Jeanne Bécu, ein einfaches Mädchen aus dem Volk, die uneheliche Tochter einer Köchin, schafft es durch ihre Schönheit, Offenherzigkeit und Intelligenz, in den 1760er Jahren die gesellschaftliche Leiter bis nach Versailles emporzuklettern. Dort zieht sie die Aufmerksamkeit des Königs Louis XV. auf sich, der ihre selbstbewusste, natürliche Art zu schätzen weiss und sie zu seiner ersten Mätresse macht. Doch, so die Frage von Maïwenns «Jeanne du Barry», was nützen die königlichen Annehmlichkeiten, wenn der Hof eine Bürgerliche mit verwegener Vergangenheit ablehnt?
Frankreich, 1760: Jeanne (Maïwenn) ist das uneheliche Kind einer einfachen Köchin; dank der Gunst des Hausherrn erhält sie eine Bildung im klösterlichen Internat – was die Frage aufwirft, was ihre Mutter ausser dem Kochen sonst noch tun musste, um ihr dies zu ermöglichen. Mit 17 Jahren wird Jeanne aus dem Kloster geworfen, weil man sie dabei erwischte, wie sie sündige Liebesromane las; und auch das Haus des Grafen müssen sie und ihre Mutter verlassen, weil ihre jugendliche Schönheit der Ehefrau des Gönners nicht entging.
Nach dieser von Voiceovers überladenen Einleitung schickt Maïwenns Drehbuch Mutter und Tochter nach Paris. Jeannes Schönheit ist ihr Kapital – und es dauert nicht lange, bis sie den Grafen du Barry (Melvil Poupaud) kennenlernt, der sie zu seiner persönlichen Kurtisane ernennt und mithilfe des einflussreichen Duc de Richelieu (Pierre Richard) den Plan schmiedet, Jeanne dem König Louis XV. (Johnny Depp) vorzustellen, um seinen gesellschaftlichen Einfluss erweitern zu können. Doch um an den königlichen Hof zu gelangen, braucht Jeanne einen ausgezeichneten Leumund und Adelstitel, der nur durch die Heirat mit du Barry zu erreichen ist.
Jeannes Mutter (Marianne Basler) verwaltet die Finanzen, Jeanne selbst kümmert sich liebevoll um ihren jugendlichen Stiefsohn Adolphe (Thibault Bonenfant) – und verliebt sich in den König. Wobei sich der König wahrscheinlich zuerst in sie verliebt: Jeanne ist zu abgebrüht, um Liebe sofort empfinden zu können, zumal sie des Königs Bettes erst würdig sein kann, nachdem sie sich einigen unangenehmen körperlichen Untersuchungen der höfischen Leibärzte gestellt hat, die sie erstaunt fragen, ob ihr «die weibliche Matrix Unannehmlichkeiten bereitet» und «ob es irgendwo juckt».
Jeanne und Louis, Louis und Jeanne; sie pfeifen auf Konventionen, sie lieben sich, sie machen sich gemeinsam über die höfischen Sitten von Versailles lustig – von Louis‘ absurder Morgentoilette, wo der ganze Hofstaat anwesend ist, über die Tatsache, dass alle ausser dem Dauphin (Diego Le Fur) dem König niemals den Rücken zukehren dürfen und daher im Gänsemarsch rückwärts aus den Gemächern trippeln müssen, bis hin zu den Kleidervorschriften, die Jeanne konsequent ignoriert und damit nicht nur Neiderinnen, sondern auch Nachahmerinnern findet.
«Die Töchter des Königs werden maximal hässlich in Szene gesetzt, während die Mätresse nie müde wird, wie ein Teenager über jedes ungewöhnliche Ritual zu kichern, was einem irgendwann reichlich auf die Nerven geht.»
Gerade in diesen Momenten driftet «Jeanne du Barry» ins Karikatureske ab: Der Hofstaat wird recht plump als dummes, ignorantes und intrigantes Pack abgestempelt. Selbst die Töchter des Königs werden maximal hässlich in Szene gesetzt, während die Mätresse nie müde wird, wie ein Teenager über jedes ungewöhnliche Ritual zu kichern, was einem irgendwann reichlich auf die Nerven geht.
Gefahr droht erst, als der Dauphin seine ihm versprochene Verlobte, die Österreicherin Marie Antoinette (Pauline Pollmann), an den Hof holt, und diese sich konsequent weigert, Jeanne als Partnerin des Königs anzuerkennen. Hier zeigt sich, dass selbst der König nicht allmächtig ist.
Die Rolle scheint Johnny Depp auf dem Leib geschrieben worden zu sein. Mit seinen schlechten Französischkenntnissen muss er nicht mehr tun, als wenige kurze Sätze zu nuscheln, die seine Unterlegenheit, sowohl privat als auch im Film, widerspiegelt. Denn obwohl Depp hier seine Rückkehr auf die Leinwand feiern will, ist es Maïwenn, welche die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Es ist Jeannes Geschichte, und Maïwenn erzählt sie – und degradiert dabei Depp, und alle anderen Schauspielenden mit ihm, zu ungeliebten Statist*innen. Trotzdem, aber wahrscheinlich im Bewusstsein dieser Rolle, brilliert Depp in allen Facetten, die er ausspielen kann. Es ist vielleicht nicht seine grösste Rolle, aber sie würdigt ihn als ausgezeichneten Schauspieler.
«Obwohl Johnny Depp hier seine Rückkehr auf die Leinwand feiern will, ist es Maïwenn, welche die Aufmerksamkeit auf sich zieht.»
Vor lauter Selbstinszenierung der beiden Hauptdarstellenden geht jedoch völlig unter, wer der eigentliche Star dieses Films ist und die Geschichte würdevoll trägt. Es ist La Borde (Benjamin Lavernhe), der Kammerdiener des Königs und Jeannes Vertrauter. Bedauerlicherweise verliert sich auch seine Rolle am Ende im Sentimentalen, aber das ist zu verzeihen, da seine Präsenz rund um die Liebelei zwischen Louis und Jeanne für eine gewisse Kontinuität sorgt.
Ein historischer blinder Fleck ist auch die Rolle des bengalischstämmigen Sklaven Zamor (Ibrahim Yaffa und Djibril Djimo), der Jeanne, wie damals üblich, zur Belustigung geschenkt und in kitschige teure Uniformen gesteckt wird und ihr als Page den Sonnenschirm hält. (Übrigens: Zamor sollte später, während der Französischen Revolution, eine nicht unbedeutende Rolle in Jeannes Leben spielen.) Wer mehr über diesen absurden und entmenschlichenden Brauch an europäischen Königshöfen erfahren will, sollte sich unbedingt Markus Schleinzers Historienfilm «Angelo» (2018) ansehen.
Schliesslich sind es Louis‘ Tod und der Beginn der Revolution, die all dieser Opulenz ein Ende setzen und Jeanne zum Opfer ihrer Zeit machen. Sie wird zur rechtelosen Frau, die von der Gunst des Hofes abhängig ist, von ihm aber verraten wird. Und genau da liegt das Problem in diesem Drama: Die Geschichte dieser Epoche kommt zu kurz, der Funke zwischen Depp und Maïwenn springt nicht über, und dem höfischen Pomp wird dank Hochglanz-Kostümdesign mehr Rechnung getragen als der historischen Begebenheit.
«Dass es im Hintergrund des Geschehens gesellschaftlich und politisch brodelt, scheint niemanden zu interessieren – Hauptsache, die Perücke sitzt.»
Doch wie kam es überhaupt dazu, dass sich Maïwenn nach so gegensätzlichen politischen Filmen wie «Polisse» (2011) zu einem Historiendrama hinreissen liess? Angeblich war Sofia Coppola schuld, als sie mit «Marie Antoinette» (2006) einen poppigen Cupcake-Historien-Rock’n’Roll-Film realisierte, in dem Jeanne als intrigierende bösartige Person dargestellt wurde. Nach ihren eigenen Recherchen wollte Maïwenn diese Figur rehabilitieren und ihr eine eigene Geschichte zugestehen.
Bedauerlicherweise bleibt der Plot aber ziemlich oberflächlich und eignet sich somit kaum für den Geschichtsunterricht. Maïwenn inszeniert sich im dennoch recht unterhaltsamen «Jeanne du Barry» hauptsächlich selbst. Dass es im Hintergrund des Geschehens gesellschaftlich und politisch brodelt, scheint niemanden zu interessieren – Hauptsache, die Perücke sitzt.
–––
Kinostart Deutschschweiz: 17.8.2023
Filmfakten: «Jeanne du Barry» / Regie: Maïwenn / Mit: Maïwenn, Johnny Depp, Benjamin Lavernhe, Pierre Richard, Pascal Greggory, Melvil Poupaud, Marianne Basler, Thibault Bonenfant, India Hair, Diego Le Fur, Pauline Pollmann, Noémie Lvovsky, Patrick d’Assumçao / Frankreich, Belgien, Grossbritannien / 116 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Frenetic Films AG
In Maïwenns «Jeanne du Barry» versucht Johnny Depp ein Kino-Comeback,als König Louis XV., der eine Kurtisane als seine Favoritin fürs adelige Bett auserwählt. Bunt, aber oberflächlich.
No Comments