Wenn der herrlich narzisstische Herrscher der Hölle in Los Angeles seinem Ferienjob als Detektiv nachgeht, hat man mindestens schon mal eine teuflisch gute Prämisse. «Lucifer» schafft es leider nicht immer, dieser eigentlich grossartigen Idee treu zu bleiben. Der Senderwechsel in der Mitte der Serie hat dabei sowohl geholfen als auch geschadet.
«I’m like walking heroin, very habit-forming. It never ends well.»
Lucifer Morningstar (Tom Ellis), verstossener Sohn Gottes, Playboy und Lichtbringer hat genug von seinem Job in der Hölle und beschliesst, sich in Los Angeles eine Auszeit zu gönnen. Als charmanter Nachtclubbesitzer ergründet er Verlangen und Wünsche der Menschen, sorgt dafür, dass einige davon in Erfüllung gehen, womit er bei den unterschiedlichsten Persönlichkeiten ständig ein Stein im Brett hat. Abwechslung ins Leben des narzisstischen Frauen- und Männerhelds bringt die Kriminalbeamte Chloe Decker (Lauren German), mit der er fortan als Berater Verbrechen löst. Gemeinsam stellen sie nicht nur das Leben von Los Angeles‘ Unterwelt auf den Kopf, sondern auch ihr eigenes.
«All I ever wanted was to be my own man here. To be judged for my own doing.»
Der unumstrittene Star der Show ist der notorisch uneinsichtige, fehlerbehaftete, widersprüchliche und unwiderstehliche Lucifer Morningstar. Er entspringt ursprünglich dem DC-Comic «The Sandman», den Neil Gaiman mit Sam Kieth und Mike Dringenberg kreiert hat und aktuell von Netflix verfilmt wird. Doch ihn umgeben viele weitere spannende Charaktere, angefangen bei seinen Geschwistern, mit denen er Vaterkomplex und starke Persönlichkeit teilt, seine göttlichen Eltern und die Dämonin Mazikeen (Lesley-Ann Brandt), die ihm nicht nur den Rücken freihält, sondern auch als Barkeeperin in seinem Club arbeitet. Die «normalen» Menschen der Serie sind zwar weniger übernatürlich, aber keineswegs langweilig und auch nicht einfach nur blasse Mitspielende – allen voran Trixie Decker (Scarlett Estevez), die Tochter von Chloe Decker, die in jeder ihrer Episoden als kleines Highlight fungiert.
«Self-worth comes from within, bitches.»
Der Fokus auf diese Personen, ihre verschiedenen Beziehungen und Entwicklungsschritte zeichnet «Lucifer» (2016– ) besonders am Anfang der Serie aus. Doch dann kam die dritte Staffel: Nach zwei mittellangen Seasons beschloss Fox 2017, ein 26 Episoden starkes Ungeheuer auszustrahlen, welches das Publikum reihenweise abschalten liess. Denn nachdem am Ende der zweiten Staffel die Entwicklung der Hauptfiguren langsam ihrem Höhepunkt entgegensteuerte, wurden für Staffel 3 sämtliche Fortschritte auf Null gestellt und die Schwächen aller Beteiligten auf 200% aufgedreht, was zu unglaubwürdigen Handlungen und ganz viel Frustration führte.
Dass sich die Protagonist*innen ganz am Ende doch noch einigermassen auf ihre Wurzeln besinnen, bestärkt nur die Empfehlung, die ersten 20 Folgen der dritten Staffel zu überspringen – oder zumindest nur im Hintergrund laufen zu lassen. Seit dem Wechsel auf Netflix 2019 sind solche Enttäuschungen ausgeblieben, doch dem anfänglichen Feingefühl für Charakterentwicklung der früheren Staffeln können auch diese späteren nicht das Wasser reichen, auch wenn sie durchaus gut unterhalten.
«Emotions are hard, but that’s why they make you strong.»
Es gibt jedoch eine Figur, beziehungsweise einen Schauplatz, der in sämtlichen Staffeln überzeugt: die Psychiaterin Dr. Linda Martin (Rachael Harris). Wo sonst soll ein übernatürliches Wesen seinen Vaterkomplex verarbeiten? Was vermutlich als Scherz über die sensiblen, liberalen Kalifornier*innen begann, liefert innerhalb der Serie überragenden Mehrwert. Nicht nur Lucifer und seine Mitprotagonist*innen erhalten hier die Chance, über ihr Leben und Handeln nachzudenken; Dr. Lindas Ratschläge und Perspektiven sind durchaus auch für «echte» Leben abseits des Bildschirms wertvoll. Mit der Zeit werden die Verknüpfungen mit, Handlungen der und Anforderungen an die Psychiaterin immer abstruser, doch ihr fachliches Knowhow steht nie in Frage – ganz im Gegensatz zu dem der Polizei zum Beispiel.
Das ist nicht einfach nur aus professioneller Sicht angenehm, sondern trägt auch wesentlich zum Verständnis der Charaktere bei, bringt sie einem näher und bietet eine erfrischende Perspektive, die durchaus auch das Publikum zur Selbstreflexion anregen kann. Das passt aber auch zur Serie insgesamt, bei der die Polizeiarbeit quasi lückenfüllendes Hintergrundrauschen ist, während die wahre Stärke in der Auslotung der Protagonist*innen, ihrer Gefühle und ihrer Beziehungen steckt. Ob «Lucifer» dies auch in der eigentlich letzten fünften und, dank Protest der Fans, wirklich letzten sechsten Staffel gelingt, wird sich zeigen.
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Jetzt auf Netflix Schweiz
Serienfakten: «Lucifer» / Creator: Tom Kapinos / Mit: Tom Ellis, Lauren German, Kevin Alejandro, Lesley-Ann Brandt, Rachael Harris, Aimee Garcia / USA / Staffeln 1–5.1 auf Netflix; Staffel 5.2 kommt Ende 2020; Staffel 6 in Planung
Bild- und Trailerquelle: Netflix / John P. Fleenor/Netflix
Die Kombination aus charmantem Narzissmus, Sex und Therapiesitzung bietet gute Unterhaltung. Die eigentliche Prämisse von «Lucifer» hätte aber eine bessere Umsetzung verdient.
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