Im Kino rächt sich zurzeit Carey Mulligan in «Promising Young Woman» an Vergewaltigern, Rosamund Pike zieht in «I Care A Lot» ihr eigenes zwielichtiges Geschäft auf, und Gal Gadot rettet in «Wonder Woman 1984» die Welt. Und dann guckt man zum ersten Mal «American Psycho» und ist im ersten Moment etwas perplex, dass ein solcher Film jemals über die Leinwand flimmerte. «American Psycho» in einer Zeit zu schauen, in der feministische Elemente in den Kinosälen allgegenwärtig sind, regt zum Nachdenken an: über Trends in der Filmgeschichte, unser Sehverhalten und wie Filme unser Verständnis prägen.
Aber von Anfang an. Der Film dreht sich um den 27-jährigen Patrick Bateman (Christian Bale). Er arbeitet an der an der New Yorker Wall Street der späten 1980er Jahre und ist wohl der Inbegriff dessen, was man heute als «toxic masculinity» beschreiben würde. Er misst seinen Selbstwert manisch an seinem Ruf bei seinen Kollegen, seinem Aussehen und seinem Erfolg. Doch sein perfektes Leben, das er so verzweifelt zu inszenieren versucht, bröckelt immer mehr. Zuerst geht seine Verlobte (Reese Witherspoon) fremd, dann hält ihn ein Freund für schwul; die Visitenkarten seiner Arbeitskollegen sind qualitativ und optisch viel besser – alles Elemente, die nicht in das narzisstische Selbstbild von Patrick passen. Bald entwickelt er – fast schon verständlicherweise – Mordgelüste, denen er schliesslich nicht widerstehen kann.
«I’m into, uh, well, murders and executions, mostly»
Der Film greift viele unterschiedliche Themen auf, wobei zwei Aspekte sich besonders herauskristallisieren: Einerseits drängt stark durch, dass der amerikanische Kapitalismus der Achtzigerjahre der Ursprung von Batemans Verhalten und für seinen extremen Selbstoptimierungsdruck verantwortlich ist. Andererseits wird man mit dem offensichtlichen und blendenden Frauenhass von Bateman konfrontiert, was in «American Psycho» bei weitem am meisten verstört. Er befiehlt seiner Sekretärin (Chloë Sevigny), einen Rock und High-Heels zu tragen, spottet mit seinen Arbeitskollegen darüber, dass es keine schöne Frauen mit einer «guten Persönlichkeit» gibt, und erklärt Prostituierten, wie sie ihre Vagina waschen müssen.
Nicht nur diese verbalen Belästigungen, sondern auch letztendlich die grafischen Gewalttaten an den Frauen verleiten immer wieder zum ungläubigen Augenaufreissen. Aber warum? Gewaltdarstellung gibt es schon fast seit den Anfängen des Films, und es ist auch beileibe nicht ungewöhnlich, Filme zu sehen, die Frauen als untergestellte Objekte porträtieren. Weshalb also wirkt es so verstörend, «American Psycho» 2021 zum ersten Mal zu schauen? Inwiefern stecken hier Zusammenhänge mit der Entwicklung der Filmgeschichte und dem, was wir gewohnt sind, zu sehen, dahinter?
«Weshalb also wirkt es so verstörend, ‹American Psycho› 2021 zum ersten Mal zu schauen?»
Der Film erschien im Jahr 2000 und basiert auf dem gleichnamigen Roman von Bret Easton Ellis aus dem Jahr 1991. Grafische Gewaltdarstellungen waren natürlich auch vor 20 Jahren keine Neuheit im Kino. Tatsächlich erinnert «American Psycho» immer wieder an Streifen aus der New-Hollywood-Ära, die beispielsweise mit «Bonnie and Clyde» (1967) oder «Taxi Driver»(1976) als eine der ersten grossen Strömungen explizite Gewaltdarstellungen mainstreamtauglich machte. «Dank» des vieldiskutierten «male gaze» sind vor allem Mainstream-Filme mit stereotypen Frauenfiguren, die objektifiziert und unterdrückt werden, durchzogen. Nur wenige Mainstream-Werke aus der Filmgeschichte drehen den Spiess um. Bislang jedenfalls, wie in der Einleitung angedeutet. Es gibt immer mehr Frauen in Hauptrollen, die aus traditioneller Sicht «anecken», mehr Geschichten über Frauen und auch mehr Frauen hinter der Kamera.
Doch das alles gibt es natürlich nicht erst seit heute. Zu den modernen Pionierinnen dieses «anderen» Mainstreams gehört etwa auch Mary Harron, die Regisseurin von «American Psycho», die zusammen mit Guinevere Turner auch das Drehbuch zum Film verfasst hat. In einem Interview mit «Vulture» von 2020 erzählt sie, wie der Film als Satire zu verstehen ist und aufgrund dieses unterschiedlichen Verständnisses schon bei der Premiere am Sundance Film Festival für gespaltene Kritiken sorgte. Harron erinnert sich, dass damals der satirische Aspekt der «narzisstischen Rage unter der Fassade des amerikanischen Kapitalismus» vom Publikum nicht verstanden wurde. Mittlerweile hat sich «American Psycho» nichtsdestotrotz als Kultfilm etabliert.
Harron erinnert sich, dass während der Premiere nur Christian Bale, Schnittmeister Andrew Marcus und sie selbst lachen mussten. Heute sei das anders. Die Menschen verstehen die Satire eher dahinter, denn die im Film aufgegriffenen Diskurse sind auch aktueller. Man könnte sagen der Film war sogar seiner Zeit voraus. Heute sind Begriffe wie etwa «toxic masculinity» fast allgegenwärtig und somit kommt der satirische Aspekt wohl einfacher zum Vorschein. Die Tatsache, dass der zwanghafte Konkurrenzkampf der Männer oftmals den Mittelpunkt des Films einnimmt und die Solarium-Bräune des Protagonisten filmisch wichtiger ist als ein paar Mordfälle, formuliert einen durchaus satirischen Kommentar zur Männerwelt. Auch der Punkt, dass es nur harmlose Äusserungen von Frauen braucht, damit der Protagonist keinen anderen Ausweg als Mord sieht, ist von einem satirischen Standpunkt aus gesehen durchaus amüsant.
«Somit kann ‹American Psycho› auch als feministisches Statement verstanden werden. Allerdings wird das im Gegensatz zu den Filmen, die momentan auf der Grossleinwand zu sehen sind, ganz anders aufgelöst.»
Somit kann «American Psycho» auch als feministisches Statement verstanden werden. Allerdings wird das im Gegensatz zu den Filmen, die momentan auf der Grossleinwand zu sehen sind, ganz anders aufgelöst. Und das ist wohl genau der Punkt, weshalb es trotzdem auch verstörend sein kann, «American Psycho» 2021 das erste Mal zu schauen. Was Filme bei uns auslösen, ist auch eine Manifestation davon, wie unser individuelles Verständnis unser Sehverhalten beeinflusst. Wir werden tagtäglich mit unterschiedlichsten Diskursen konfrontiert, welche auch die Filmgeschichte prägen – und umgekehrt. Wie unterschiedlich wir Filme rezipieren, kann je nach Zeit, Alter und persönlichem Hintergrund variieren. Somit zeigt sich einmal mehr, was für einen essenziellen Beitrag Filme für unser Verständnis der Gesellschaft leisten.
«I know my behavior can be erratic sometimes»
«American Psycho» nur einmal zu schauen, wird nicht reichen, um den ganzen Umfang an Satire, Gesellschaftskritik und Selbstreflexion über das eigene Sehverhalten abzuhandeln. Somit ist der Film auch viel mehr als ein simpler Horrorstreifen – und auch abgesehen vom soliden Filmemachen absolut sehenswert.
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«American Psycho» ist auf Netflix Schweiz verfügbar.
Filmfakten: «American Psycho» / Regie: Mary Harron / Mit: Christian Bale, Willem Dafoe, Jared Leto, Josh Lucas, Samantha Mathis, Chloë Sevigny, Reese Witherspoon / Kanada, USA 2000 / 101 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © Xenix Filmdistribution GmbH
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