Quentin Dupieuxs Werke haben eines gemeinsam: Man kann sie nur mit sich selbst vergleichen. «Mandibules» ist in dieser Hinsicht keine Besonderheit, dafür in allen anderen Belangen.
Gerade in Zeiten, in denen Remakes, Fortsetzungen und vor allem unzählige Marvel-Filme die Jahrescharts der Kinos anführen, sehnen sich viele Kinobesucherinnen und Kinobesucher nach Originalität. Und genau diese Eigenschaft bringen Filmfans seit zwei Jahrzehnten mit dem Namen Quentin Dupieux in Verbindung. Denn egal, ob er die Geschichte eines Mannes erzählt, der eine ungesunde Beziehung zu einer Jacke aufbaut («Le daim»), oder einen Meta-Film über einen Autoreifen dreht, der mit psychokinetischen Kräften Köpfe explodieren lässt («Rubber») – beim französischen Kultregisseur kommen Freund*innen der Absurdität immer auf ihre Kosten. Und auch in seinem neuesten Streich «Mandibules» erinnert Dupieux Filmschaffende daran, dass die Leinwand dafür da ist, Dinge zu zeigen, die man so noch nie gesehen hat.
«Nach einem kurzen ersten Schock beschliessen die beiden Freunde, das zu tun, was wohl jeder in einer solchen Situation tun würde: Sie beginnen, die Fliege zu dressieren, um mit ihr eine Bank auszurauben.»
In den ersten Minuten scheint die französisch-belgische Koproduktion noch ins Schema jedes x-beliebigen Buddy-Movies zu passen: Der Tagelöhner Manu (Grégoire Ludig, den man schon in Dupieuxs «Au poste!» gesehen hat) bekommt den Auftrag, einen Koffer abzuholen und auszuliefern. Dafür klaut er sich ein Auto vom Strassenrand und nimmt auch noch seinen besten Freund Jean-Gab (David Marsais) mit. Doch schnell bemerken sie, dass sich im Kofferraum des geklauten Autos eine lebendige Fliege von der Grösse eines mittelgrossen Hundes befindet. Nach einem kurzen ersten Schock beschliessen die beiden Freunde, das zu tun, was wohl jeder in einer solchen Situation tun würde: Sie beginnen, die Fliege zu dressieren, um mit ihr eine Bank auszurauben.
Und so startet eine absurde und schwarzhumorige Geschichte über zwei Männer, die trotz ihres unglaublich dummen Verhaltens immer sympathisch bleiben und gegen Ende des Filmes durch das Entdecken des Wertes wahrer Freundschaft sogar das Publikum zu rühren vermögen. Die Kombination einer Laufzeit von gerade einmal 77 Minuten und einer leichten Geschichte, in der die Protagonisten von sehr unwahrscheinlichen Zufällen vorangetrieben werden, macht aus «Mandibules» eine kurzweiligen, aber auch ziemlich anspruchslose Komödie, bei der zwar nicht jeder Witz gleich zündet – aber letztlich dennoch kein Auge trocken bleibt, allein schon wenn in den letzten Minuten gezeigt wird, wie gut das Dressieren der Fliege geklappt hat.
«Dank des herrlichen Soundtracks der britischen Elektroband Metronomy fühlt sich der Film stellenweise auch wie ein gemütlicher Roadtrip durch den Süden Frankreichs an, den man zusammen mit zwei alten Bekannten bestreitet.»
Letztendlich hätte man vielleicht auf einige Gags verzichten und dafür dem Rieseninsekt mehr Screentime geben können. Aber dank des herrlichen Soundtracks der britischen Elektroband Metronomy fühlt sich der Film stellenweise auch wie ein gemütlicher Roadtrip durch den Süden Frankreichs an, den man zusammen mit zwei alten Bekannten bestreitet: Man mag mit ihnen zwar keine tiefsinnigen Gespräche führen können, aber sie verstehen es bestens, einen zum Lachen zu bringen.
Wer sich nun fragt, was übergrosse Fliegen, abgesehen von Hundefutter, gerne essen und jede Art von Antwort akzeptiert – auch wenn sie noch so bescheuert ist –, wird mit diesem Film einen Heidenspass haben. Wer hingegen den Gedanken einer süss inszenierten Fliege lächerlich, aber bestimmt nicht lustig findet, sollte von «Mandibules», wie auch allen anderen Werken von Quentin Dupieux, Abstand halten.
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Kinostart Deutschschweiz: 29.7.2021
Filmfakten: «Mandibules» / Regie: Quentin Dupieux / Mit: Grégoire Ludig, David Marsais, Adèle Exarchopoulos, India Hair, Roméo Elvis, Coralie Russier, Bruno Lochet / Frankreich, Belgien / 77 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Praesens Film
Quentin Dupieux macht aus einer kleinen hirnrissigen Idee wieder einmal einen ganzen Film. Dank einer ordentlichen Portion Charme gelingt ihm dies mit «Mandibules» erneut wunderbar.
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