Nach Denzel Washingtons «Fences» verneigt sich jetzt auch George C. Wolfe mit «Ma Rainey’s Black Bottom» vor dem grossen afroamerikanischen Dramatiker August Wilson. Wolfe hat Glück, dass seiner blassen Inszenierung von einem starken Cast unter die Arme gegriffen wird.
Dies ist die bearbeitete Version einer Kritik, die ursprünglich auf Facing the Bitter Truth erschienen ist.
August Wilson ist eine der wichtigsten Figuren des modernen amerikanischen Theaters, wird im kollektiven Bewusstsein aber immer noch viel zu oft von seinen weissen Kollegen David Mamet («Glengarry Glenn Ross») und Tony Kushner («Angels in America») überschattet. Dem will Denzel Washington seit einigen Jahren Abhilfe schaffen: Mit HBO handelte er vor einigen Jahren einen – inzwischen arg verwässerten – Deal aus, der ihn dazu befähigte, neun Wilson-Verfilmungen zu produzieren und den legendären Dramatiker so einem breiteren Publikum näherzubringen.
Den Anfang machte er mit «Fences» (2016) gleich selbst – einem berührenden, herausragend gespielten, aber allzu steif inszenierten Familiendrama, das sich so wenige kreative Freiheiten mit dem Quellenmaterial erlaubte, dass Wilson als einziger Drehbhuchautor aufgeführt wurde, elf Jahre nach seinem Tod. Washingtons Regie ist dermassen funktional, dass sie sich kaum von jener einer aufwendigen Theater-Aufzeichnung unterscheidet. Wären die Darsteller*innen weniger einnehmend, wäre «Fences» weniger eine Hommage an die Dynamik und die anhaltende Relevanz von Wilsons Schaffen als eine sperrige und letztlich inkommensurable Annäherung an ein Live-Erlebnis.
Warum das für den Netflix-Film «Ma Rainey’s Black Bottom» von Belang ist? Weil George C. Wolfes Adaption des gleichnamigen Wilson-Stücks von 1982 aus dem gleichen Holz geschnitzt ist. Washington mag hier nur produziert haben, das Drehbuch mag Ruben Santiago-Hudson zugeschrieben werden – doch auch dieser Film rekonstruiert die Bühnenerfahrung mehr als er sie adaptiert.
Die Geschichte von Ma Rainey (Viola Davis), der herrischen «Mother of the Blues», die im Chicago der Zwanzigerjahre zusammen mit ihrer eingespielten Band (Colman Domingo, Glynn Turman, Michael Potts) und dem aufmuckenden Trompetenspieler Levee (Chadwick Boseman), ein Album aufnehmen muss, wird mitsamt aller bühnenspezifischen Eigenheiten aus Wilsons Stück übernommen. Diesbezüglich stechen besonders die seitenlangen Monologe heraus, in welche die Figuren in entscheidenden Momenten scheinbar spontan verfallen.
«Mit Ausnahme einiger evokativer langer Einstellungen und der einen oder anderen kreativen Ausleuchtung spielt die visuelle Dimension in ‹Ma Rainey’s Black Bottom› fast durchgehend zweite Geige.»
Auch ästhetisch scheint Wolfe nur bedingt an den Möglichkeiten des Mediums Film interessiert zu sein: Mit Ausnahme einiger evokativer langer Einstellungen und der einen oder anderen kreativen Ausleuchtung spielt die visuelle Dimension in «Ma Rainey’s Black Bottom» fast durchgehend zweite Geige. Gerade in den Pausen zwischen den zahlreichen Redegefechten – zwischen Ma und Levee, zwischen Levee und der Band, zwischen Ma und ihrem Manager (Jeremy Shamos) – scheint Tobias A. Schliesslers Kamera auf dem Set regelrecht herumzuirren, während Andrew Mondsheins Schnitt seltsam willkürlich wirkt.
Doch so wie «Fences» trotz Washingtons ausufernder Textergebenheit letztlich zu gefallen wusste, so funktioniert auch «Ma Rainey» – nicht zuletzt dank seiner Schauspieler*innen und dem omnipräsenten Genie von August Wilson. Anhand des frühen Blues-Superstars Ma Rainey verhandeln Wilson und Santiago-Hudson hier die weisse Vermarktung schwarzer Kunst – ein historisches Machtgefälle, das eng mit der historischen Unterdrückung der afroamerikanischen Bevölkerung verwoben ist. Es ist die perfide «Kuratierung» schwarzer Kultur durch weisse Mäzene – etwa das Privilegieren einiger weniger Künstler*innen oder die zynische Aneignung, quasi das Whitewashing, gewisser Innovationen –, die dafür gesorgt hat, dass in den multikulturellen, multiethnischen Vereinigten Staaten bis heute von einem weissen Mainstream ausgegangen wird.
Die allzu bühnengetreue Inszenierung dieses faszinierenden Stoffs, welche die Erörterung dieser Themen bisweilen etwas gar didaktisch wirken lässt, findet ihre Rettung in einem Cast, der dem vom oscarprämierten «Fences» in nichts nachsteht. Viola Davis unterläuft mit ihrer lauten, offenherzig erotischen Ma Rainey das propere Image, das ihr in Filmen wie «Doubt» (2008), «The Help» (2011) und, ja, «Fences» angedichtet wurde. Chadwick Boseman («Black Panther», «Da 5 Bloods») wiederum, in seiner letzten Rolle vor seinem Krebstod im August 2020, begeistert als geradezu manischer Levee vor allem dann, wenn er sich mit den besonnener agierenden Domingo, Turman und Potts auseinandersetzen muss.
«Chadwick Boseman wiederum, in seiner letzten Rolle vor seinem Krebstod im August 2020, begeistert als geradezu manischer Levee vor allem dann, wenn er sich mit den besonnener agierenden Domingo, Turman und Potts auseinandersetzen muss.»
Es sind diese einfühlsamen schauspielerischen Interpretationen von Wilsons Figuren, die einen handwerklich und erzählerisch blassen Film zu einer durchaus sehenswerten Theateradaption machen. Doch sie täuschen auch nicht darüber hinweg, dass man den wegweisenden Werken des grossen Dramatikers Verfilmungen wünschen würde, die über Washingtons und Wolfes ehrfürchtiges Rezitieren hinausgehen.
Über «Ma Rainey’s Black Bottom» wird auch in Folge 19 des Maximum Cinema Filmpodcasts diskutiert.
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Jetzt auf Netflix Schweiz
Filmfakten: «Ma Rainey’s Black Bottom» / Regie: George C. Wolfe / Mit: Chadwick Boseman, Viola Davis, Glynn Turman, Colman Domingo, Michael Potts, Jonny Coyne, Taylour Paige, Jeremy Shamos, Dusan Brown
Bild- und Trailerquelle: David Lee/Netflix
«Ma Rainey's Black Bottom» erzählt eine faszinierende Geschichte über die weisse Kolonisierung schwarzer Kunst – allerdings ohne viel visuelles Flair. Da kommt der grossartige Cast gerade recht.
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