Die Angst vor dem körperlichen Zerfall und der Wunsch, das Älterwerden zu bekämpfen: «Incroyable mais vrai» ist eine Komödie mit Protagonistinnen und Protagonisten, deren Emotionen und Begehren fast ein wenig ans Body-Horror-Subgenre erinnern. Nur fehlen in diesem Film die absurden Elemente auf der visuellen Ebene, die ihn tatsächlich hätten aus der Reihe hätten tanzen lassen.
Gegen Ende seiner Führung durch das Haus präsentiert ein Makler (Stéphane Pezerat) seinen Klienten den Höhepunkt des Anwesens: einen Schacht im Keller. Klettert man durch ihn hindurch, wird man ein paar Tage jünger. Das in die Jahre gekommene Ehepaar Alain (Alain Chabat) and Marie (Léa Drucker) ist von diesem einzigartigen Durchgang so begeistert, dass es das Anwesen kauft. Doch während Alain fast schon gelangweilt von der Zauberei des Schachts ist, fühlt sich Marie vom Keller magisch angezogen. Durch wiederholtes Hindurchklettern flüchtet sie vorm biologischen Zerfall, ohne zu merken, dass es nur ihre Hülle ist, für welche sich die Uhr rückwärts dreht.
Eine zweifelsohne spannende Ausgangslage, welche der Anstoss für eine noch spannendere Geschichte sein sollte. Dem ist aber leider nicht so. Der Ideenreichtum von «Incroyable mais vrai» ist nach den ersten zehn Minuten ausgeschöpft, was trotz der sehr kurzen Spielzeit von 74 Minuten nicht reicht, das Publikum bei der Stange zu halten. Besonders ärgerlich ist, dass eine Nebenhandlung, die wie der Hauptstrang der Geschichte vom Kampf gegen das Älterwerden erzählt – nur schlechter und vor allem unwitzig – einen grossen Teil dieser Laufzeit in Anspruch nimmt. Zwar schafft es der Film manchmal, dem Publikum ein müdes Lächeln zu entlocken, doch der feine, unterschwellige Humor in den Dialogen geht spätestens dann verloren, wenn Alains Chef (Benoît Magimel) mit seinem Elektropenis prahlt.
«Der feine, unterschwellige Humor in den Dialogen geht spätestens dann verloren, wenn Alains Chef mit seinem Elektropenis prahlt.»
Schade, gerade wenn man bedenkt, dass der Regisseur schon mehrfach bewiesen hat, dass er ein Experte für kurze Filme mit absurden Geschichten ist. Nennt er sich «Mr. Oizo», ist der Franzose Quentin Dupieux als Musiker unterwegs und produziert harte, aber tanzbare Elektro-Sounds. Schaut man sich die dazugehörigen Musikvideos an, ist klar: «Mr. Oizo» ist ein Künstler, der, zumindest wenn es um Absurdität geht, seinesgleichen sucht.
Aber auch beim Produzieren von Werken für die grosse Leinwand bietet Dupieux dem Publikum niemals more of the same, sondern normalerweise Originalität der Extraklasse – «Au poste!» (2018), «Le daim» (2019) und «Mandibules» (2020) sprechen Bände. Nur schafft es Dupieux, der hier wie so oft neben der Inszenierung auch das Drehbuchschreiben, die Kameraführung und den Schnitt übernahm, in «Incroyable mais vrai» leider nicht, dieses Versprechen zu halten. Besonders das verschwendete Potenzial eines Zeitreiseportal und dem daraus resultierenden Unterschied zwischen innerem und äusserem Alter enttäuscht. In den Händen Dupieux‘ hätte mehr daraus werden sollen.
«Auch wenn Dupieux komplett auf Effekte verzichtet, sind die Bilder, besonders die ruhigen, die Höhepunkte des Films. Insbesondere die Schlussmontage des Films unterstreicht, dass man ihm seine inszenatorischen Fähigkeiten nicht absprechen kann.»
Doch zumindest optisch vermag der Film zu überzeugen. Auch wenn Dupieux komplett auf Effekte verzichtet, sind die Bilder, besonders die ruhigen, die Höhepunkte des Films. Insbesondere die Schlussmontage des Films unterstreicht, dass man ihm seine inszenatorischen Fähigkeiten nicht absprechen kann. Die schauspielerischen Leistungen sind ebenfalls grundsolide. So finden sich selbst in «Incroyable mais vrai» Lichtblicke, welche Dupieux-Fans hoffen lassen können, dass er beim nächsten Projekt eine nicht minder obskure Geschichte erzählt, die qualitativ wieder an seine älteren Werke anknüpfen kann.
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Kinostart Deutschschweiz: 14.7.2022
Filmfakten: «Incroyable mais vrai» / Regie: Quentin Dupieux / Mit: Alain Chabat, Léa Drucker, Benoît Magimel, Anaïs Demoustier, Stéphane Pezerat / Frankreich / 74 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Praesens-Film AG
Leider schafft es «Incroyable mais vrai» nicht, das titelgebende «Unglaublich» zu liefern. Nach wenigen Minuten ist der Höhepunkt erreicht, was dem Spannungsbogen keinen Gefallen tut.
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