Charlie Kaufman ist etwas gelungen, das nur wenigen im Filmgeschäft vergönnt ist: Seine Werke sind zu ihrem eigenen Subgenre geworden. Wo Kaufman draufsteht, stecken verquer erzählte Geschichten voller existenzieller Angst und absurdem Humor drin. «I’m Thinking of Ending Things», die dritte Regiearbeit des Drehbuchautors von «Being John Malkovich» und «Eternal Sunshine of the Spotless Mind», bildet keine Ausnahme.
Eine junge Frau (Jessie Buckley) fährt mit ihrem Freund Jake (Jesse Plemons) durch wildes Schneegestöber aufs Land, um seine Eltern kennenzulernen. Sie sind noch nicht lange zusammen – vier, fünf, sechs oder sieben Wochen? –, und die Frau, die mal Lucy, mal Lucia, mal Louisa heisst, denkt darüber nach, die noch junge, sich schon ewig dahinschleppende Beziehung zu beenden: «I’m thinking of ending things», ist der Gedanke, zu dem sie immer wieder zurückkehrt. Jake ist nett, aber sie kann sich keine Zukunft mit ihm vorstellen. Warum also die Scharade noch mitspielen?
«I’m Thinking of Ending Things» beginnt als melancholisches Beziehungsdrama, das in gnadenlos gemessenem Tempo all die unüberbrückbaren Gräben offenlegt, die zwischen der Protagonistin und ihrem Noch-Partner klaffen. Er doziert, sie nickt abwesend; sie will ein Thema zu Ende diskutieren, doch seine Aufmerksamkeit ist schon an etwas anderem hängengeblieben. Jede Interaktion, jeder noch so liebevoll wirkende Moment fühlt sich an wie eine Note, die auf einem leicht verstimmten Klavier gespielt wird.
«‹I’m Thinking of Ending Things› beginnt als melancholisches Beziehungsdrama, das in gnadenlos gemessenem Tempo all die unüberbrückbaren Gräben offenlegt, die zwischen der Protagonistin und ihrem Noch-Partner klaffen.»
Kaum jemand hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten dieses Phänomen der zwischenmenschlichen Entfremdung so ausdrucksstark verarbeitet wie Charlie Kaufman. Sowohl seine Drehbücher als auch seine eigenen Leinwandwerke handeln vom furchterregenden Gefangensein im eigenen Bewusstsein, vom lähmenden Gefühl, nicht imstande zu sein, über sich selbst hinauszusehen und eine bedeutsame Verbindung mit anderen einzugehen. Die Hauptfigur von «Anomalisa» (2015) sieht Mitmenschen nur als massenproduzierte Schablonen; jene von «Synecdoche, New York» (2008) will ihr eigenes Leben als Theaterstück aufführen. In einer unvergesslichen Szene in «Being John Malkovich» (1999), landet Schauspieler John Malkovich buchstäblich in seinem eigenen Kopf, wo alle so aussehen wie er, und «Malkovich» das einzige bekannte Wort ist.
In «I’m Thinking of Ending Things» manifestiert sich dies nicht nur in der unermesslichen mentalen Distanz zwischen Jake und L(o)u(c)i(y)sa, sondern auch darin, wie sich die Identität von Buckleys Figur – parallel zu ihrem unsteten Namen – zunehmend zu verwässern, ja aufzulösen scheint. Nachdem das Paar endlich bei Jakes Eltern angelangt ist, wird ihr im Laufe eines grotesken Abends eine ganze Reihe von Karrieren angedichtet, von der Kunstmalerin über die Kellnerin bis hin zur Quantenphysikerin. Immer wieder scheint sie im verworrenen Muster der Tapete hinter ihr zu verschwinden.
Auf den ersten Blick scheinen Toni Collette und David Thewlis, die Mutter und Vater mit einer bald unheimlichen, bald urkomischen Überemotionalität spielen, der Hauptgrund zu sein, warum diese Sequenzen an einen Horrorfilm à la «Get Out» (2017) erinnern. Ziemlich rasch jedoch macht sich eine viel diffusere Atmosphäre der Angst breit: Denn Kaufman entwirft hier eine zutiefst abgründige Vision von Liebesbeziehungen im Speziellen und menschlichen Gemeinschaften im Allgemeinen. Indem die vielnamige junge Frau ihr Leben an Jake – und damit auch an seine Eltern, seine Vergangenheit und seine Zukunft – kettet, opfert sie Stück für Stück ihre eigene Individualität, bis sie, ganz der heteronormativen Tradition entsprechend, nur noch als unterstützendes Anhängsel ihres Partners existiert.
Das ist aber nur ein Puzzlestück in einer viel umfassenderen Auseinandersetzung mit dem allzumenschlichen Dilemma, ein Wesen zu sein, das sich seiner zeitlichen, räumlichen und geistigen Endlichkeit im tiefsten Innern bewusst ist und gleichzeitig alles daran setzt, dieses Wissen zu verdrängen. Nicht umsonst stellt Kameramann Łukasz Żal («Cold War») Jakes Auto als bitterkalte, sargähnliche Erweiterung der verschneiten Landschaft statt als warmes Refugium dar. Kein Wunder, wirkt das Haus von Jakes Eltern mit seinen sich überkreuzenden Zeitebenen wie eine gespenstische Mischung aus Museum und Mausoleum.
«‹I’m Thinking of Ending Things› ist ein beängstigender Film über Männer, die das Leben und die Werke von Frauen für sich beanspruchen. Über die absurde Hilflosigkeit, Teil eines grossen Ganzen und letztlich trotzdem auf sich allein gestellt zu sein.»
Ja, «I’m Thinking of Ending Things» ist ein beängstigender Film über Männer, die das Leben und die Werke von Frauen für sich beanspruchen. Über die absurde Hilflosigkeit, Teil eines grossen Ganzen und letztlich trotzdem auf sich allein gestellt zu sein. Doch es ist auch ein faszinierender, bisweilen erschreckender, stellenweise aber auch seltsam erbaulicher Film über die Erkenntnis, dass jede Äusserung, jede Tat, vielleicht sogar jeder Gedanke und jedes Gefühl nur eine plumpe Annäherung an ein vorgefasstes Ideal ist – eine Imitation von etwas, das man bereits erlebt, gesehen, gehört oder gelesen hat. Buckley rezitiert eine Filmkritik der legendären Pauline Kael, um sich in einer Diskussion mit Jake Gehör zu verschaffen. Jake wiederum verweist auf Oscar Wilde – «Most people are other people» –, um zu unterstreichen, dass Originalität und Individualität blauäugige Illusionen sind. (Wie schon in «Synecdoche» sowie im Drehbuch zu «Adaptation» treiben Kaufman hier die Verflechtungen von Kunst und Leben um.)
Es ist dem Film hoch anzurechnen, dass er von dieser Dichte an Motiven nicht erdrückt wird. Trotz einer etwas performativ abstrusen Schlussviertelstunde, in der die formale Spielerei über die inhaltliche Substanz obsiegt, schafft es Kaufman, seine sperrigen philosophischen Ansätze auf eine fesselnde, wunderbar bizarre Erzählung herunterzubrechen, in der nur wenig wörtlich genommen werden kann und dennoch überraschend vieles tief berührt. «I’m Thinking of Ending Things» zementiert seinen Regisseur als nicht kategorisierbares Original, von denen das Kino nicht genug haben kann.
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Filmfakten: «I’m Thinking of Ending Things» / Regie: Charlie Kaufman / Mit: Jessie Buckley, Jesse Plemons, Toni Collette, David Thewlis / USA / 134 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Netflix / Titelbild: Cr. Mary Cybulski/NETFLIX © 2020
«I'm Thinking of Ending Things» ist ein intensives existenzialistisches Drama und ein faszinierendes erzählerisches Experiment zugleich. Charlie Kaufman bleibt ein unvergleichlicher Filmemacher.
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[…] | Alan Mattli @ Maximum Cinema […]