Wer fehlende Originalität im Filmgeschäft beklagt, kennt Yorgos Lanthimos nicht. Der exzentrische Grieche legt mit «The Killing of a Sacred Deer» sein zweites englischsprachiges Projekt vor und zementiert damit seinen Ruf als aufregende neue Stimme im amerikanischen Kino.
In der Filmkritik gibt es gewisse Grundregeln. «Bewerte ein Werk danach, was es ist – nicht danach, was du von ihm wolltest», ist eine. «Gehe nicht davon aus, dass früher alles besser war», eine andere. Und natürlich: «Der Titel ‹der neue Kubrick› ist streng verboten.» Eine davon muss hier mindestens ansatzweise gebrochen werden.
Nein, trotz des exzellenten Rufs, den seine Filme «Dogtooth» (2009), «Alps» (2011) und «The Lobster» (2015) geniessen, ist Yorgos Lanthimos noch nicht auf dem Niveau von «2001: A Space Odyssey» (1968) und «A Clockwork Orange» (1971) angekommen. Ja, es ist durchaus möglich, dass er in naher Zukunft kreativ ausbrennen wird und, anders als der Meisterregisseur schlechthin, zu einer filmhistorischen Fussnote mutiert.
Doch wenn einem «The Killing of a Sacred Deer» etwas vor Augen führt, dann dass sich Lanthimos, wie einst Stanley Kubrick – mit dem er sich eine Liebe zum opernhaften Pathos teilt –, kaum in vorgefasste Genrevorstellungen einordnen lässt.
Doch wenn einem «The Killing of a Sacred Deer» etwas vor Augen führt, dann dass sich Lanthimos, wie einst Stanley Kubrick – mit dem er sich eine Liebe zum opernhaften Pathos teilt –, kaum in vorgefasste Genrevorstellungen einordnen lässt. Kubrick ist sein eigenes Genre, Lanthimos auf dem besten Weg dahin. Die Prämisse ist weniger schrill als diejenige von «The Lobster» – dort wurden Singles in Tiere verwandelt –, im Grunde aber ebenso surreal: Der Kardiologe Steven Murphy (Colin Farrell) nimmt den Teenager Martin (Barry Keoghan) unter seine Fittiche, woraufhin sein Sohn (Sunny Suljic) plötzlich Lähmungserscheinungen an den Tag legt, die sich medizinisch nicht erklären lassen und Steven und seine Ehefrau Anna (Nicole Kidman) in tiefe Ratlosigkeit stürzen.
Der Film, dessen Geschichte lose auf der Euripides-Tragödie «Iphigenie in Aulis» basiert, vermischt auf eindrucksvolle Weise magischen Realismus mit dem nüchternen Horror nach dem Vorbild Michael Hanekes und der hyperästhetischen Kälte, die man von Kubrick kennt.
Der Film, dessen Geschichte lose auf der Euripides-Tragödie «Iphigenie in Aulis» basiert, vermischt auf eindrucksvolle Weise magischen Realismus mit dem nüchternen Horror nach dem Vorbild Michael Hanekes und der hyperästhetischen Kälte, die man von Kubrick kennt. Durchsetzt ist diese an sich ernste Angelegenheit aber von einem vertrackten Humor – von Dialogen, die sich mit ihrer fast schon sterilen Direktheit über die Natur menschlicher Interaktion lustig zu machen scheinen. Lanthimos und Co-Autor Efthymis Filippou spielen hier Wes Andersons bösen Zwilling.
«The Killing of a Sacred Deer» ist eine eindringliche Demonstration der Kunstform Film – ein Werk, das sich sowohl auf der ästhetischen als auch auf der inhaltlichen Ebene durch kompromisslose, visionäre Eigenwilligkeit auszeichnet. Es ist ein Film, der ebenso sehr unterhält wie verstört und fasziniert. Dafür geht man ins Kino.
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Kinostart Deutschschweiz: 11.1.2018 / Streambar auf Apple TV, Amazon Prime, filmingo, myfilm und cinefile
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Filmfakten: «The Killing of a Sacred Deer» / Regie: Yorgos Lanthimos / Mit: Colin Farrell, Nicole Kidman, Barry Keoghan, Raffey Cassidy, Barry Keoghan, Sunny Suljic, Alicia Silverstone, Bill Camp / Irland, UK, USA / 121 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Xenix Filmdistribution GmbH
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