Hochkarätig besetzt und virtuos erzählt, schafft Arnaud Desplechin mit seinem neuen Werk «Les Fantômes d’Ismael» eine komplizierte Liebesgeschichte, ein anrührendes Familiendrama, eine Abhandlung über das Kunstschaffen und eine Hommage an das Kino selbst.
Der Filmemacher Ismaël (Mathieu Amalric) weilt mit seiner Freundin Sylvia (Charlotte Gainsbourg) in seinem Strandhaus und schreibt am Drehbuch für seinen neuen Film, als sein Leben plötzlich völlig aus den Fugen gerät. Wie aus dem Nichts taucht nach über 20 Jahren seine totgeglaubte Ehefrau Carlotta (Marion Cotillard) wieder auf. Die Rückkehr Carlottas, die Jahre lang wie ein Geist über Ismaël geschwebt hatte, bringt schliesslich nicht nur sein eigenes Leben durcheinander. Immer mehr geraten alle Figuren in einen Strudel des Kontrollverlusts. Doch hinter der Oberfläche von Carlottas Rückkehr verbergen sich noch viele weitere Geschichten. So etwa die Romanze zwischen der verklemmten Sylvia und dem exzentrischen Ismaël, oder die schmerzlichen Spuren, die Carlottas Verschwinden bei deren Vater und Ismaëls Mentor Henri (László Szabó) hinterlassen hat. Und nicht zuletzt der Film, den Ismaël über seinen Bruder Ivan, einen französischen Diplomaten und möglichen Spion schreibt, und welcher als Film im Film immer wieder in die Erzählung einbricht.
Motiv der Geister
In nonlinearen, fast plateauartigen Szenen und Bildern erzählt Arnaud Desplechin diese vielschichtige Geschichte. Dabei zieht sich das Motiv der Geister – der Titel gebenden «Fantômes» – durch den ganzen Film. Sowohl Ismaël als auch Henri und die Filmfigur Ivan werden von scheusslichen Albträumen heimgesucht, welche ihnen den Schlaf rauben und sie zunehmend zu unzuverlässigen Erzählfiguren machen. Und bei der so plötzlich zurückgekehrten Carlotta weiss man oft nicht, ob es sich um eine echte Figur, ein Hirngespinst Sylvias oder Ismaëls oder doch um einen wahrhaften Geist handelt. Das Ganze ist wortwörtlich unheimlich – und zwar im Freud’schen Sinne als verstörende Rückkehr und Heimsuchung vom fremdgewordenen Vertrauten. Das Unheimliche wird in «Les Fantômes d’Ismaël» zum narrativen und ästhetischen Prinzip. Nicht nur die Leben der Filmfiguren geraten immer mehr ausser Kontrolle. Auch die Geschichte selbst springt zunehmend wild zwischen Erzählsträngen, Zeitebenen, narrativen Rahmen und gar filmischen Genres umher. So, dass am Ende der Status des Film selbst zur Diskussion steht.

Marion Cotillard und Charlotte Gainsbourg
Verschachtelungen und Spiegelungen von Realität und Fiktion
«Les Fantômes d’Ismaël», der dieses Jahr in Cannes ausser Konkurrenz lief, ist also durch und durch selbstreflexiv. Der Film im Film, die Hauptfigur als Filmregisseur und Autor und auch die vielschichtige und nicht lineare Erzählweise lenken immer wieder unsere Aufmerksamkeit auf den Film als Kunstwerk. Und nicht zuletzt die biografischen Parallelen zwischen Ismaël und Desplechin selbst – auch Desplechin ist natürlich Filmemacher, und sein Bruder ist, wie Ivan, ein Diplomat – führen zu jenen selbstreflexiven Verschachtelungen und Spiegelungen von Realität und Fiktion, Leben und Film. Dabei ist die Inszenierung der Künstlerfigur Ismaël als problematisches bis gewalttätiges künstlerisches Genie, dem sich die beiden starken Frauen so vollends zu Füssen legen – vor allem angesichts der gefühlt täglichen Enthüllungen über problematische bis gewalttätige Männer in Hollywood – einziger Wehrmutstropfen in einer sonst so intelligent gestrickten Erzählung.
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Kinostart Deutschschweiz: 24. November.
Regie: Arnaud Desplechin / DarstellerInnen: Mathieu Amalric, Charlotte Gaingsbourg, Marion Cottilard, László Szabó, Louis Garrel uvm.
Bild- und Trailerquelle: Xenix Film.
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