«Is it just me, or is it getting crazier out there?» – Joker
Spätestens seit «The Dark Knight» kennen ihn alle, den Joker. Die Vorgeschichte von Todd Phillips mit Joaquin Phoenix in der Hauptrolle zeigt auf intensive und schonungslose Weise den minutiösen Zerfall eines Mannes, der an jeder Ecke von seinen Bezugspersonen und der Gesellschaft als Ganzes enttäuscht wird.
Jack Nicholson, Heath Ledger, Jared Leto – und nun Joaquin Phoenix. Die Liste der Darsteller, die in den vergangenen dreissig Jahren den legendären Batman-Bösewicht in Filmen mimen durften, kann sich durchaus sehen lassen. Besonders die Oscar-prämierte Performance von Ledger in «The Dark Knight» kurz vor seinem Tod gehört zu den gefeiertsten des 21. Jahrhunderts. Zweifel ob, und wenn ja, inwiefern dieser Figur durch eine weitere Verfilmung – dieses mal mit dem Schurken als Protagonist – noch etwas hinzugefügt werden kann, wurden bei Bekanntgabe des Projekts verschiedentlich geäussert. Nicht zuletzt weil Todd Phillips, der bisweilen ausschliesslich mit mehr oder weniger erfolgreichen Comedy-Streifen («Hangover»-Trilogie, «Starsky & Hutch», «Road Trip») betraut wurde, auf dem Regiestuhl Platz nehmen würde. Dass eine solche Voraussetzung aber nicht unbedingt in einer filmischen Katastrophe enden muss, bewies der Oscar-Gewinn von Peter Farrelly («There’s Something About Mary», «Dumb and Dumber») für «Green Book» im vergangenen Februar.
Spätestens als feststand, dass Joaquin Phoenix die Hauptrolle übernehmen würde – er, der schon etliche Male bewiesen hat, dass er ein brillanter Charakterdarsteller ist («Gladiator», «Walk the Line», «The Master», «Her») – verstummten die kritischen Stimmen fast gänzlich.
Zwei Jahre später, August 2019: «Joker» gewinnt überraschend den «Goldenen Löwen», den Hauptpreis des Filmfestivals von Venedig. Phoenix‘ Performance wird in den Himmel gelobt und auch Phillips kann sich ernsthafte Chancen auf eine Oscar-Nominierung ausrechnen. Phillips und Phoenix haben einen Film geschaffen, der sich von den anderen, unzähligen Comic-Verfilmungen, die diese Tage den Weg auf die grosse Leinwand finden, abhebt.
Phoenix‘ Lachen ist absolut furchterregend. Der Film sieht ab von aufwändigen Special Effects und störenden Nebenfiguren, stattdessen gehört die ganze Aufmerksamkeit des Films Arthur Fleck/Joker.
«Joker» ist ein enorm fokussierter Film. Fokussiert auf narrativer Ebene, auf die Geschichte, die er erzählt und den Protagonisten. Fokussiert aber auch auf filmischer Ebene, insbesondere auf Phoenix‘ Gesicht, das sich in vielen Grossaufnahmen nach und nach zur berüchtigten Joker-Grimasse entwickelt. Phoenix‘ Lachen ist absolut furchterregend. Der Film sieht ab von aufwändigen Special Effects und störenden Nebenfiguren, stattdessen gehört die ganze Aufmerksamkeit des Films Arthur Fleck/Joker. Wie ein Puzzle wird Arthur Fleck Schritt für Schritt (durch Enttäuschungen, Schikane und Kindheitstraumata) zum Joker. Die beiden wichtigsten Nebenfiguren, Arthurs Mutter Penny (Frances Conroy, «Six Feet Under») und Late Night Host Murray Franklin (Robert De Niro) sind fast ausschliesslich Mittel zum Zweck, Arthur zum Joker zu machen. Sie stellen seine wichtigsten Bezugspersonen dar (Penny aus der Nähe, Franklin aus der Ferne) und von beiden wird er schliesslich enttäuscht. Die Tragik seines Lebens, so scheint es, kennt keine Grenzen.
«I used to think that my life was a tragedy. But now I realize, it’s a comedy.» – Joker
«Joker» ist zweifellos einer der intensivsten Filme des Jahres und wie gebannt folgt man dem Zerfall des Mannes, den man bislang eigentlich erst aus einem späteren Stadium kannte. Es ist schade, dass der Film, besonders am Ende, etwas zu verkrampft «Fan-Service» erweisen will und die durchgängig bekannte Vorgeschichte von Batman ins Spiel bringt, obwohl es der Geschichte von Joker nichts beifügt.
«Joker» ist zweifellos einer der intensivsten Filme des Jahres
Ebenfalls kritisch kann man die Darstellung von Gewalt im Film beäugen, wobei die Debatte besonders in den USA mit ihrer jüngsten Geschichte von Amokläufen auf Hochtouren läuft. Obwohl man sich Gewaltdarstellungen in Filmen heutzutage gewohnt ist und sich diese in «Joker» nicht gross von anderen vergleichbaren Filmen unterscheiden, gibt es eine Tötungsszene gegen Ende des Films, von der man argumentieren könnte, dass sie etwas zu explizit und plakativ inszeniert ist und deren Motivation sich nur schwer erschliesst. Dass der Film provozieren will, ist evident.
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Kinostart Deutschschweiz: 10. Oktober 2019 / Streambar auf Apple TV, Google Play und Sky Store
Filmfakten: «Joker» / Regie: Todd Phillips / Mit: Joaquin Phoenix, Frances Conroy, Robert De Niro, Zazie Beetz und Brett Cullen / USA, Kanada / 121 Minuten
Joaquin Phoenix' meisterhafte Performance und die unablässige Fokussierung auf den Protagonisten machen «Joker» zu einem unglaublich intensiven Filmerlebnis.
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