Grosses Kino ist «Legend» von Brian Helgeland (Drehbuch-Oscar für «L.A. Confidential») zwar nicht, doch er punktet mit einem grandiosen Tom Hardy in beiden Hauptrollen. Jetzt verfügbar auf Netflix Schweiz.
In «Legend» verkörpert der englische Ausnahmeschauspieler Tom Hardy, zu dessen Karrierehöhepunkten seine Darbietungen in «Bronson», «Inception», «Warrior» und «Locke» gehören, die berüchtigten Kray-Zwillinge Reginald und Ronald, die im „Swinging London“ der Sechzigerjahre mit mafiösen Methoden die lukrative Nachtclub-Szene beherrschen (auf der Leinwand bislang am besten thematisiert von Peter Medaks «The Krays»). Während der clevere Reg das Geschäftliche regelt – und nebenbei mit der hübschen Frances (Emily Browning) anbandelt –, ist der schizophrene Paranoiker Ronnie dafür zuständig, Konkurrenten, wie etwa die Südlondoner Richardson-Gang, vom Kray-Territorium fern zu halten.
Helgeland, der als Autor («Mystic River», «Man on Fire», «Green Zone») grössere Erfolge feiern konnte als auf dem Regiestuhl («A Knight’s Tale», «42»), inszeniert dieses faszinierende Stück Zeitgeschichte als solides, aber wenig überraschendes Aufstieg-und-Fall-Gangsterdrama in der Tradition von Howard Hawks‘ «Scarface» und Martin Scorseses «Goodfellas» – ohne allerdings je die Klasse dieser Filme zu erreichen. Mit nur halbwegs überzeugenden CGI-Panoramen, ansehnlichen Kostümen und Kulissen sowie allzu szenenbezogenen Songs aus der Zeit wird das ikonische London der Beatles und der Rolling Stones angedeutet, dessen Kultur von der Kray-Mafia aus dem East End nachgerade kuratiert wird.
Das resultiert in zahlreiche Auseinandersetzungen – manche bloss verbal, manche blutig –, die einzeln zwar souverän in Szene gesetzt sind, sich aber nicht zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügen wollen, auch weil die auf 130 Minuten ausgedehnte Geschichte zunehmend ausfranst.

Tom Hardy und Tom Hardy.
Der doppelte Tom Hardy
So bleibt der doppelte Tom Hardy mit Abstand das einprägsamste Element in «Legend». Beruft er sich als Reginald subversiv auf seine leichteren, charmanten Rollen in «RocknRolla» oder «This Means War», beeindruckt er als Ron mit einer grossartig ausbalancierten Darstellung einer zerrissenen, gequälten Figur. Zwar kann es sich Helgelands Drehbuch nicht gänzlich verkneifen, hie und da einen Witz sowohl über Rons geistige Behinderung als auch über seine offene Bisexualität fallen zu lassen; dass der Charakter aber dennoch niemals an Menschlichkeit verliert, zeugt von der Qualität von Hardys differenzierter, einfühlsamer Performance. Hinter Rons rohem Äusserem, seiner aufbrausenden Natur, seinem mitunter pathologischen Blutdurst lässt Hardy die Tragödie eines waschechten «East Enders» erkennen, der sich nicht mit den sich ändernden Gegebenheiten in seiner Heimatstadt arrangieren kann – anders als sein geschäftstüchtiger Bruder, von dem er sich zusehends entfremdet.
Helgeland inszeniert eine gross angelegte Verbrecher-Geschichte, die von Hardy jedoch immer wieder ins zutiefst Persönliche gezogen wird, was «Legend», bei all seinen Unstetigkeiten, eine starke emotionale Grundierung verleiht.
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Kinostart Deutschschweiz: 31.12.2015 / Auf Netflix Schweiz verfügbar. / Regie: Brian Helgeland / Mit: Tom Hardy, Emily Browning, Chazz Palminteri, Christopher Ecclestone
Bildquelle: Impuls Pictures AG
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