«Früher war alles besser», besagt einer der hartnäckigsten Mythen der Menschheit. In der klugen Beziehungskomödie «La belle époque» von Nicolas Bedos werden die französischen Schauspielschwergewichte Daniel Auteuil und Fanny Ardant mit den Tücken dieser Einstellung konfrontiert.
Offensichtlich gut betuchte, Französisch sprechende Menschen mittleren Alters diskutieren bei Wein und Horsd’œuvres über ihre gesellschaftskritischen Filmprojekte. Wenig später flucht Schauspielveteran Daniel Auteuil («Jean de Florette», «Caché») über Smartphones und die angeblich verlorene Kunst der Konversation, während Fanny Ardant («8 femmes») sich mithilfe einer Virtual-Reality-Brille aus dem Gespräch ausklinkt. Einem Teil des Publikums dürfte hier Übles schwanen. Denn in seinem ersten Akt erinnert «La belle époque» an die jüngsten Versuche des französischen Kinos, etwas Substanzielles über Beziehungen und «die heutige Zeit» zu sagen – Filme wie Claire Denis‘ «Un beau soleil intérieur» (2017), Fred Cavayés «Le jeu» (2018) oder Olivier Assayas‘ «Doubles vies» (2018), die vor lauter Kulturpessimismus bisweilen Gefahr liefen, das Kind mit dem Bade auszuschütten und wehmütig einer prädigitalen Zeit nachtrauerten.

Daniel Auteuil in «La belle époque».
Regisseur und Drehbuchautor Nicolas Bedos («Monsieur et Madame Adelman») erzählt vom angejahrten 68er-Ehepaar Victor (Auteuil) und Marianne (Ardant), das sich längst auseinandergelebt hat. Sie ist eine erfolgreiche Psychiaterin, die es sich in der Pariser Bourgeoisie gemütlich gemacht hat; er hat seine langjährige Stelle als politischer Karikaturist verloren, als seine Zeitung die Printausgabe einstellte, und arbeitet seit Jahren an einem autobiografischen Comic, der nicht fertig werden will. Als Marianne Victor vor die Tür setzt, um mit ihrem Liebhaber (dem herrlich trantütigen Denis Podalydès) zusammenzuziehen, erhält der missmutige Cartoonist ein ungewöhnliches Angebot: Antoine (Guillaume Canet), der Chef einer Firma, die immersive historische Nachstellungen feilbietet, gibt ihm die Chance, einen der glücklichsten Abende seines Lebens – ein turbulentes Abendessen in einem Lyoner Bistro 1974 – noch einmal zu erleben.
«Eine nuancierte, überraschend umsichtige und spielerisch verschachtelte Tragikomödie über den unaufhaltsamen Lauf der Zeit.»
Nach der streckenweise ermüdend plumpen Exposition ist es ein wahres Vergnügen, «La belle époque» dabei zuzusehen, wie er sich von einer Beziehungskomödie von der Stange in eine nuancierte, überraschend umsichtige und spielerisch verschachtelte Tragikomödie über den unaufhaltsamen Lauf der Zeit verwandelt. Bedos scheint hier zu gleichen Teilen von Woody Allens bittersüssem Nostalgie-Trip «Midnight in Paris» (2011) und Charlie Kaufmans unergründlichem Theaterfilm «Synecdoche, New York» (2008) inspiriert worden zu sein. Denn sobald Victor im hastig nachgebauten Bistro der Protagonistin seiner Lieblingserinnerung – gespielt von Antoines Flamme Margot (Doria Tillier) – gegenübersitzt, werden ihm die unüberbrückbaren Gräben zwischen Original und Kopie bewusst.

Fanny Ardant in «La belle époque».
Bedos inszeniert das nicht mit dem schulmeisterlich erhobenen Zeigefinger einer «Black Mirror»-Episode, sondern beleuchtet voller Behutsamkeit und Empathie sowohl den Reiz als auch die Gefahren dieser extremen Form der Vergangenheitsliebe, ganz im Sinne des im englischen Sprachraum beliebten Sprichworts «It’s okay to look back at the past as long as you don’t stare».
«Auteuil brilliert als Victor nicht zuletzt, weil er ihn – in bester Komödienmanier – als jemanden spielt, der niemals richtig erwachsen geworden ist.»
Abgesehen von der halbgaren und hoffnungslos antiquierten Liebesgeschichte zwischen Antoine und Margot, besticht «La belle époque» vor allem durch seine Bereitschaft, das filmisch allzu oft verklärte Phänomen der Nostalgie kritisch zu beleuchten: Auteuil brilliert als Victor nicht zuletzt, weil er ihn – in bester Komödienmanier – als jemanden spielt, der niemals richtig erwachsen geworden ist. Das mag zwar immer wieder zu Lachern führen, suggeriert zugleich aber auch einen dysfunktionalen Mann, der irgendwann aufgehört hat, nach vorne zu blicken und sich in seiner egozentrischen Missgunst gegenüber jeglicher Veränderung wie ein unbeugsamer Verfechter einer besseren Zeit vorkommt. Es ist erfrischend, mit welcher Eleganz Bedos und Auteuil diese Figur auf den Pfad der Einsicht führen und, mit tatkräftiger Unterstützung der wunderbaren Fanny Ardant, das romantische Potenzial der Gegenwart entdecken.
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Kinostart Deutschschweiz: 28.11.2019
Filmfakten: «La belle époque» / Regie: Nicolas Bedos / Mit: Daniel Auteuil, Fanny Ardant, Doria Tillier, Guillaume Canet, Pierre Arditi, Denis Podalydès, Michaël Cohen / Frankreich / 110 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Pathé Films AG
Auf einen schwachen ersten Akt folgt eine intelligente Auseinandersetzung mit den Gefahren ungezügelter Nostalgie.
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