Als der 22-jährige Franz Klammer am 5. Februar 1976 Olympiagold in Innsbruck holte, wurde Sportgeschichte geschrieben. Es war längst überfällig, dieses prägende Sportereignis zu verfilmen. Doch das Warten hat sich gelohnt: «Klammer – Chasing the Line» ist ein rasantes Filmvergnügen, auch für Nicht-Skifahrer*innen.
Franz Klammers Olympiasieg ist der Tag X in der österreichischen Skigeschichte. Noch heute wissen sogar Österreichs Ski-Muffel, wo sie an diesem Tag waren. Die Kinder hatten auf jeden Fall schulfrei und sassen mit der ganzen Familie zu Hause oder im Wirtshaus vor dem Fernseher und hofften und beteten, dass «ihr Franzl» der Skination Österreich alle Ehre macht und sowohl den schwierigen Patscherkofel als auch den Schweizer Bernhard Russi bezwingt.
Klammer selbst lehnte jedes Angebot über die Verfilmung seines Lebens ab, bis Andreas und Elisabeth Schmied ihn mit ihrem Drehbuch überzeugten, die letzten fünf Tage vor dem olympischen Abfahrtslauf 1976 auf die Leinwand bringen zu lassen. «Klammer – Chasing the Line» erzählt von Klammers Abreise mit seinem gelben BMW 2002 tii aus dem Kärntner Heimatort über die Vorbereitungstage im Olympiadorf bis hin zum Sieg, wo dem «Abfahrtskaiser» 60’000 Menschen zujubelten.
«‹Klammer – Chasing the Line› erzählt von Klammers Abreise mit seinem gelben BMW 2002 tii aus dem Kärntner Heimatort über die Vorbereitungstage im Olympiadorf bis hin zum Sieg, wo dem ‹Abfahrtskaiser› 60’000 Menschen zujubelten.»
Co-Autor Andreas Schmied («Die Werkstürmer», «Love Machine») führte auch gleich Regie und konzentriert sich in seiner Inszenierung zunächst auf Klammers innere Zerrissenheit, bevor er zum Helden werden konnte. Denn der «Franzl» (Julian Waldner) wollte nie berühmt werden, sondern immer nur Ski fahren. Die Saison läuft gut, das ganze Land schaut auf ihn, die Erwartung, Olympiagold zu holen, ist gross. Der cholerische Trainer Charly (Wolfgang Oliver) untersagt «Weibereien» und «Saufereien» während des Trainingscamps, was vom Abfahrtsteam wie eine Aufforderung zur Dauerparty auf Schulskikurs-Niveau verstanden wird. «Jetzt lochts noch. Bis uns die Schweizer und die Itaker um die Ohren fliagn auf unsern Berg!», schreit Charly nervös an seiner Zigarette ziehend.
Der ganze Druck lastet also auf Klammer, der nicht nur mit seiner Versagensangst zu kämpfen hat, sondern auch mit dem Sponsor, dem Skifabrikanten Josef «Pepi» Fischer (grossartig dargestellt vom Wiener Burgschauspieler Robert Reinagl), der ihm im letzten Moment einen neuartigen Loch-Ski aufzwingen will.
Weder der Ski, der aussieht «wia a Kas», noch der goldene Olympiaanzug fürs Rennen passen zum bodenständigen jungen Spitzensportler, und als er in den Trainingsläufen die richtige Linie nicht findet, wird er noch mit der Startnummer 15 abgefertigt, die vor allem eines verspricht: eine abgefahrene, ruppige Piste. Das eigentliche Duell in diesem rasanten, bildgewaltigen Ski-Krimi wird somit also nicht zwischen Klammer und Russi (Raphaël Tschudi) ausgetragen – wie es von der Presse heraufbeschworen wird –, sondern zwischen Klammer, den schmierigen Skifabrikanten und sich selbst.
Die Dauerbeschallung durch die Lautsprecher im Olympischen Dorf rauben ihm die Konzentration und der Trainer den letzten Nerv. «Da wirst ja mental total deppert», erzählt Klammer seiner Freundin Eva (Valerie Huber), die in Wien studiert und ihn, trotz einer wichtigen Prüfung, wortwörtlich auf die richtige Spur bringen kann. Der Rest ist Sportgeschichte.
Die Kameraarbeit des eingespielten «Stilfabrik»-Duos Andreas Thalhammer und Xiaosu Han («Wilde Maus») tut ihr Übriges dazu, um für Action zu sorgen – durch Kameras, die am rasenden Ski kleben, oder in Zusammenarbeit mit Schnittmeister Gerd Berner, in den parallel montierten Abfahrtsrennszenen. Und dass der charismatische Bergbauernbub schliesslich zum Abfahrtsrockstar wird, spiegelt auch die fetzige Siebzigerjahre-Musik mitreissend wider.
Was also in fünf Tagen passiert und in weniger als zwei Minuten zu Ende gebracht wurde, bringt den Zusehenden nicht nur Sportgeschichte nahe; es lässt auch die Ära der Pudelmützen, Schreibmaschinen, analogen Kameras, verrauchten Büros und Rollkragenpullis wieder aufleben. Und dass man vor dem Training einen Schnaps trinkt, gehört halt auch dazu.
Die grosse Kritik an Trainingsmethoden, Sponsoren und dem Österreichischen Skiverband bleibt im Film grösstenteils aus, wird aber mit ein paar unmissverständlichen Seitenhieben – wie etwa der Antagonistenrolle Pepi Fischers – angedeutet. Generell ist das Verhältnis aller Konkurrenten bei Olympia aber sehr harmonisch, und das idyllische Österreich zeigt sich von seiner schönsten Seite.
Dass die Romanze zwischen Franz und Eva etwas kitschig dargestellt wird, mitsamt süssen Crèmeschnitten und lauschenden Jungs an der Tür, wird dem Umstand, dass die beiden in der Folge heirateten und eine Familie gründeten, nicht gerecht. Doch was wäre ein Heldenepos ohne Liebesgeschichte? Man mag es aufgrund der sonst aufregenden Geschichte und des sympathischen Casts durchaus verzeihen.
«Diese unterhaltsame Leinwand-Hommage brilliert durch motivierte Darsteller*innen, denen man den Spass am anstrengenden Dreh durchaus ansieht.»
Diese unterhaltsame Leinwand-Hommage brilliert durch motivierte Darsteller*innen, denen man den Spass am anstrengenden Dreh durchaus ansieht – etwa wenn der Fischer Pepi dem Franzi seine Macht zeigen will, und beide dabei ein Grinsen unterdrücken müssen, oder wenn Franzls Mutter (Doris Dexl) einen schrillen Anfall nach dem anderen hinlegt. Und an den Pressekonferenzen darf endlich wieder geraucht werden. So mancher Sportreporter würde sich die Siebzigerjahre zurückwünschen.
«Nicht hoffen, nicht wollen – wissen»: Franz Klammers persönliches Mantra von 1976 wurde 45 Jahre nach seinem Olympiasieg in einem sehenswerten Film verewigt, das dem grossen Abfahrtskaiser alle Ehre erweist.
–––
Kinostart Deutschschweiz: 6.1.2022
Filmfakten: «Klammer – Chasing the Line» / Regie: Andreas Schmied / Mit: Julian Waldner, Valerie Huber, Doris Dexl, Arnold Dörfler, Wolfgang Oliver, Robert Reinagl, Harry Lampl / Österreich / 113 Minuten
Bild- und Trailerquelle:
In «Klammer – Chasing the Line» wird ein grosser österreichischer Sportmoment von Regisseur und Co-Autor Andreas Schmied rasant und unterhaltsam porträtiert.
No Comments