Eine junge Frau, eine traumatische Hintergrundgeschichte, ein einsames Landhaus: Alex Garlands «Men» wandert durch bekannte Horror-Gefilde. Thematisch sagt der Film der toxischen Männlichkeit den Kampf an – hat aber auch darüber nicht viel Neues zu sagen.
Harper Marlowe (Jessie Buckley) hat Schreckliches hinter sich, weswegen sie sich für ein paar Tage ins ländlich verschlafene Cotson zurückzieht. Was genau der jungen Frau widerfuhr, ist zu Beginn des Films nicht klar, sondern ergibt sich erst aus orange glühenden Rückblenden zu gewaltsamen Szenen mit ihrem Ehemann (Paapa Essiedu). Die Gegenwart ist satt-grün und still – doch weit nicht so beruhigend, wie Harper es sich gewünscht hätte: Auf einem einsamen Waldspaziergang trifft sie auf einen exhibitionistischen Obdachlosen, der ihr zu ihrem einsamen Landhaus folgt – die erste von mehreren verstörenden Begegnungen mit der lokalen Männerwelt, die unausweichlich auf eine blutige Horror-Klimax zusteuern.
Unbehagen kreieren Regisseur Alex Garland und Kameramann Rob Hardy zunächst aber aus der Landschaft – und das gekonnt: Der Beginn des Films lässt Harper einsam durch tropfende, blattgrüne Wälder ziehen und kreiert eine derart friedliche Oberfläche, dass das versierte Horror-Publikum nicht umhinkommt, atemlos die Schatten dahinter zu erahnen. Die wohl stärkste Szene von «Men» positioniert Harper singend vor einem verlassenen, hallenden Tunnel – und kontrastiert diesen einzigen Moment glücklicher, kreativer Entspannung mit dem inhärenten Unbehagen von Verlassenheit, Dunkelheit und dem Unbekannten. Licht und Schatten, ein dunkler Tunnel, der die kleine Silhouette regelrecht verschlingt, und endlose Echos: Garland weiss, wie man die Schauer-Schraube langsam und effektiv anzieht. Leider kommen in diesem Moment die gewichtigen Themen des Films ins Rollen, was nicht nur Harpers emotionale Heilung beendet, sondern auch «Men» schlagartig in weit weniger interessante Gefilde steuert.
«Garland weiss, wie man die Schauer-Schraube langsam und effektiv anzieht. Leider kommen in diesem Moment die gewichtigen Themen des Films ins Rollen, was nicht nur Harpers emotionale Heilung beendet, sondern auch ‹Men› schlagartig in weit weniger interessante Gefilde steuert.»
«Men» – der Titel von Garlands neuem Film ist Programm. Um Männer soll es gehen, pauschal und unspezifisch. Darum, wie sie Frauen das Leben schwer machen, Gewalt verüben, zu einer gesichtslosen, uniformen Kategorie verschmelzen. Um dieses Anliegen visuell zu transportieren, wird jeder Mann (mit Ausnahme von Harpers Ehepartner) von Rory Kinnear verkörpert: der nackte Obdachlose, der Harper verfolgt und sich Zutritt zum Ferienhaus verschaffen will; der herablassende Polizist, der ihre Ängste kleinredet; der grinsende Hausbesitzer, der sie vor «verbotenen Früchten» warnt; der paternalistische Pfarrer, der sie für den Tod ihres Partners verantwortlich macht und seine Hand zu lange auf ihrem Knie ruhen lässt; der rotzlöfflige Junge, der sie als «stupid bitch» beschimpft, als sie nicht mit ihm spielen möchte. Egal an welchen Mann Harper sich wendet: Jeder hat das gleiche Gesicht; keiner hat gute Absichten.
Visuell ist diese Herangehensweise effektiv: Kinnears Gesicht – mal mit Überbiss, mal blutig entstellt, mal mit silbernem Schopf – wird zur omnipräsenten Heimsuchung, vor der es kein Entrinnen gibt. Thematisch ergeben sich dadurch aber viele Fragezeichen: Garland erklärt die Kategorie «Mann» zum strukturellen Problem und jeden Akteur zur austauschbaren Facette, die sich endlos durch die Menschheitsgeschichte zieht. Als Freund von Metaphern und literarischen Anspielungen macht Garland Männlichkeit zum Echo, zur Maske, verknüpft sie mit der biblischen Ursünde, dem legendären Grünen Mann – einem Symbol der Wiedergeburt und der Erneuerung – und der Sheela na gig, einer Steinfigur mit riesiger, gespreizter Vulva. Seit Anbeginn der Zeit, so die Implikation, gebiert die Männlichkeit sich selbst: ein endloser Zyklus, scheinbar ohne Entkommen.
«Wenn Männlichkeit zur akteurlosen Repetition wird, die seit Anbeginn der Menschheit das gleiche Gesicht trägt, wen soll man dann zur Verantwortung ziehen? Welche gesellschaftlichen Strukturen könnten verändert werden, um diesem Fluch zu entkommen?»
Damit macht Garland es sich und der toxischen Männlichkeit etwas gar einfach: Indem das Problem von Individualität losgelöst und universalisiert wird, verliert es jede soziale Relevanz, denn solche ergibt sich nur aus Spezifität und aus einer nuancierten Handhabung der Thematik. Wenn Männlichkeit zur akteurlosen Repetition wird, die seit Anbeginn der Menschheit das gleiche Gesicht trägt, wen soll man dann zur Verantwortung ziehen? Welche gesellschaftlichen Strukturen könnten verändert werden, um diesem Fluch zu entkommen? Und sind Frauen wie Harper dazu verdammt, für alle Ewigkeit mit grossen Augen dem Unvermeidbaren beizuwohnen? Wollte man den Film auf eine These herunterbrechen, ginge diese nicht viel weiter als: «Männer waren und sind gewaltvoll zu Frauen». Verkehrt ist das nicht – aber erkenntnis- oder hilfreich eben auch nicht.
«Wollte man den Film auf eine These herunterbrechen, ginge diese nicht viel weiter als: ‹Männer waren und sind gewaltvoll zu Frauen›. Verkehrt ist das nicht – aber erkenntnis- oder hilfreich eben auch nicht.»
Das ist schade, hat Garland doch mit seinen letzten Filmen bewiesen, dass er auch die feineren Pinselstriche beherrscht: Während er mit «Annihilation» (2018) ein feinfühliges Trauer-Porträt mit Sci-Fi-Horror verwob und dazu eine Gruppe von individuellen, starken Frauenfiguren erschuf, war «Ex Machina» (2014) ein bestechender Eintrag in den Katalog der AI-Filme, der «Geschlecht» als Kategorie weitaus nuancierter dekonstruierte und als beständig wiederholte Performance enttarnte. Warum bei solcher Vorarbeit die Hauptfigur Harper ebenso charakterlos bleibt wie ihre universellen Peiniger und der Film sich sowohl Spezifität als auch Ambiguität verwehrt, ist rätselhaft und frustrierend. Was übrig bleibt, ist eine vielversprechende Prämisse und einiges an visuellem Potential, die derart verwässert werden, dass in der zweiten Hälfte des Films selbst die Horrorszenen im besten Fall langweilen, im schlimmsten Fall belustigen.
Über «Men» wird auch in Folge 47 des Maximum Cinema Filmpodcasts diskutiert.
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Kinostart Deutschschweiz: 21.7.2022
Filmfakten: «Men» / Regie: Alex Garland / Mit: Jessie Buckley, Rory Kinnear, Paapa Essiedu / Grossbritannien, USA / 100 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Ascot Elite
Alex Garland dekonstruiert in «Men» die Männlichkeit und ihre toxischen Facetten. Das Unterfangen ist löblich – die allzu simple Ausführung aber leider wenig erfolgreich.
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