Seit 20 Jahren teilen sich Eugénie und Dodin Küche und Bett im ausgehenden 19. Jahrhundert. Im Einklang mit der Natur und den Jahreszeiten arbeiten sie Hand in Hand und zelebrieren ihre gemeinsame Leidenschaft fürs Kochen und ausgefeilte kulinarische Kreationen. Doch trotz aller Zuneigung will Eugénie Dodin nicht heiraten. Um diese spezielle Beziehung kreist der Film «La Passion de Dodin Bouffant».
Liebe geht durch den Magen: Der französisch-vietnamesische Regisseur Trần Anh Hùng («Norwegian Wood», «Éternité») wendet sich in seinem jüngsten Werk der französischen Küche zu und erweckt Marcel Rouffs Roman «La Vie et la Passion de Dodin-Bouffant gourmet» aus dem Jahr 1924 zu einem Fest des Genusses und der Gaumenfreude.
Der berühmte Gastronom Dodin (Benoît Magimel) lebt Ende des 19. Jahrhunderts erd- und naturverbunden in einem Anwesen, wo er am massiven Holztisch in seiner Küche neue Rezepte kreiert und ausgefallene Menüs studiert. Ihm zur Seite steht seit 20 Jahren die charismatische Köchin Eugénie (Juliette Binoche), die er über alles liebt und die seine Heiratsanträge aber stets charmant zurückweist – denn so könne sie ihr Gemach immer abschliessen, wenn sie ihn nicht empfangen möchte, was ihr als Ehefrau nicht mehr möglich wäre. Doch die Beziehung ist dennoch von Liebe und Zuneigung geprägt: Eugénie und Dodin necken sich den lieben langen Tag; und sie ist sowohl seine grösste Bewunderin als auch seine schärfste Kritikerin.
Und so sieht man den beiden nach einem gemeinsamen Frühstück – es gibt Omelette – gefühlt mehrere Stunden dabei zu, wie sie gemeinsam mit der Magd Violette (Galatea Bellugi) und deren Nichte Pauline (Bonnie Chagneau-Ravoire) ein viergängiges Menu zubereiten. Dabei darf wahrlich von Kochkunst gesprochen werden, denn unter den warmen Sonnenstrahlen, die unaufhörlich durch die offene Küchentür zum Garten fällt und die Stube in warmes Licht tauchen, scheinen alle Abläufe der vier Personen Hand in Hand zu gehen – und das ganz ohne Geschrei, wie man es aus Gourmetküchenfilmen kennt, und auch ohne die Annehmlichkeiten des 21. Jahrhunderts.

Galatea Bellugi, Bonnie Chagneau-Ravoire, Benoît Magimel und Juliette Binoche in «La Passion de Dodin Bouffant» / © Frenetic Films AG
Hier werden riesige Kupfertöpfe auf den Ofen gehievt, die schweren, quietschenden Türen desselben geöffnet, Kuchen, Braten und geschmorrter Salat hineingeschoben und herausgenommen, Fische ausgenommen, Kalbskarrees gehackt, Langusten geschält, unzählige Kräuter geschnitten und Eis drapiert. Von der Spüle bis zum Herd – und an allen weiteren Arbeitsflächen – wirken die Abläufe synchronisiert, als wäre die Küche eine Ballettbühne, wo ein Handgriff ganz logisch auf den nächsten folgt.
«Es ist ein wahrer Genuss, diesen Arbeitsabläufen in der Küche beizuwohnen.»
Inmitten dieser Choreografie bewegt sich nur eine Kamera, die all diese Schritte in Szene setzt, als würde sie um die Schauspieler*innen tänzeln, während diese wiederum ihre Bewegungen mit der Kamera abgleichen. Kameramann Jonathan Ricquebourg sorgt für diesen packenden filmischen Fluss, indem er in seinen Kamerafahrten keine Gelegenheit auslässt, um ein ästhetisches Detail bildlich zu erfassen. Es ist ein wahrer Genuss, diesen Arbeitsabläufen in der Küche beizuwohnen. (Sternekoch Pierre Gagnaire war mit seinem Team als Berater für den Film tätig und durfte quasi als Belohnung sogar eine kleine Rolle als Küchenchef des zu Besuch kommenden Prinzen übernehmen.)
Jeder Gang ein Genuss, jeder Biss eine Philosophie. Während sich Eugénie zwischen Küche und Gemüsegarten hin- und herbewegt, ist es Dodin, der zwischen Küche und Speisezimmer seinen Platz findet. Hier begeistert er seine vier Freunde, alles wohlhabende ältere Herren mit eigentümlichen, aber liebenswerten Charakterzügen, die den gedanklich-poetischen Ansätzen des Koches lauschen, während er ihnen die Eigenschaften des Essens erklärt, als wäre es ein seltener Wein. Und wenn Dodin nicht selbst kocht, dann ist er mit seiner Herrenrunde unterwegs, um traditionelle (verbotene) Ortolane zu verspeisen oder sich bei einem ausländischen Prinzen den Bauch (über)vollzuschlagen.

Benoît Magimel und Juliette Binoche in «La Passion de Dodin Bouffant» / © Frenetic Films AG
Über 135 Filmminuten hinweg wird in «La Passion de Dodin Bouffant» gekocht und gegesse. Da bleibt nur wenig Platz für eine tiefgreifende Dramaturgie, die eine Geschichte über die Küche hinaus erzählt. Dennoch hat es Regisseur und Drehbuchautor Hùng versucht und lässt Eugénie entsprechend nicht, wie es in Rouffs Roman der Fall war, zu Beginn der Erzählung sterben. Vielmehr flicht er die Liebesgeschichte der beiden in die Handlung mit ein – eine Entscheidung, die in der zweiten Hälfte des Films aber auch dazu führt, dass das Publikum etwas ratlos zurückbleibt, als wüsste niemand, wie genau die Geschichte zu Ende geführt werden könnte.
«Wer den Film im Kino erleben will, sollte für danach unbedingt einen Tisch in einem guten Restaurant reserviert haben.»
Zwar nimmt der Film in diesen Passagen etwas an Tempo auf, aber mit der Eskalation der Handlung erlischt auch der Zauber der ersten Hälfte. Die romantische Verklärung des «Landlebens» im 19. Jahrhundert tut ihr Übriges dazu. Köchin und Hausherr sehen sich stets liebevoll an, und dass auch Ausbeutung ein Thema sein könnte, erkennt man nur schemenhaft an der Einrichtung von Violettes Dienstbotinnenkammer.
Doch selbst wenn die Dramaturgie keine emotionalen Höhenflüge garantiert – trotz guter Schauspielleistungen von Binoche und Magimel, die pikanterweise sogar einmal miteinander liiert waren –, geht «La Passion de Dodin Bouffant» zweifellos in den Magen. Wer den Film im Kino erleben will, sollte für danach unbedingt einen Tisch in einem guten Restaurant reserviert haben.
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Kinostart Deutschschweiz: 22.2.2024
Filmfakten: «La Passion de Dodin Bouffant» / Regie: Trần Anh Hùng / Mit: Juliette Binoche, Benoît Magimel, Galatea Bellugi, Bonnie Chagneau-Ravoire, Emmanuel Salinger, Patrick d’Assumçao / Frankreich / 135 Minuten
Bild-und Trailerquelle: Frenetic Films AG
In Trần Anh Hùngs «La Passion de Dodin Bouffant» wird die Landhausküche in wunderschönen Bildern zelebriert – und da darf die Liebe natürlich nicht fehlen.
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