box Office, Inc. All rights reserved HBO® and related channels and service marks are the property of Home Box Office, Inc.
«House of the Dragon» hat alles, was ein «Game of Thrones»-Spin-off braucht: gute Darsteller*innen, spannende Figuren und solide Effekte. Jetzt müsste einfach noch etwas passieren.
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