Greta Gerwig widmet sich nach «Lady Bird» (2018) erneut den Leben junger Frauen: In der Literaturverfilmung «Little Women» begibt sie sich ins 19. Jahrhundert und erzählt mit Feingefühl, Empathie und politischer Relevanz vom Aufwachsen der vier March-Schwestern zu Zeiten des amerikanischen Bürgerkriegs – und von einer Welt, in der Männer das weibliche Kunstschaffen nicht würdigen.
Am 22. Januar präsentieren wir «Little Women» als Vorpremiere im KOSMOS: http://bit.ly/TicketsLittleWomen
Einmal mehr wurden für die diesjährige Oscarverleihung ausschliesslich Männer in der Regie-Kategorie nominiert – eine Ehrung, die bisher erst fünf Frauen erfuhren, von denen nur eine einzige die Trophäe auch gewann. Dass auch Greta Gerwig nach ihrer Nomination für «Lady Bird» (2018) dieses Jahr für ihre Regie-Leistung nicht berücksichtigt wurde, scheint, ironischerweise, die eindringliche Relevanz ihres neuen Werkes nur noch zu vergrössern: Mit «Little Women» – einer Literaturverfilmung basierend auf dem gleichnamigen Roman der US-Autorin Louisa May Alcott aus dem Jahr 1868 – begibt sich Gerwig auf die Spuren der Ambitionen und Träume junger Frauen, die sich mit einer Welt konfrontiert sehen, die ihr künstlerisches Schaffen weder wertschätzt noch fördert. «Who always declares genius?» fragt der Film etwa, als eine der weiblichen Hauptfiguren die Malerei frustriert aufgeben will. «Well, men, I suppose», ist die Antwort.
Diese Männer müssen in «Little Women» allerdings in den Hintergrund treten: Mit viel Einfühlungsvermögen erzählt der Film vom Aufwachsen der Schwestern Meg (Emma Watson), Jo (Saoirse Ronan), Beth (Eliza Scanlen) und Amy (Florence Pugh), die zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs ihren Platz in der Welt suchen. Dabei durchleben sie innige Freundschaften, Zukunftsträume, Streitigkeiten und Liebesbeziehungen, spielen Theater mit dem Nachbarsjungen Laurie (Timothée Chalamet), lernen die Wichtigkeit der selbstlosen Nächstenliebe von ihrer Mutter Marmee (Laura Dern), verbringen Nachmittage mit ihrer schrulligen Tante (Meryl Streep) – und müssen erkennen, dass jede idyllische Kindheit einmal einem weit weniger sonnigen Erwachsenenleben weicht.
«Innovativ und inspiriert ist Gerwigs Entscheidung, die Geschichte nicht wie Alcott chronologisch abzuhandeln, sondern die Kindheit der Figuren und ihre Erlebnisse als junge Erwachsene parallel zu erzählen.»
Innovativ und inspiriert ist Gerwigs Entscheidung, die Geschichte nicht wie Alcott chronologisch abzuhandeln, sondern die Kindheit der Figuren und ihre Erlebnisse als junge Erwachsene parallel zu erzählen. Dadurch kreiert sie nicht nur resonante Verbindungen zwischen kindlichen Träumen und erwachsener Ernüchterung, sondern ist auch in der Lage, ihre Themen und Thesen messerscharf herauszuarbeiten und der klassischen Geschichte eine zeitlose Relevanz zu verleihen.
Besonders Jo, die schriftstellerische Ambitionen hegt, und ihre jüngere Schwester Amy, die davon träumt, Malerin zu werden, erweisen sich so als vielschichtige Figuren, in denen sich auch ein modernes Publikum wiedererkennt. Dabei spiegelt und kontrastiert Nick Houys Schnitt Vergangenheit und Gegenwart auf solch elegante und subtile Weise, dass Glück und Verlust immer wieder ineinanderfliessen: Im einen Moment scheinen den Träumen der Mädchen auf dem golden beleuchteten Dachboden des Elternhauses keine Grenzen gesetzt – im nächsten findet man sie isoliert in einer grauen Gegenwart, in der die Gemälde und Geschichten junger Frauen keinen Platz haben. Die einzige Rolle, die ihre Gesellschaft für sie vorgesehen hat, ist die der finanziell abhängigen Ehefrau.

Florence Pugh, Saoirse Ronan und Emma Watson in Greta Gerwigs «Little Women».
Das Ensemble ist grossartig besetzt und beweist besonders in Yorick Le Saux‘ idyllischen, von sanftem Licht durchfluteten Aufnahmen der Kindheit eine mitreissende Dynamik: Die jungen Frauen tollen, raufen und streiten mit so viel Enthusiasmus und Vertrautheit, wie man sie sich von anderen, meist statisch-distanzierten Kostümdramen nicht gewohnt ist. Hervorzuheben ist besonders Florence Pugh als trotzige Amy – eine Figur, der in früheren Verfilmungen des Stoffs (etwa Gillian Armstrongs beliebter Version von 1994 mit Winona Ryder als Jo) nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde und die nun dank Pughs nuancierter Darstellung und ihrem wunderbar irritierten Dauerschmollmund zum ersten Mal mit der aufgeweckten Über-Schwester Jo mithalten kann.
«Greta Gerwig mag für ‹Little Women› nicht die Auszeichnungen erhalten, die sie verdient hätte. Allerdings beweist sie gemeinsam mit anderen Regisseurinnen wie Céline Sciamma (‹Portrait de la jeune fille en feu›), Olivia Wilde (‹Booksmart›), Lulu Wang (‹The Farewell›) und Lorene Scafaria (‹Hustlers›), dass das gegenwärtige weibliche Filmschaffen ungemein komplexe, nuancierte und visionäre Werke hervorbringt.»
Greta Gerwig mag für «Little Women» nicht die Auszeichnungen erhalten, die sie verdient hätte. Allerdings beweist sie gemeinsam mit anderen Regisseurinnen wie Céline Sciamma («Portrait de la jeune fille en feu»), Olivia Wilde («Booksmart»), Lulu Wang («The Farewell») und Lorene Scafaria («Hustlers»), dass das gegenwärtige weibliche Filmschaffen ungemein komplexe, nuancierte und visionäre Werke hervorbringt und, unter anderem, die Leben, Ambitionen und Leidenschaften von Frauen mit einer solchen filmischen Virtuosität portraitiert, wie sie sonst kaum auf der Leinwand zu sehen ist. Es ist höchste Zeit, dass ihr Genie gewürdigt wird.
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Kinostart Deutschschweiz: 30.1.2020
Filmfakten: «Little Women» / Regie: Greta Gerwig / Mit: Saoirse Ronan, Florence Pugh, Eliza Scanlen, Emma Watson, Timothée Chalamet, Laura Dern, Meryl Streep, Bob Odenkirk, Louis Garrel, Tracy Letts, Chris Cooper, James Norton / USA / 135 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Sony Pictures Releasing Schweiz
Greta Gerwig hat mit «Little Women» ein durch und durch weibliches Kunstwerk geschaffen, das die Leben und Ambitionen junger Frauen ernst nimmt.
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