Der Black-Panthers-Funktionär Fred Hampton war erst 21 Jahre alt, als er im Dezember 1969 von einem FBI-Trupp im Schlaf erschossen wurde; doch er gilt vor allem in den USA bis heute als Vorbild für antirassistische und sozialistische Bewegungen. Dieser radikalen, überlebensgrossen Figur mit einem biografischen Drama im Hollywood-Stil beikommen zu wollen, wirkt wie ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen. Umso beeindruckender, was Regisseur Shaka King mit «Judas and the Black Messiah» gelungen ist.
«Judas and the Black Messiah» ist aber nicht nur die Geschichte von Fred Hampton (Daniel Kaluuya): Erzählt wird die Geschichte der letzten beiden Lebensjahre des Vorsitzenden der Black Panther Party (BPP) von Illinois nämlich nicht primär durch seine Augen, sondern durch jene des gewieften Autodiebs William O’Neal (Lakeith Stanfield). Nach einem vereitelten Fischzug wird O’Neal dem FBI-Agenten Roy Mitchell (Jesse Plemons) vorgeführt, der ihm ein Angebot macht: Er geht straffrei aus, wenn er im Dienste des «Bureaus» die Black Panthers in Chicago unterwandert und nach Mitteln und Wegen sucht, den immer populärer und einflussreicher werdenden Hampton aus dem Verkehr zu ziehen.
«Erzählt wird die Geschichte der letzten beiden Lebensjahre des Vorsitzenden der Black Panther Party von Illinois nämlich nicht primär durch seine Augen, sondern durch jene des gewieften Autodiebs William O’Neal.»
Auf den ersten Blick könnte diese Doppelbesetzung der Protagonistenrolle so wirken, als würden sich Regisseur und Autor Shaka King («Newlyweeds») sowie seine Co-Autoren Will Berson, Kenny Lucas und Keith Lucas im Hinblick auf Hamptons radikale Politik mit einer falschen Ausgewogenheit zwischen den Fronten aus der Affäre ziehen. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Geschichte afroamerikanischer Emanzipation die Mehrheitsfähigkeit im Miteinbeziehen der Polizei sucht – im Überbrücken des Grabens zwischen antirassistischem Widerstandskampf und rassistisch geprägter Staatsgewalt. «In the Heat of the Night» (1967) ist ein Klassiker des Subgenres, dessen Motive selbst in Spike Lees furiosem «BlacKkKlansman» (2018) noch zu erkennen sind.

Daniel Kaluuya als Chairman Fred Hampton, Ashton Sanders als Jimmy Palmer, Algee Smith als Jake Winters, Dominique Thorne als Judy Harmon und Lakeith Stanflied als Bill O’Neal /© 2021 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved
Doch O’Neal, der titelgebende Judas, erweist sich schnell als Musterbeispiel für jene gesellschaftlichen Mechanismen, deren Bekämpfung sich «Chairman Fred» als Black-Panther-Aktivist auf die Fahne geschrieben hat. O’Neal, der vom hervorragenden Lakeith Stanfield («Sorry to Bother You», «Uncut Gems») als undurchsichtigen, aufreibend dauergestressten Überlebenskünstler gespielt und musikalisch immer wieder von nervös-dissonanten Klängen begleitet wird, scheint zwar mit den Zielen der Panthers zu sympathisieren, kann sich aber nicht vom FBI-Gängelband befreien: einerseits, weil ihm bei Meuterei entweder Gefängnis oder die Auslieferung an die paranoiden BPP-Spitzeljäger*innen blüht; andererseits, weil er sich als junger schwarzer Mann mit Vorstrafen keine allzu grossen Hoffnungen auf ein geregeltes Einkommen in der Höhe seines Informanten-Salärs machen kann.
Mit anderen Worten: Kapitalismus und struktureller Rassismus gehen Hand in Hand; und wer das eine überwinden will, muss sich auch als Feind*in des anderen verstehen. Hamptons Weltsicht ist geprägt von Malcolm X und Mao Zedong, sein Aktivismus vom Solidaritätsgedanken der amerikanischen Gewerkschaften. Die grösste Waffe der Panthers seien nicht ihre Gewehre, sondern die unterdrückten Menschen, denen es zu helfen gilt – mittels zahlreicher gemeinnütziger Projekte sowie Hamptons Opus magnum: der sogenannten «Rainbow Coalition», einem multiethnischen Aktionsbündnis von Strassengangs und linken Gruppierungen.
«King kleidet diese politisch geladene Geschichtslektion in einen dynamisch erzählten, aber immer noch ziemlich klassisch aufgezogenen Aufstieg-und-Fall-Plot, in dem auch Romantik und Handlungsstränge über auserlesene Nebenfiguren nicht fehlen dürfen.»
King kleidet diese politisch geladene Geschichtslektion in einen dynamisch erzählten, aber immer noch ziemlich klassisch aufgezogenen Aufstieg-und-Fall-Plot, in dem auch Romantik und Handlungsstränge über auserlesene Nebenfiguren nicht fehlen dürfen. Ersteres Element funktioniert trotz einiger holpriger Dialogpassagen sogar ganz ansprechend, da der oscarprämierte Daniel Kaluuya («Get Out», «Queen & Slim») nicht nur als feurige Reden schwingender Messias überzeugt, sondern auch als hemdsärmeliger Witzbold – und damit bestens mit Dominique Fishback («The Deuce», «Project Power») und dem trockenen Humor, den sie in der Rolle von Hamptons Verlobten Deborah Johnson findet, harmoniert. Etwas weniger zielführend sind die Szenen, in denen sich der Fokus von Hampton und O’Neal auf Roy Mitchell und seine FBI-Kumpanen verschiebt. Hier verrennen sich sowohl Drehbuch als auch Darsteller – insbesondere Martin Sheen als Bureau-Gründer J. Edgar Hoover – in der Karikatur.

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«King und seine Co-Autoren haben es geschafft, diesen Modus, in dem im Kino oftmals zur politischen Mässigung aufgerufen wird (siehe ‹The Trial of the Chicago 7›), mit mitreissendem progressivem Furor aufzuladen und Fred Hampton und seiner Vision der Black Panther Party ein ebenso substanzielles wie zugängliches Denkmal zu setzen.»
«Judas and the Black Messiah» ist Hollywoodkino aus dem Bilderbuch – von Sean Bobbitts punktuell eindringlicher Bildsprache über die streckenweise etwas fransige Erzählung bis hin zum Übermass an Texttafeln zum Schluss. Doch King und seine Co-Autoren haben es geschafft, diesen Modus, in dem im Kino oftmals zur politischen Mässigung aufgerufen wird (siehe «The Trial of the Chicago 7»), mit mitreissendem progressivem Furor aufzuladen und Fred Hampton und seiner Vision der Black Panther Party ein ebenso substanzielles wie zugängliches Denkmal zu setzen.
Über «Judas and the Black Messiah» wird auch in Folge 29 des Maximum Cinema Filmpodcasts diskutiert.
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Kinostart Deutschschweiz: 1.7.2021
Filmfakten: «Judas and the Black Messiah» / Regie: Shaka King / Mit: Daniel Kaluuya, Lakeith Stanfield, Jesse Plemons, Dominique Fishback, Ashton Sanders, Algee Smith, Martin Sheen / USA / 126 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © 2021 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved
«Judas and the Black Messiah» erzählt auf konventionelle, aber mitreissende Weise vom Black Panther Fred Hampton. Daniel Kaluuya und Lakeith Stanfield glänzen in den Hauptrollen.
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