Mit «Toni Erdmann» ist Maren Ade ein grosser Wurf gelungen: Der Film hat bei seiner Erstaufführung dieses Jahr in Cannes die Kritikerherzen gleich im Sturm erobert. Die sensible Tragikomödie mit viel schwarzem Humor kam in Deutschland auch beim Publikum sehr gut an: Über 70’000 Besucher sahen sich ihn am ersten Wochenende an.
Seit einigen Tagen läuft «Toni Erdmann» auch hier. Maren Ade besuchte Zürich zur Premiere, wir hatten die Gelegenheit, der sympathischen Regisseurin einige Fragen zu stellen.
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Warst du erfreut über den grossen Erfolg in Cannes oder nach dem vielen Kritikerlob am Ende enttäuscht, dass du keine Palme d’Or gewonnen hast?
Ich bin grundsätzlich ein wenig misstrauisch und habe deshalb nicht mit einem Preis gerechnet, deshalb bin ich auch nach der Hälfte des Festivals in den Urlaub gefahren.
Wir hatten so viel Erfolg, den ich weder erwartet noch erhofft hatte. Deshalb bin ich sehr zufrieden. Und über den verpassten Preis musste ich mich ja gar nicht ärgern, das haben so viele Kritiker für mich getan (lacht).
Der Film heisst «Toni Erdmann» und ist nicht nach Winfried oder Ines benannt. Wer oder was genau ist diese Phantasiefigur Toni? Das ist ja eine Erfindung.
Nein, ich find schon, dass er ein Mensch ist. Toni ist Winfrieds neues Kontaktangebot an seine Tochter Ines – und eine radikalere, direktere und ehrlichere Form seiner selbst.
Bei der Arbeit mit Peter Simonischek war es mir übrigens sehr wichtig, dass Toni eine von Winfried gespielte Rolle ist. Man muss merken, dass ein Laie die Rolle erfunden und übernommen hat, er durfte nie so wirken wie eine reine Phantasiefigur.
Sehr spannend waren die Kostüme im Film. Zuerst schlüpft Winfried in dieses Toni-Outfit, später tritt er als Kukeri auf. So berührt er Ines viel stärker.
Ja. Vorher als Toni nähert er sich mit seiner mackerhaften Art, Ines’ Welt an. Beim Kukeri ist er wieder mehr Winfried, meine Idee war, dass er hier sein Inneres nach Aussen stülpt: warm, schwer, ein wenig traurig und trotzdem lustig.
Viele Leute leben heute ein Leben wie Ines. Braucht es den überdrehten Toni als Gegensatz, um das überhaupt so deutlich zu machen?
Einerseits ja, Toni karikiert und persifliert diese ganze Welt. Andrerseits wird er ja auch akzeptiert. Henneberg springt ja schon auf Winfried an. Er langweilt sich ja über die ganzen Kopfnicker, die ihn umgeben. Ich glaube, viele CEOs mögen Freaks. Als Toni ist er für diese geschliffene Businesswelt einerseits interessant, andrerseits besteht eine kleine Restwahrscheinlichkeit, dass seine abstruse Geschichte doch wahr ist.
Toni war nie als reine Systemkritik gedacht. Viel mehr ist er die Figur, mit der Winfried seiner Tochter näher kommen will.
Wirklich? Die Businesswelt, die gezeigt wird, ist ja sehr abstossend und kalt.
Das ist lustig, ich hab mich diesbezüglich um Zurückhaltung bemüht. Man hätte sie noch viel kühler machen können – nur schon optisch.
Diese Welt, die gezeigt wird, ist pragmatisch und rational – es gibt viele entmenschlichte Gedanken. Gleichzeitig sind Unternehmensberater gute Psychologen, die sich nicht nur in Geschäftsfelder und Firmen, sondern auch in andere Menschen eindenken müssen. Zudem gehört Abenteuerlust zum Job.
Und der Sexismus? Ines hat ihn ja schon verinnerlicht.
Ich glaube, jede Frau kommt irgendwann damit in Berührung egal in welcher Branche sie arbeitet. Aber in der Geschäftswelt ist es vielleicht am selbstverständlichen. Im Vorfeld des Films habe ich mit vielen Frauen darüber gesprochen. Besonders interessant fand ich, dass viele versuchen sich darüber zu stellen, aber letztlich nur unterdrücken, dass es sie doch ärgert. Aber Ines ist auch gern in dieser Welt – und sie ist keine unterdrückte Frau. Deshalb sehe ich sie auch nicht als Opfer, sondern als jemanden, die vielleicht einfach nicht so selbstbewusst ist, wie sie es gern wäre.
Der Vater ist ein Rebell, die Tochter angepasst. Früher war diese Rollenverteilung genau umgekehrt. Wolltest du das absichtlich umkehren?
Das hat sich ja gerade verändert, besonders in Deutschland. Die Generation von Winfried hat sich in ihrer starken Abgrenzung zum Nationalsozialismus ihrer Eltern teilweise überpolitisiert. Dass nun einige dieser 68-er aus Versehen neoliberale Kinder geschenkt bekommen, mit denen sie einen neuen Konflikt haben, hat mich interessiert.
Teilst du die These von Michel Houellebecq, der den Hippies die Schuld am Neoliberalismus unterschiebt?
Die Aussage ist durchaus interessant und verdient eine tiefere Beschäftigung. Ich würde sie jedoch nicht so vertreten, da die 68-er dieses Ziel nie anstrebten. Es war ja viel mehr ein Unfall, dass die damals propagierte Grenzenlosigkeit quasi in den Kapitalismus integriert wurde.
Interessanter finde ich, wie schwierig es geworden ist, heute ein moralisches, politisch korrektes Leben zu führen. Das ist seit Winfrieds Jugend viel komplizierter geworden. Nicht zuletzt deshalb haben sich viele Hippies stark verbürgerlicht. Auch Winfried hat zwar noch gute Absichten, kauft aber trotzdem bei Lidl ein.
«Toni Erdmann» vermischt komische und tragische Elemente so wunderbar. Wie kam es dazu? Wolltest du ursprünglich einen lustigen oder einen traurigen Film drehen bzw. war diese Mischung schon zu Beginn geplant?
Beim Schreiben habe ich mich mehr um die Komödie bemüht, was sehr hilfreich war. So konnte ich mich später beim Drehen stärker auf die Tragödie konzentrieren. Denn am Set mit den Schauspielern, da fragt man sich ständig: «Warum mach’ ich das? Was will ich?» Darauf muss man sich eine ernste Antwort geben. Und natürlich wollte ich von Anfang an nie eine reine Komödie drehen – das wäre dem Thema nicht gerecht geworden.
Für mich der Schlüsselsatz war «Kann man denn Momente festhalten?» ganz am Ende des Films. Ist das Streben nach der Vergangenheit und die Angst, Veränderungen zu akzeptieren, Winfrieds Antrieb?
Ja, irgendwo schon. Er will Ines wiederhaben, aber als Kind. Er akzeptiert sie noch nicht richtig als erwachsene Frau, die beiden haben nie gelernt, sich auf Augenhöhe zu begegnen.
Mit Toni kann er nun den Film zurückspulen und einen neuen Anfang machen. Gleichzeitig schafft er damit auch eine Kinoversion seiner selbst. Toni ist «Bigger than Life».
Wie geplant war Winfrieds neues Leben als Toni?
Ich denke das war spontan. Für mich wollte er einen kurzen Auftritt und dann mit Ines und ihren Freundinnen eine Runde in der gemieteten Limousine fahren. Aber Ines lässt ihn nicht aus der Rolle und so muss er sie auch ausfüllen. Ob bewusst oder unbewusst, sie geht auf sein Angebot ein. Zwar ist sie zunächst verärgert und sein Auftritt berührt sie sehr unangenehm. Gleichzeitig bietet ihr Toni mehr als ihr Vater jemals zuvor – und er ist viel ehrlicher zu ihr.
Ines spielt mit, aber behält nicht Winfried das letzte Wort?
Das ist interessant. Es ging mir um ein Duell der beiden, da spielt auch der Kampf ums letzte Wort eine Rolle. Wer behält es nun? Für mich behält es Ines mit ihrem Abgang nach dem Lied. Und alles was danach passiert mit dem Kukeri und der Umarmung findet nochmal auf einem ganz anderen Stern statt. Und ganz am Ende führt ja Ines die «Familientradition» gewissermassen fort und zeigt sich versöhnlich.
Während des Abspanns läuft «Plainsong» von The Cure – ein tolles Lied! Wieso hast du es ausgewählt?
Ich selbst habe früher oft The Cure gehört, ausserdem dachte ich mir, dass es ein Lied gewesen sein könnte, das Ines sich als Teenager angehört hat. Es hat auch gut gepasst zum Film für mich, einerseits ist es angeberisch, monumental, wie Toni selbst, aber auch sentimental, verträumt und nostalgisch.
Welche Regisseurinnen, Regisseure oder Filme haben dich am stärksten beeinflusst?
Von den Altmeistern: Cassavetes und Bergman. In den letzten Jahren gefiel mir besonders die Romanian Wave, z.B. Corneliu Porumboiu – aber auch «Tabu» von Miguel Gomes, ein Film, den man unbedingt angucken sollte. Leider schaue ich momentan viel zu wenig Filme. In Cannes zum Beispiel habe ich nur meinen eigenen gesehen (lacht).
Verrätst du uns schon etwas über deinen nächsten Film?
Jetzt brauche ich zuerst einmal eine lange Pause. Ich geniesse den Moment, ein Projekt abgeschlossen zu haben und dehne ihn einfach so lange aus, bis ich wirklich wieder Lust habe, etwas Neues anzupacken.
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