Lorenzo Vigas’ Erstling hat es in sich. Sehr unaufgeregt und langsam erzählt er von der destruktiven Erotik zwischen einem einsamen älteren Mann und einem brutalen Jüngling. Ein nüchternes, brutales Meisterwerk und einer der besten Filme seit Langem.
Unter dem Namen «Desde allá» (Von Weitem) hat Lorenzo Vigas’ Regiedebut 2015 den Goldenen Löwen in Venedig gewonnen. Der alte Titel beschreibt den Inhalt des ruhigen, aber sehr verstörenden Films sehr gut. Viel besser, als der aus Gründen der Verständlichkeit gewählte neue Namen «Los Amantes de Caracas», unter dem der Film hierzulande ins Kino kommt. Dieser suggeriert Kitsch und Romantik – was völlig unpassend ist.
Denn zuallererst ist der Film langsam und beinahe schon dokumentarisch. Die Geschichte kommt ohne Schnörkel und ohne nichtdiegetische Musik aus, sie ist äusserst gradlinig. Das erstaunt, da Guillermo Arriago für das Drehbuch verantwortlich war und den Film mitproduzierte – hatte er sich doch zusammen mit Alejandro González Iñárritu dadurch ausgezeichnet, sehr komplexe Erzählstrukturen zu schreiben (Amores perros, 21 Grams, Babel).
Poetisch und kalt
Gute Gedichte sparen aus – und regen so die Phantasie des Lesers an. Genau das tut das Drama zwischen zwei ungleichen Protagonisten auch. Der heissblütige Elder (Luis Silva, ein phantastisches Leinwanddebut!) hat den harten Alltag auf Caracas’ brutalen Strassen von klein auf internalisiert. In seiner Welt existieren nur Gewalt und Gegengewalt.
Der viel ältere Armando (ebenfalls hervorragend: Alfredo Castro) hingegen ist allein. Und hadert in seiner Einsamkeit mit einem vielfach angedeuteten, aber nie genau beschriebenen Trauma aus seiner Kindheit. Seine Schwester, der einzige ihm vertraute Mensch, hat längst ihren Frieden mit der unangenehmen Vergangenheit geschlossen. Sie kommt ihm ebenso wenig nahe, wie die jungen Männer, die er nach Feierabend mit Geld in seine Wohnung lockt.
An ihnen – und nicht mit ihnen – lebt er seine sexuellen Phantasien aus. Doch als ob er einen Porno statt auf dem Bildschirm auf nackter, junger Männerhaut schauen würde, bleiben die Handlungen kontakt- und emotionslos.
Brutale Gefühle
Dass das Aufeinandertreffen dieser ungleichen Charaktere grosse Konflikte mit sich bringt, ist absehbar. Das Wechselspiel zwischen erotischer Anziehung und Ablehnung schürt auf beiden Seiten neue Wunden und reisst alte auf. Doch während Elder nach vielen Schwierigkeiten allmählich anfängt, seinem älteren neuen Freund zu vertrauen, tut sich dieser noch schwerer damit, Emotionen zuzulassen als körperlichen Kontakt.
Die Geschichte verzichtet auf überflüssige Dialoge und angestrengtes Psychologisieren. Dadurch wird die ganze Aufmerksamkeit auf eine schwierige, widersprüchliche Geschichte gelenkt. Sie lässt das Blut in uns gefrieren. Und zwar vor allem dann, wenn das Böse psychisch und nicht physisch in Erscheinung tritt. Eine meisterhafte Charakterstudie mit viel – im schlechtesten Sinne des Wortes – Menschlichkeit. Ein ganz grosser Film.
Ein Film von Lorenzo Vigas Castes, mit Alfredo Castro, Luis Silva
Ab 12. Mai im Kino
Trailer- und Bildquelle: http://www.filmcoopi.ch/
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