Eine junge Mutter flieht mitten in der Nacht mit ihrem Kleinkind, um dem alkoholsüchtigen Freund zu entkommen – allerdings steht sie erst am Anfang ihrer Odyssee. Die Netflix-Miniserie «Maid» ist ein intimes Porträt einer auf sich allein gestellten Frau, die sich trotz aller Widrigkeiten behaupten kann. Der hervorragende Cast, die packende Erzählweise und die geschliffenen Dialoge vermögen das Thema der emotionalen häuslichen Gewalt adäquat darzustellen.
Wutausbrüche und psychische Gewalt gehören zum Alltag von Alex (Margaret Qualley). Vor allem unter Alkoholeinfluss schikaniert ihr Freund Sean (Nick Robinson) sie, wo er nur kann. Darunter leidet auch Maddy (Rylea Nevaeh Whittet), ihr gemeinsames Kind. Als es wieder zu einer schweren Auseinandersetzung kommt, entschliesst sich die 25-Jährige, die Flucht zu ergreifen. Es ist der Anfang eines langen und steinigen Weges, der sie von der Strasse über das Frauenhaus bis ans Gericht führt. Mit allen Mitteln versucht Alex, ihre Unabhängigkeit zurückerlangen: Sie erhält einen Job als Reinigungskraft, beantragt Sozialhilfe und kann sich langsam, aber sicher eine Existenzgrundlage aufbauen.
Von Schicksals- und Rückschlägen wird sie jedoch nicht verschont. Hilfe von aussen gibt es kaum: Ihre Mutter (Andie MacDowell) leidet unter einer bipolaren Störung, und ihr jahrelang abwesender Vater (Billy Burke) hat mittlerweile eine neue Familie. Alex hat auch keine richtigen Freunde, da Sean sie vollständig von der Aussenwelt abgeschottet hat. Darüber hinaus sieht sie sich stets mit sexistischen Vorurteilen und bürokratischen Hürden konfrontiert. Wenn sie nicht auf der Arbeit oder auf dem Sozialamt ist, verbringt sie jede freie Sekunde mit ihrer Tochter. Die liebevolle Mutter, unterbezahlte Putzhilfe und talentierte Schriftstellerin ist ständig in Bewegung – ob auf der Fähre, im Auto oder zu Fuss.
Ein unsichtbares Phänomen
Aufgrund des fulminanten Erfolgs der koreanischen Netflix-Serie «Squid Game» ist das emotional berührende Sozialdrama «Maid» in der Mediathek des Streaming-Riesen etwas untergegangen – zu Unrecht. Denn die Serie besticht mit ihrer Darstellung des gesellschaftlichen Tabuthemas der emotionalen häuslichen Gewalt und zeigt, dass häusliche Gewalt viele Formen annimmt. Psychische Gewalt ist nur schwer zu erkennen, weil weder die Gewalttat noch ihre Auswirkungen für Aussenstehende sichtbar sind. In der zehnteiligen Miniserie wird emotionale häusliche Gewalt und deren Folgen aus der Perspektive der Protagonistin Alex gezeigt. Dadurch erhält man einen tiefen Einblick in dieses komplexe Phänomen. Subjektive Einstellungen lassen einen in die Gefühlswelt der jungen Frau eintauchen, die von Angst, Sehnsucht und Sorgen geprägt ist. So kommt es etwa zu spontanen Tanzeinlagen, wenn Alex einen persönlichen Erfolg erzielt; während sie sich an seelischen Tiefpunkten in einem schwarzen Loch wiederfindet.

Margaret Qualley als Alex / Cr. RICARDO HUBBS/NETFLIX © 2021
«Die Serie besticht mit ihrer Darstellung des gesellschaftlichen Tabuthemas der emotionalen häuslichen Gewalt und zeigt, dass häusliche Gewalt viele Formen annimmt.»
Auch andere Gedankengänge, etwa Alex‘ finanzielle Lage, werden durch Kniffe wie das Einblenden ihres (meist niedrigen) Kontostandes fassbar gemacht. Rückblenden und Traumsequenzen kommen ebenfalls zum Einsatz. Diese teils surrealen Szenen sind nicht nur formal interessant, sondern veranschaulichen zugleich die psychischen Folgen von Armut, Obdachlosigkeit und häuslicher Gewalt. Die intime, unmittelbare Kamera, die der rastlosen Mutter förmlich am Leibe klebt, macht Alex‘ Körpergefühl spürbar. Der vielfältige Soundtrack, der von Rock-Klassikern über melancholische Lieder zu zeitgenössischen Hits reicht, dient zusätzlich dazu, das persönliche Empfinden der Protagonistin widerzuspiegeln.
Vom Bestseller zur Serie mit erstklassiger Besetzung
Die subjektiven Einstellungen stehen im Kontrast zum zurückhaltendem, dennoch eindrücklichem Schauspiel von Margaret Qualley («Once Upon a Time in Hollywood»). Die junge Frau lässt sich selten etwas anmerken, bewahrt meist die Ruhe und bleibt stark für ihre Tochter. Ihre nüchterne Art zeugt aber gleichzeitig von einer emotionalen Erstarrung durch die erlebten Traumata. Auch die Nebendarsteller*innen spielen ihre Rollen extrem authentisch – hervorzuheben ist insbesondere Andie MacDowell («Groundhog Day», «Four Weddings and a Funeral»), Qualleys tatsächliche Mutter, in der Rolle von Maddys labiler Grossmutter. Im Lauf der Handlung werden die persönlichen Hintergründe erläutert, welche die zunächst vermeintlich eindimensionalen Figuren zunehmend stimmiger erscheinen lassen. Die Miniserie zeigt dabei die Zerrissenheit der einzelnen Charaktere, ohne die Szenen durch zusätzliche Effekte pathetisch aufzuladen.

Eine authentische Nebendarstellerin: Andie MacDowell als Paula / Cr. RICARDO HUBBS/NETFLIX © 2021
«‹Maid› begeistert durch hervorragendes Schauspiel, gekonnte Dramaturgie und thematische Authentizität. Dabei zeigt die Miniserie die Lebensrealität vieler Frauen, die häusliche Gewalt erleben und sich um ihrer Kinder willen mit Niedriglohnarbeit über die Runden schlagen.»
Die fesselnde Erzählweise verdankt die Serie auch der Bestsellervorlage «Maid: Hard Work, Low Pay, and a Mother’s Will to Survive» von Stephanie Land; derweil die pointierten Dialoge es erlauben, sich in die Personen und ihre Geschichten einzufühlen. Zudem sind die Dialoge bisweilen von einem subtilen Humor geprägt, der zwischendurch trotz der bitteren Realität für kleine Lacher sorgt.
«Maid» begeistert durch hervorragendes Schauspiel, gekonnte Dramaturgie und thematische Authentizität. Dabei zeigt die Miniserie die Lebensrealität vieler Frauen, die häusliche Gewalt erleben und sich um ihrer Kinder willen mit Niedriglohnarbeit über die Runden schlagen. Doch die Serie ist angesichts der harten Thematik überraschend unterhaltsam und zuweilen geradezu bezaubernd.
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Jetzt auf Netflix Schweiz
Serienfakten: «Maid» / Creator: Molly Smith Metzler / Mit: Margaret Qualley, Nick Robinson, Rylea Nevaeh Whittet, Anika Noni Rose, Tracy Vilar, Billy Burke, Andie MacDowell / USA / 10 Episoden à 47–60 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Netflix / Cr. RICARDO HUBBS/NETFLIX © 2021
Authentisch, aufwühlend, aufschlussreich: «Maid» erzählt aus der Perspektive einer jungen Mutter von sozialen Problemen wie Armut, Obdachlosigkeit, Suchtkrankheiten und häuslicher Gewalt.
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