Sam Levinson, der kreative Kopf hinter der US-Erfolgsserie «Euphoria», hat während des COVID-Lockdowns mit den Schauspiel-Shooting-Stars John David Washington und Zendaya das Kammerspiel «Malcolm & Marie» gedreht. Dieses ist teils lustloses Beziehungsdrama, teils wirres Manifest über die siebte Kunst – und gänzlich ein Schuss in den Ofen.
Der ambitionierte Regisseur Malcolm Elliott («Tenet»– und «BlacKkKlansman»-Hauptdarsteller John David Washington) und seine Freundin Marie («Euphoria»-Star Zendaya) kehren spätabends von der erfolgreichen Premiere seines neuesten Films in ihre Villa zurück. Er ist euphorisch, sie eher säuerlich: Warum hat er ihr in seiner Einführungsrede nicht gedankt? Immerhin steckt in seinem Werk – einem Drama über eine 20-Jährige mit Drogenproblemen – sehr viel von ihrer Biografie, findet sie. Er entgegnet, dass sich Inspiration nicht so einfach zuordnen lässt – und nutzt die Gelegenheit auch gleich dazu, sich über seine Intimfeindin, «die weisse Filmkritikerin der ‹L.A. Times›», und ihre elitär-ignorante Schreibe aufzuregen. So geht es die ganze Nacht zu und her: Bald schon müssen sich Malcolm und Marie fundamentale Fragen über ihre Beziehung stellen.
«Malcolm & Marie» ist, kurz gesagt, ein furchtbarer Film. Eine überkandidelte Schreiorgie, ein repetitiver, thematisch beschränkter Schlagabtausch zweier chemieloser Menschen, die sich dabei abwechseln, sich gegenseitig ebenso end- wie gehaltlose Monologe an den Kopf zu pfeffern. Die langen Tiraden, die tränenreichen Liebesbekundungen, der ambivalente Ausgang, das körnige Schwarzweissbild: Alles deutet darauf hin, dass sich Regisseur und Drehbuchautor Sam Levinson in die Tradition von Mike Nichols‘ Theateradaption «Who’s Afraid of Virginia Woolf?» (1966), Ingmar Bergmans Miniserie «Scenes from a Marriage» (1973) und den legendären Ehedramen von John Cassavetes einreihen will. Und jede Szene macht geradezu schmerzhaft deutlich, wie sehr er sich mit diesem Ehrgeiz übernimmt.
«‹Malcolm & Marie› ist, kurz gesagt, ein furchtbarer Film. Eine überkandidelte Schreiorgie, ein repetitiver, thematisch beschränkter Schlagabtausch zweier chemieloser Menschen, die sich dabei abwechseln, sich gegenseitig ebenso end- wie gehaltlose Monologe an den Kopf zu pfeffern.»
Das Drehbuch bewegt sich auf dem Niveau eines übermotivierten Filmschul-Erstsemestlers, von den grossen, von Klischees durchsetzten Reden bis hin zu den sprunghaften Figuren, die schon bei der kleinsten Provokation jegliche Selbstbeherrschung verlieren. Malcolm und Marie wirken nicht wie glaubwürdige Figuren, sondern wie hohle Gefässe, aus denen bierernste, inhaltlich haarsträubende Zeilen über Kunst, Kritik und «wahre Liebe» erklingen. Bald einmal fragt man sich, warum die beiden Akteure überhaupt noch zusammen sind. Der inflationäre, aber fantasielose Gebrauch des Wortes «fuck», soll dem Ganzen wohl zu so etwas wie ungeschönter Authentizität verhelfen, mutet aber vorab pubertär an. Ein Quentin Tarantino oder ein Spike Lee war hier definitiv nicht am Werk.
«Das Drehbuch bewegt sich auf dem Niveau eines übermotivierten Filmschul-Erstsemestlers, von den grossen, von Klischees durchsetzten Reden bis hin zu den sprunghaften Figuren, die schon bei der kleinsten Provokation jegliche Selbstbeherrschung verlieren. Malcolm und Marie wirken nicht wie glaubwürdige Figuren, sondern wie hohle Gefässe, aus denen bierernste, inhaltlich haarsträubende Zeilen über Kunst, Kritik und ‹wahre Liebe› erklingen.»
Doch das wahrscheinlich seltsamste und zugleich misslungenste Kuriosum in Levinsons Drehbuch ist Malcolms leidenschaftliche Fehde mit «der weissen Filmkritikerin der ‹L.A. Times›», die nach und nach, wütenden Redeschwall um wütenden Redeschwall, zum Inbegriff all dessen wird, was mit «dem Kino» falsch zu laufen scheint. Sie sei «the reason they make this fucking stale, safe, stagnant, turgid fucking shit in the first place», nicht er als Filmemacher, schreit Malcolm in einem minutenlangen Monolog, nachdem er ihre positive Rezension zu seinem neuen Opus liest. Einem Monolog, in dem unter anderem auch Billy Wilder, Ida Lupino, Barry Jenkins, der «Male gaze» und die akademische Filmrezeption vorkommen.
Im Kontext des Beziehungsdramas mag das ein Moment der Charakterisierung sein: Malcolm ist ein kritikunfähiger Narzisst, der gerne austeilt – auch gegen Marie –, aber sich selber allzu schnell auf die Zehen getreten fühlt. Auch die Quelle seiner Abneigung gegenüber der Kritikerin ist alles andere als haltlos: Er hält ihre Neigung, die Filme schwarzer Regisseur*innen nur durch eine politische Linse zu beleuchten, für eine Form der Diskriminierung, weil sie damit sämtliche schwarzen Künstler*innen in dieselbe Ecke stellt, aus denen sie niemals ausbrechen können.
Doch man lässt als Autor*in einen Protagonisten nicht mehrere Minuten lang ununterbrochen wie einen Besessenen über ein Thema schwafeln, auf das er immer und immer wieder zurückkommt, wenn man vom Publikum nur erwartet, dass es anhand des Gesagten etwas über die Psyche der Figur lernt.
«Hier spricht nicht nur Malcolm über das Medium Film und seine mangelhafte Interpretation. Hier spricht auch Levinson, und er tut das, ungeachtet des Inhalts, auf äusserst fragwürdige Weise.»
Hier spricht nicht nur Malcolm über das Medium Film und seine mangelhafte Interpretation. Hier spricht auch Levinson, und er tut das, ungeachtet des Inhalts, auf äusserst fragwürdige Weise: Er legt seine giftige Kritik an der Kinorezeption, die, wie er in seinem Drehbuch schreibt, zu präskriptiv, selbstzufrieden, risikoscheu und handwerklich ignorant sei, zwei schwarzen Menschen in den Mund und stellt sie damit auf dieselbe Stufe wie deren korrekte Hinterfragung des weiss und männlich dominierten Kulturjournalismus. Mit anderen Worten: Der weisse Regisseur und Autor Sam Levinson stellt seine (durchaus diskutable) Medienkritik in einen Zusammenhang mit dem Streben schwarzer Künstler*innen nach kreativer und ökonomischer Anerkennung. (Wer sich für Dramen hinter den Kulissen interessiert, ist nur eine Google-Suche davon entfernt, zu erfahren, was es mit der «L.A. Times» und Levinsons letztem Film, «Assassination Nation», auf sich hat.)
John David Washington und Zendaya sind also nicht um ihre Aufgabe zu beneiden, dieser multiplen Katastrophe von einem Drehbuch so etwas wie Menschlichkeit oder Herz abzuringen. Letztere schafft es wenigstens in stilleren Momenten, mit anregendem Mienenspiel zu überzeugen. Der hemmungslos chargierende Washington jedoch lässt sich von Levinsons Worthülsen derart mitreissen, dass er den Grossteil seines Dialogs in einer Lautstärke spricht, als müsste er einen startenden Kampfjet übertönen.
«John David Washington und Zendaya sind also nicht um ihre Aufgabe zu beneiden, dieser multiplen Katastrophe von einem Drehbuch so etwas wie Menschlichkeit oder Herz abzuringen. Letztere schafft es wenigstens in stilleren Momenten, mit anregendem Mienenspiel zu überzeugen.»
Man könnte sich jetzt fragen, inwieweit die schiere Existenz von «Malcolm & Marie» ein Beispiel für all jene Filmgeschäft-Mechanismen ist, die schwarze Regisseur*innen wie den fiktiven Malcolm Elliott am Erklimmen der Hollywood-Karriereleiter hindern. Wessen Film wurde nicht gekauft, weil Netflix 30 Millionen Dollar hinblätterte, um das neue Projekt des Sohnes von Oscarpreisträger Barry Levinson mit dem Sohn von Oscarpreisträger Denzel Washington in der Hauptrolle vertreiben zu dürfen? Die Frage ist hypothetisch, aber angesichts der Debatte, die Levinson in seinem Film anreisst, definitiv nicht irrelevant.
Letzten Endes ist es aber etwas anderes, das aus dem Film in Erinnerung bleibt. Es ist eine Warnung, die Marie an ihren Noch-Freund richtet: Er solle sich vor seinem bevorstehenden Erfolg in Acht nehmen, vor der Selbstgefälligkeit, die einsetzen wird, wenn er denkt, dass er es als Regisseur «geschafft» habe. Denn ehe er sichs versieht: «You’re gonna start making fake movies about fake people with fake emotions». Wenn dies das Zeichen ist, dass ein Regisseur es «geschafft» hat, dann kann man Sam Levinson wirklich nur noch gratulieren.
Über «Malcolm & Marie» wird auch in Folge 19 des Maximum Cinema Filmpodcasts diskutiert.
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Filmfakten: «Malcolm & Marie» / Regie: Sam Levinson / Mit: John David Washington, Zendaya / USA / 106 Minuten
Bild- und Trailerquelle: NETFLIX © 2021
Zwei unglaubwürdige Figurenskizzen ohne Chemie pöbeln sich 106 Minuten lang an. Das ist nicht nur nicht unterhaltsam oder gar berührend – das ist einfach nur ärgerlich.
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