Rachegelüste, Knarren und ein übler Bösewicht treffen auf queeres Begehren, weibliche Muskeln und Kristen Stewart mit Vokuhila: «Love Lies Bleeding» ist ein steroidgeladener Eintrag ins 80er-Neo-Noir-Genre – und dehnt dessen Grenzen.
Kristen Stewart streitet mit einem mürrischen Vater, fährt einen ikonischen Pick-up-Truck und verliebt sich Hals über Kopf in eine mysteriöse Fremde. Die Rede ist hier nicht von «Twilight» (2008), sondern von «Love Lies Bleeding» von Regisseurin Rose Glass – einem Film, der Stewart auf den drahtigen Leib geschrieben ist. Ihr Spiel, in «Twilight»-Tagen als ausdruckslos verhöhnt, hat sich mit Filmen wie «Clouds of Sils Maria» (2014) und «Personal Shopper» (2016) längst als nuanciert und voller sirrender Tiefe etabliert. «Love Lies Bleeding» mischt ihr Talent für das Energiegeladen-Verschlossene mit einem gehörigen Schuss queerem Verlangen und zeigt so Stewart in ihrer wohl intimsten Darbietung.
Als Lou (Stewart) die mysteriöse Jackie (eine ebenfalls ungemein bestechende Katy O’Brian) beim Training im Fitnessstudio entdeckt, ist es um sie geschehen. Voller Verlangen beobachtet sie die Bodybuilderin beim Gewichtestemmen und lässt sie – ganz nach «U-Haul-Lesbian»-Klischee – noch am gleichen Abend bei sich einziehen. Gemeinsam bereiten sie Jackie auf einen Bodybuilder-Wettbewerb in Las Vegas vor und durchleben elektrisierende Sex-und-Frühstücks-Montagesequenzen. Doch der Frieden trügt: Lous Vater (ein herrlich abscheulicher Ed Harris) ist ein vom FBI untersuchter schlimmer Finger, dessen Einfluss sich nicht so einfach abschütteln lässt.

Kristen Stewart und Katy O’Brian in «Love Lies Bleeding» / © 2024 Ascot Elite Entertainment. All Rights Reserved.
Gedämpfte Körnigkeit mit Neon-Einschlägen, ewiges Dämmerlicht und Nachtaufnahmen, in denen blendende Autoscheinwerfer mit der alles verschluckenden Dunkelheit der endlosen Strasse ringen: Visuell verschreibt sich «Love Lies Bleeding» ganz dem 1980er-Neo-Noir à la «Blue Velvet» (1986) von David Lynch. Dabei ist das Licht das stärkste Werkzeug für Glass und Kameramann Ben Fordesman («The End of the F***ing World»): Meisterlich werden jede Lampe, jedes Fenster, jeder Rollladen in Szene gesetzt, um bedeutungsvolle Schatten zu werfen, träumerisch Kontraste zu überhöhen, aber auch sanfte Intimität zu kreieren. Es blendet, droht und wärmt, bringt Blut zum Glänzen und macht Haut zu Samt.
«Körper – ihre Formbarkeit, ihr Potenzial, ihre Grenzen – stehen so stehts im Zentrum: Das Schattenspiel von Muskelbewegungen und -spannungen. Steroidspritzen auf gestraffter Haut. Plötzliches Ausdehnen, Wachsen, Verformen. Extreme Gewalt, die Masse verflüssigt.»
Körper – ihre Formbarkeit, ihr Potenzial, ihre Grenzen – stehen so stehts im Zentrum: Das Schattenspiel von Muskelbewegungen und -spannungen. Steroidspritzen auf gestraffter Haut. Plötzliches Ausdehnen, Wachsen, Verformen. Extreme Gewalt, die Masse verflüssigt (ein zimperliches Publikum sei hiermit gewarnt!). Sexszenen, die – losgelöst von männlich-ausgerichteter Ästhetik – tatsächlich vor intimer Spannung vibrieren. Mitreissend pendeln die Aufnahmen zwischen einer Bewunderung von (weiblicher) körperlicher Stärke und dem Verlangen seiner Figuren, nahbar und verletzlich zu sein. Dass der Film hier gegen Ende hin die Limitationen der Realität abstreift und eine eigene Traumlogik entwirft, in der Kraft und Nähe perfekt verschmelzen, ist nur konsequent.

Ed Harris in «Love Lies Bleeding» / © 2024 Ascot Elite Entertainment. All Rights Reserved.
Der Film selbst fühlt sich an wie ein gespannter Muskel und verweigert die Lockerung seines Griffs bis zum obligatorischen Showdown. Essenziell dafür ist auch der getriebene Soundtrack von Darren Aronofskys Hauskomponist Clint Mansell («Requiem for a Dream», «The Fountain»), der mit eindringlichen und konstant-unruhigen 80er-Synth-Klängen die Schraube enger und enger anzieht. Wer hier am Ende nicht kurz vor einem Herzinfarkt steht, besitzt eine beneidenswerte Seelenruhe.
«Glass zeigt, wie sprühend und frisch ein bekanntes Genre daherkommen kann, wenn ein junges Talent seine etablierten Elemente wild und intuitiv mixt, Bewährtes in waghalsige Höhen stapelt und Verstaubtes mit Gusto in den Abgrund stösst.»
Wie bereits mit ihrem religiösen Horror-Debüt «Saint Maud» (2018) zeigt Glass, wie sprühend und frisch ein bekanntes Genre daherkommen kann, wenn ein junges Talent seine etablierten Elemente wild und intuitiv mixt, Bewährtes in waghalsige Höhen stapelt und Verstaubtes mit Gusto in den Abgrund stösst. Und wie viel überschäumende Freude in einem Kinosaal entstehen kann, wenn plötzlich queere Frauen ihre Muskeln spielen lassen dürfen – wortwörtlich und figurativ.
Über «Love Lies Bleeding» wird auch in Folge 73 des Maximum Cinema Filmpodcasts diskutiert.
–––
Kinostart Deutschschweiz: 25.4.2024
Filmfakten: «Love Lies Bleeding» / Regie: Rose Glass / Mit: Kristen Stewart, Katy O’Brian, Ed Harris, Jena Malone, Anna Baryshnikov, Dave Franco / Grossbritann»»ien, USA / 104 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © 2024 Ascot Elite Entertainment. All Rights Reserved.
Kristen Stewart und Ed Harris haben viel Spass (und perfekte Frisuren) – wie könnte man von einem Film wie «Love Lies Bleeding» nicht unterhalten werden?
No Comments