Wenn die Coronavirus-Quarantäne zu etwas gut ist, dann, um endlich die persönliche Liste der lange aufgeschobenen Filmklassiker abzuarbeiten. Für Fritz Langs Stummfilm-Monument «Dr. Mabuse, der Spieler» muss man sich tatsächlich Zeit nehmen – doch man wird mit einem atemberaubenden Kriminalthriller belohnt.
Am Anfang von «M» (1931), von paranoiden Film-Noir-Krimis wie «Murder, My Sweet» (1944) und «The Big Sleep» (1946), von den klassischen James–Bond-Bösewichten Blofeld und Goldfinger, von Martin Scorseses ausladenden Mafia-Ensemblestücken «GoodFellas» (1990) und «The Irishman» (2019), von den ins Leere laufenden Polizeiermittlungen in «Memories of Murder» (2003) und «Zodiac» (2007) steht ein Name: Mabuse. Zusammen mit Caligari und Nosferatu ist das kriminelle Genie das Weimarer Filmgespenst schlechthin und darf guten Gewissens als Urvater des Thrillerkinos des letzten Jahrhunderts bezeichnet werden.
Sein filmisches Debüt feierte der von Norbert Jacques ersonnene Psychoanalytiker und Hypnose-Experte 1922, in einem der ersten Monumentalwerke des legendären Fritz Lang («Metropolis», «The Big Heat»): Sein «Dr. Mabuse, der Spieler» ist epochal in jedem Sinne – ein viereinhalbstündiges Katz-und-Maus-Spiel mit einem Figurenkreis von Shakespear’schen Proportionen, das sowohl als Kommentar auf die zerrüttete Nachkriegswirtschaft der Weimarer Republik als auch als dunkle Vorahnung auf die Entwicklungen der folgenden 20 Jahre verstanden werden kann. Nicht umsonst trägt der Film, der fast 100 Jahre vor «Infinity War» (2018) und «Endgame» (2019) in zwei Teilen in die Lichtspielhäuser kam, die evokativen Untertitel «Ein Bild der Zeit» und «Ein Spiel von Menschen unserer Zeit».
«Sein ‹Dr. Mabuse, der Spieler› ist epochal in jedem Sinne – ein viereinhalbstündiges Katz-und-Maus-Spiel mit einem Figurenkreis von Shakespear’schen Proportionen, das sowohl als Kommentar auf die zerrüttete Nachkriegswirtschaft der Weimarer Republik als auch als dunkle Vorahnung auf die Entwicklungen der folgenden 20 Jahre verstanden werden kann.»
Lang und Drehbuchautorin Thea von Harbou («Metropolis», «M») – Langs Ehefrau – inszenieren Mabuse (Rudolf Klein-Rogge) als nahezu allmächtige Spinne im Zentrum eines gigantischen Netzes. Dank seiner breit gestreuten Handlanger – vom Schläger Georg (Hans Adalbert Schlettow) über den Fälscher Hawasch (Charles Puffy) bis hin zur Cabaret-Tänzerin Cara (Aud Egede-Nissen) –, seiner Menschenkenntnis und seinem Verkleidungstalent geschieht in der modernen Grossstadt nichts, ohne dass «der grosse Spieler» die Fäden in der Hand hält: Börsenmanipulation? Das gezielte Schröpfen von Neureichen beim abgekarteten Glücksspiel? Das Aufwiegeln der mittellosen Arbeiterschicht? Alles kein Problem für den Doktor.
Diesem scheinbar unbesiegbaren Gegner stellen sich Staatsanwalt von Wenk (Bernhard Goetzke), die gelangweilte Mäzenengattin Told (Gertrude Welcker) und der von Mabuse abgezockte Flapper Hull (Paul Richter) entgegen. Doch schon bald merkt das Trio, dass der so gut wie unsichtbare Missetäter bereit ist, für die Erhaltung seiner absoluten Macht über Leichen zu gehen.
Allein schon wegen seiner beträchtlichen Länge ist «Mabuse» kein Film für Stummfilm-Anfänger. Doch wer sich mit «handlicheren» Klassikern wie «Das Cabinet des Dr. Caligari» (1920) oder «Der letzte Mann» (1924) eine gewisse Sensibilität für die Ästhetik, den Erzählstil und die Weltanschauung des Weimarer Filmexpressionismus antrainiert hat – und dank «Babylon Berlin» so richtig in Stimmung gekommen ist –, wird dem rasanten urbanen Thriller einiges abgewinnen können.
«Ganz abgesehen davon, dass man es hier mit einem in jeglicher Hinsicht definierenden Werk der Zwanzigerjahre zu tun hat, ist ‹Dr. Mabuse, der Spieler› also auch eine willkommene Erinnerung daran, wie viele Perlen Fritz Langs Filmografie abseits von ‹Metropolis› und ‹M› bereithält.»
Langs Flair für das mitreissende visuelle Geschichtenerzählen ist durchgehend evident. Die Eröffnungsszene – ein gewagter Raubüberfall auf einen Zugpassagier, der über viele Ecken in eine Börsenpanik mündet – und die finale Schiesserei, welche die Brutalität unzensierter früher Hollywood-Gangsterfilme wie «Little Caesar» (1931) und «Scarface» (1932) vorwegnimmt, sind ebenso eindrückliche Beispiele dafür wie die vielen kleinen Witze und Spielereien, für die Lang inmitten von Mord und Totschlag immer wieder Platz findet. Ganz abgesehen davon, dass man es hier mit einem in jeglicher Hinsicht definierenden Werk der Zwanzigerjahre zu tun hat, ist «Dr. Mabuse, der Spieler» also auch eine willkommene Erinnerung daran, wie viele Perlen Fritz Langs Filmografie abseits von «Metropolis» und «M» bereithält.
–––
«Dr. Mabuse, der Spieler» – ausleihbar bei Les Videos oder zu sehen auf YouTube.
Filmfakten: «Dr. Mabuse, der Spieler» / Regie: Fritz Lang / Mit: Rudolf Klein-Rogge, Bernhard Goetzke, Aud Egede-Nissen, Gertrude Welcker, Paul Richter, Alfred Abel, Robert Forster-Larrinaga, Hans Adalbert Schlettow / Deutschland 1922 / 270 Minuten (Teil 1: 155 Minuten; Teil 2: 115 Minuten)
Bildquellen: Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden
No Comments