Die HBO-Miniserie «Mare of Easttown» ist ein Krimi, in dem die schrecklich zugerichtete Leiche einer jungen Frau gefunden wird. Der Schauplatz ist eine kleine Stadt am Rande der Vereinigten Staaten, wie man sie etwa aus «Twin Peaks» oder «The Killing» kennt. Im Gegensatz zu anderen Krimiserien steht der Mordfall gar nicht so sehr im Mittelpunkt, sondern vielmehr das tragische Privatleben der Ermittlerin und ihr verzweifelter Versuch, doch noch die Kurve zu kriegen.
Das Leben meint es nicht gut mit Detective Mare Sheehan (Kate Winslet), das wird bereits in den ersten Momenten von «Mare of Easttown» deutlich. Als Star des örtlichen Basketballteams wurde sie in ihren Teenager-Jahren von der Gemeinde gefeiert und schloss mit ihren Teamkameradinnen Freundschaften fürs Leben. Doch diese Zeiten sind längst vorbei und die Realität hat Mare rasch eingeholt und mit voller Wucht getroffen. Zwar engagiert sie sich redlich für die Bewohner von Easttown und geht auch mal die sprichtwörtliche «Extra Mile», wie etwa als sie noch vor Dienstbeginn bei einem befreundeten älteren Paar deren scheinbar unwichtige Aussage aufnimmt. Doch solche Notrufe allein sind nicht der Grund für ihre tiefdunklen Augenringe. In den ersten Folgen entblättert sich nach und nach das tragische Privatleben der Ermittlerin.
Sowohl ihr Vater als auch später ihr Sohn haben Selbstmord begangen. Dieser hat ihr einen Enkel hinterlassen, um den sie sich auch kümmern muss, da ihre Schwiegertochter mit schweren Drogenproblemen zu kämpfen hat. Ihr Ehemann Frank (David Denman) hat sich von ihr getrennt, weshalb sie hauptsächlich von ihrer eigenen Mutter Helen (Jean Smart) unterstützt wird – und hin und wieder auch von ihrer Tochter Siobhan (Angourie Rice), die jedoch mehr mit den Problemen des Erwachsenwerdens beschäftigt ist und sich gerade in der Augenroll-Phase befindet. Mares Jugendfreundinnen haben ebenfalls ihr Päckchen zu tragen und versuchen, sich gegenseitig wenigstens ein wenig Halt zu geben.
Auch beruflich hat es Mare schwer. Vor über einem Jahr wurde die Tochter einer ihrer Freundinnen entführt, und obwohl Mare eine sehr fähige, smarte Polizistin ist, gelang es ihr bisher nicht, den Fall aufzuklären, was die betroffene Mutter lautstark und medienwirksam proklamiert. Besserung ist weit und breit nicht in Sicht, denn zu Beginn von «Mare of Easttown» wird die schwer zugerichtete Leiche von Teenie-Mutter Erin McMenamin (Cailee Spaeny) gefunden. Schnell wird eine Verbindung zur Entführung von vor einem Jahr vermutet, woraufhin Mare Verstärkung vom auswärtigen Detective Colin Zabel (Evan Peters) bekommt, welcher neben der Ermittlungsarbeit auch versucht, die Stimmung zu heben – doch gegen die allgemeine Tristesse kommt er nicht an.

Kate Winslet als Mare Sheehan / © Home Box Office, Inc. All rights reserved. HBO® and all related programs are the property of Home Box Office, Inc
«Kate Winslet bewegt sich vapend und grummelt durch diese Welt und liefert als vom Leben gebeutelte, aber dennoch trotzig für die Gerechtigkeit kämpfende Mare eine wahnsinnig fesselnde und glaubwürdige Performance ab.»
Kate Winslet bewegt sich vapend und grummelt durch diese Welt und liefert als vom Leben gebeutelte, aber dennoch trotzig für die Gerechtigkeit kämpfende Mare eine wahnsinnig fesselnde und glaubwürdige Performance ab. Weitere Glanzlichter sind Jean Smart («Watchmen», «Fargo») als Mares erfrischend quirlige Mutter und Evan Peters («American Horror Story», «WandaVision») als engagierter und doch überforderter Teilzeit-Kollege. Die Rolle von Guy Pearce («Mary Queen of Scots») als Love-Interest und Hoffnungsschimmer für Mares bröckelndes Leben ist leider nur schmückendes Beiwerk.
Auf den ersten Blick könnte die Serie ein geistiger Nachfolger der brillanten ersten Staffel von «True Detective» sein, die ähnlich trostlos daherkommt, dessen spirituelle Wucht «Mare of Easttown» jedoch nie erreicht. Dafür versprüht die Serie die Kraft eines Bruce–Springsteen-Songs, der zu einem Krimi umfunktioniert wurde. Denn der zentrale Mord ist eigentlich nur ein Schaufenster in die familiären und gesellschaftlichen Abgründe, die sich innerhalb des langsamen, aber effektiven Dramas auftun. «Mare of Easttown» ist eine Studie über Armut, Verzweiflung und Drogenmissbrauch und ein Porträt der USA, die nicht mit der modernen Welt mithalten konnten.
«‹Mare of Easttown› ist eine Studie über Armut, Verzweiflung und Drogenmissbrauch und ein Porträt der USA, die nicht mit der modernen Welt mithalten konnten.»

© Home Box Office, Inc. All rights reserved. HBO® and all related programs are the property of Home Box Office, Inc
Drehbuchautor Brad Ingelsby («Out of the Furnace», «The Way Back») und Regisseur Craig Zobel («Compliance», «The Hunt») zeigen schonungslos das Leben in einer Kleinstadt, die im Fadenkreuz der sogenannten Opioid-Epidemie steht, und lassen dabei nichts aus. Der Alltag ist brutal, die Strassen scheinbar nur bevölkert von verzweifelten Irish-Americans. Zerplatzte Träume, geschundene Seelen und Gesichter, gebrandmarkt von Leid und Tragik, werden von einem gefühlvollen Score voller melancholischer Verzweiflung eingehüllt.
Der Mord und die Entführung, welche die Handlung langsam, aber stetig und nicht ohne Spannung vorantreiben, sind zwei Ziegelsteine in diesem grossen Trauer-Mauerwerk – aber deshalb keinesfalls nebensächlich. Das alles ist durchaus effektiv in Szene gesetzt; doch manchmal ist es jedoch auch etwas zu viel des Schlechten. Es wirkt so, als würde sich nach und nach ein grosser Schatten über alles legen, als würde sich mit unbändiger Kraft die Dunkelheit heranschleichen. Doch dann lassen Ingelsby und Zobel ihn in den richtigen Momenten aufblitzen, den Glauben an bessere Zeiten. Den Glauben, dass der Wille den Weg ebnen kann, und dass die erlösende Selbstfindung doch irgendwie greifbar erscheint.
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Jetzt auf Sky Show
Serienfakten: «Mare of Easttown» / Creator: Brad Ingelsby / Regie: Craig Zobel / Mit: Kate Winslet, Julianne Nicholson, Jean Smart, Angourie Rice, David Denman, Evan Peters, Guy Pearce / USA / 7 Episoden à 56–64 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © Home Box Office, Inc. All rights reserved. HBO® and all related programs are the property of Home Box Office, Inc / Sky Switzerland
Eine Krimi-Serie wie ein Bruce-Springsteen-Song: «Mare of Easttown» von Autor Brad Ingelsby und Regisseur Craig Zobel ist deprimierend, kraftvoll und stark gespielt.
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