Disneys Nostalgie-Fabrik arbeitet auf Hochtouren: Nach Mowgli, Aladdin und Simba kommen nun auch Susi und Strolch in den Genuss einer Realspielfilm-Neuauflage. Doch auch der exklusiv auf Disney+ erhältliche «Lady and the Tramp» kann die grundlegende Frage, die diese Remakes aufwerfen, nicht beantworten: Was soll das Ganze?
Was kann man noch sagen über die Remakes seiner eigenen Animationsklassiker, die Disney seit 2015 im Jahresrhythmus in die Kinos bringt und damit sämtliche Einnahmerekorde bricht? Filme wie «Cinderella» (2015), «The Jungle Book» (2016), «Beauty and the Beast» (2017), «Dumbo» (2019) und «The Lion King» (2019) sind zu ihrer eigenen Franchise geworden – einem multimedialen Goldesel wie Marvel oder «Star Wars», der dem Studio seine finanzielle und kulturelle Vormachtstellung in der globalen Unterhaltungsindustrie sichert.
Wirklich gut ist keines dieser Werke, auch weil sie – mit Ausnahme von Tim Burtons bizarrem «Dumbo» – gar nicht erst den Anspruch zu hegen scheinen, über ihre populären Vorlagen hinauszuweisen. Es ist die Automatisierung der Nostalgie: Das Publikum wird mithilfe recycelter Momente, Szenen und Plots an die Lieblinge aus der Kindheit erinnert. Man könnte sich die Rezensionsarbeit im Grunde sparen, läuft doch letztlich jeder dieser Filme mehr oder weniger auf dasselbe Fazit hinaus: Wozu soll man sich das inferiore Remake antun, wenn – gerade in Zeiten von Disney+ – das geliebte Original nur einen Klick entfernt liegt?
«Es ist die Automatisierung der Nostalgie: Das Publikum wird mithilfe recycelter Momente, Szenen und Plots an die Lieblinge aus der Kindheit erinnert.»
Das gilt auch für «Lady and the Tramp», das vom Animationsexperten Charlie Bean inszenierte Remake des gleichnamigen Disney-Klassikers von 1955. Die Liebesgeschichte zwischen der Haushündin Lady (gesprochen von Tessa Thompson), welche um die Aufmerksamkeit von Herrchen (Thomas Mann) und Frauchen (Kiersey Clemons) kämpft, und dem Streuner Tramp (gesprochen von Justin Theroux) mag ein paar kosmetische Veränderungen vornehmen – darunter eine Neubesetzung der Antagonistenrolle –, bleibt aber den Beweis schuldig, eine lohnenswerte Neuinterpretation zu sein.
«Auch hier wird expressiver Zeichentrick durch düstere Bilder, austauschbare Kulissen und mimisch eingeschränkte Tiere ersetzt, was der Affiche jegliche Dynamik raubt.»
Denn auch hier wird expressiver Zeichentrick durch düstere Bilder, austauschbare Kulissen und mimisch eingeschränkte Tiere ersetzt, was der Affiche jegliche Dynamik raubt. Die groteske Version der berühmten Spaghetti-Szene ist ein schmerzlich anschauliches Beispiel dafür, wie viel Magie verloren geht, wenn einem Moment aus der Fantasiewelt der Animation der Realismus des Spielfilms aufgezwungen wird. Zudem führt die im Zeitlupentempo erzählte Handlung das Argument der Disney-Verantwortlichen, derartige Produktionen würden die alten Stoffe «für eine neue Generation» zugänglich machen, vollends ad absurdum. Tatsächlich ist der einzige erkennbare Mehrwert gegenüber dem Original von Clyde Geronimi, Wilfred Jackson und Hamilton Luske hier der Verzicht auf rassistische Karikaturen.
Im Kontext seiner Vorgänger jedoch ist «Lady and the Tramp» geradezu erfrischend. Bean drehte überwiegend mit echten Hunden, was bedeutet, dass die Beziehung zwischen Lady und Tramp – trotz digital bewegter Münder – im Gegensatz zu den leer dreinblickenden CGI-Löwen von Jon Favreaus «Lion King» fast schon lebendig wirkt. Die Synchronsprecher der tierischen Figuren – besonders Nebendarsteller*innen wie Ashley Jensen («Extras», «Ugly Betty») und Sam Elliott («A Star Is Born») – passen für einmal gut zu ihren Rollen. Und wenn gesungen wird, dann singen mit Kiersey Clemons und Janelle Monáe gestandene Musikerinnen, denen – anders als bei Emma Watson in «Beauty and the Beast» – nicht mit lächerlichem Autotune nachgeholfen werden muss.
«Bean drehte überwiegend mit echten Hunden, was bedeutet, dass die Beziehung zwischen Lady und Tramp – trotz digital bewegter Münder – im Gegensatz zu den leer dreinblickenden CGI-Löwen von Jon Favreaus ‹Lion King› fast schon lebendig wirkt.»
Doch worin besteht der Sinn, einen Film zu drehen, dessen beste Aussicht es ist, sich mit einigen der Federn seiner Vorlage schmücken zu können? Was hat das Publikum davon, einen fast zweistündigen Werbeblock für ein anderes Werk zu sehen? «Lady and the Tramp» gibt keine Antwort. Er bleibt eine sinnlose Übung – ein profilloses Stück Content, das keine einzige starke Reaktion provoziert.
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Filmfakten: «Lady and the Tramp» / Regie: Charlie Bean / Mit: Tessa Thompson, Justin Theroux, Thomas Mann, Kiersey Clemons, Adrian Martinez, Ashley Jensen, Sam Elliott, Yvette Nicole Brown, Janelle Monáe, Benedict Wong, F. Murray Abraham / USA / 104 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Disney
Wer «Lady and the Tramp» schon immer als mittelmässigen Realspielfilm sehen wollte, kommt hier voll auf die Rechnung. Alle anderen können beim animierten Original bleiben.
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