“All my friends are here. I got two girlfriends, and I’m in a band. You’re a janitor in Quincy. What the hell do you care where you live?”
Der Anruf, dass sein Bruder tot ist, wirft Lee Chandler ziemlich aus der Bahn. Plötzlich soll er sich um seinen Neffen kümmern und dafür in seinen Heimatort Manchester-by-the-Sea zurückkehren. Das ergreifende dritte Regiewerk von Kenneth Lonergan ist schön schlicht und schlicht schön.
Lee Chandler (Casey Affleck) lebt ein unspektakuläres Leben als Hausmeister in einem Vorort von Boston, geht am Tag seiner Arbeit nach, trinkt nach Feierabend in der örtlichen Bar eins über den Durst hinaus und zettelt hin und wieder Schlägereien an. Er ist höchst unzufrieden. Genau so kalt wie seine Gefühlslage ist auch das Wetter. Es ist Winter und schneit im kalten New England. Als schliesslich der Anruf kommt, dass sein grosser Bruder Joe (Kyle Chandler) gestorben ist, setzt er sich in seinen Jeep, und fährt hoch in seinen Heimatort Manchester-by-the-Sea.
Auf das, was ihn dort erwartet, ist er nicht vorbereitet. Joe hat ihn als Vormund seines 16-jährigen Sohnes Patrick (Lucas Hedges) vorgesehen. Obwohl sie früher Zeit miteinander verbracht haben, stehen sich Onkel und Neffe auf den ersten Blick nicht sehr nah. Was die Situation nicht wirklich einfacher macht, dass der temporäre Umzug in Lee Erinnerungen an die Zeit weckt, in der er selber dort gewohnt hat – damals noch verheiratet mit Randi (Michelle Williams). Es sind schmerzhafte Erinnerungen und sie offenbaren dem Zuschauer nach und nach die Gefühlswelt eines noch relativ jungen, aber gebrochenen Mannes.

Lee Chandler (Casey Affleck) trifft nach Jahren wieder auf seine Ex-Frau Randi (Michelle Williams).
“I’ve said a lot of terrible things to you. My heart was broken – and I know yours is broken, too.”
Das Ganze wirkt sehr realitätsnah, die Beziehung zwischen den beiden Hauptfiguren Lee und seinem Neffen Patrick entwickelt sich sehr langsam, und je länger je mehr kann man sich in die beiden hineinfühlen. Das Fischerstädtchen an der Ostküste New Englands erinnert an Skandinavien und gibt dem Film einen künstlerischen Look. Völlig unspektakulär bleiben die filmischen Mittel und es dominiert ein gemächliches, aber ausgewogenes und angenehmes Erzähltempo. Obschon das Thema schwermütig und zeitweise sehr düster ist, kommt der Film überraschend leicht daher. Bei weitem kein Wohlfühlfilm, aber ein optimistisches, echtes Porträt vom Umgang mit Verlust und Trauer.
Kenneth Lonergan, der auch das Drehbuch von “Gangs of New York” verfasst hat, hat hiermit eine Geschichte auf Papier (und auch selber auf die Leinwand) gebracht, die emotional ist, aber keine Minute ins Melodramatische abdriftet. Die Figuren sind sympathisch und man spürt die Verbindungen zwischen ihnen ohne grosse Gesten – wahre Erzählkunst von Seiten Lonergans. Casey Affleck (“The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford”) als Lee wird für diese Performance vermutlich seinen ersten Oscar gewinnen, Lucas Hedges als Patrick und Michelle Williams (“Shutter Island”) als Randi sind ihm in jeder Beziehung ebenbürtig. “Manchester by the Sea” ist modernes Autorenkino. Erschütternd und herzerwärmend, schlicht, und ohne grosses Spektakel.
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«Manchester by the Sea» läuft ab Donnerstag, 2. Februar im Kino.
Written and directed by Kenneth Lonergan / Darsteller: Casey Affleck, Lucas Hedges, Michelle Williams, Kyle Chandler und C.J. Wilson
Trailer- und Bildquelle: Universal Pictures
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