Die Titelheldin von «Mare» wohnt mit Mann und Kindern neben dem Flughafen von Dubrovnik. Den Flugzeugen kann sie aber nur zuschauen. Selber muss sie am Boden bleiben. Andrea Štaka erzählt aus weiblicher Perspektive, was es heisst, zu bemerken, dass man nur noch Mutter und Ehefrau ist.
Das Fahrzeug bewegt sich in der Dämmerung langsam am Rand des Flughafens entlang. Darin sitzt Mares Ehemann Đuro (Goran Navojec). Er schaut hier nach dem Rechten. Sieht zu, dass dieser Ort der Ab- und Anreise nicht dauerhaft belagert wird von jugendlichen Vandalen oder sonstigem Gesindel. Der Flughafen von Dubrovnik – für andere Ausgangspunkt für Ferien oder gar ein neues Leben – bedeutet für Mare (Marija Škaričić), ihren Mann und ihre drei Kinder jedoch Alltag und Arbeitsstelle.
Morgens geht Đuro arbeiten. Mare bleibt lediglich der Blick durch Baumwipfel auf die Flugzeuge, die Dubrovnik verlassen. Der älteste Sohn rebelliert so, wie sich das für sein Teenageralter gehört. Die jüngere Schwester und der Kleinste hängen noch stark an ihrem Rockzipfel. Mare – das wird schon sehr bald im Film klar – ist die Managerin der Familie. Sie ist es, die den Überblick behält über Probleme, Sorgen und ungewaschene Hemden und defekte Waschmaschinen. Die Prämisse des Films wird einem als Zuschauer*in fast schon ins Gesicht gedrückt: Die Protagonistin ist frustriert und gefangen im Familienalltag. Einen zögerlich geäusserten Wunsch, erstmals nach der Geburt der drei Kinder wieder arbeiten zu gehen, wird von Đuro zerklatscht wie eine lästige Fliege.
Die Poesie des Filmbildes
Regisseurin Andrea Štaka entschied sich für ihren vierten Langspielfilm einmal mehr dazu, auf 16mm zu drehen. Die Kamera ist den Figuren während ihrem täglichen Trott durch die öde Umgebung der Flughafenperipherie dicht auf den Fersen. Unvermeidlich kommt mit dem Super-16-Filmmaterial ein Gefühl der Nostalgie auf: Die Schauplätze Südosteuropas werden in verklärtem Pastell und dem satten Blau des Meers inszeniert. Das bricht mit der Trostlosigkeit der Geschichte. Es sind auch die verharrenden Bilder – die Musse des Kamerablicks, der Mare in ihrem Element als Mutter beim Planschen mit ihren Kindern im Meer zusieht –, die gelungen sind. Im Unspektakulären liegt der Reiz dieses Films. Štaka bleibt ihrer Linie treu: Sie erzählt in erster Linie die Geschichten von Frauen, die anderweitig nicht zu Wort kommen. Mit Marija Škaričić, die schon in Štakas «Das Fräulein» (2006) eine Rolle besetzte, ist die Protagonistin charismatisch besetzt. Eine wirkliche Intimität mit der Figur will sich aber nicht einstellen. Mare schafft es letztendlich nicht, so ganz aktive Protagonistin zu sein.
«Im Unspektakulären liegt der Reiz dieses Films.»
«Mare» ist im Kern das Porträt einer Unglücklichen. Wenn sie versucht, aus ihrem Leben auszubrechen, indem sie mit einem polnischen Bauführer (Mateusz Kościukiewicz) eine leidenschaftliche Affäre beginnt, mutet dies nicht sehr originell an. Ruckzuck geht es bei den Zweien zur Sache. Diese Impulsivität tut der Figurenzeichnung aber keinen Gefallen. Vielmehr prallt der klischierte Plot auf eine realistische Bilderwelt. Das könnte Reibung erzeugen, tut es aber nicht.
«Ruckzuck geht es bei den Zweien zur Sache. Diese Impulsivität tut der
Figurenzeichnung aber keinen Gefallen.»
Wo die Bilder Poesie besitzen, mangelt es dem Drehbuch an Vielschichtigkeit und Innovation. Die Geschichte hätte das Potential einen feministischen Kommentar zu machen. Die ganz feinen Verletzungen, welche sich im Lebenslauf einer Frau kumulieren, erkennt Štaka mit scharfem Blick. Mit einer besser getakteten Erzählung, könnte sie dem mehr Nachdruck verleihen. So aber entfaltet die Geschichte von Mare, die Schicksale von zahlreichen Müttern und Ehefrauen überall auf der Welt, leider nicht ihre ganze Kraft.
–––
Kinostart Deutschschweiz: 12.3.2020
Filmfakten: «Mare» / Regie: Andrea Štaka / Mit: Marija Škaričić, Goran Navojec, Mateusz Kościukiewicz, Mirjana Karanović / Schweiz, Kroatien / 95 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Frenetic Films
In der kroatischen Sommerhitze versucht die Titelheldin aus ihrem Alltag auszubrechen. Poetische Bilder prallen auf einen klischierten Plot. Zum melodramatischen Mitschwelgen reicht's aber allemal.
No Comments