Lange mussten die Fans von «Parasite» auf Bong Joon-hos Folgewerk warten. Jetzt ist es endlich da: Die Science-Fiction-Komödie «Mickey 17» ist zwar kein Meisterstück, demonstriert aber dennoch die vielen Qualitäten des südkoreanischen Regisseurs.
Wenn der internationale Mainstream-Erfolg über Filmschaffende hereinbricht, kann es schon einmal vorkommen, dass sie vor lauter Studioverlockungen und Publikumserwartungen ihre eigenen Stärken und Schwächen aus den Augen verlieren – insbesondere wenn sie über eine so markante, potenziell aneckende Handschrift verfügen wie Bong Joon-ho.
Doch «Mickey 17», der heiss erwartete neue Film des südkoreanischen Regisseurs hinter der vierfach oscarprämierten Satire-Sensation «Parasite» (2019), zerstreut derartige Sorgen spätestens dann, als seinem Protagonisten schon in der Anfangsviertelstunde in genüsslich trockener Slapstick-Manier eine Hand abgehackt wird. Denn das kann nur eines bedeuten: Bong ist wieder einmal in seinem Element.

Robert Pattinson in «Mickey 17» / © 2025 Warner Bros. Ent. All Rights Reserved.
Seine inhaltlich geerdeteren Filme – der düstere Krimi «Memories of Murder» (2003), das hinterlistige Mutter-Sohn-Drama «Mother» (2009) oder eben «Parasite» – mögen die grossen Lieblinge der Kritik sein; doch einer der Gründe, warum Bong einer der spannendsten Filmemacher*innen der Gegenwart ist, ist der ganz spezielle Charme seiner regelmässigen Ausflüge in überkandidelte Science-Fiction-Welten. Es ist dieser Modus, dem das Publikum die herrlich künstliche Zug-Dystopie «Snowpiercer» (2013), die unverhohlen schrullige Massentierhaltungsparabel «Okja» (2017) und natürlich das Genre-Meisterwerk «The Host» (2006) zu verdanken hat.
Und auch seine Adaption des Romans «Mickey7» (2022) von Edward Ashton spielt in einer überhöht gezeichneten, von geld- und machtgierigen Trotteln regierten Welt, in der eine hoffnungslos überforderte, nur bedingt heldenhafte Hauptfigur kopfüber in ein Abenteuer stolpert, das den Lauf der Geschichte nachhaltig verändern könnte.
«Einer der Gründe, warum Bong einer der spannendsten Filmemacher*innen der Gegenwart ist, ist der ganz spezielle Charme seiner regelmässigen Ausflüge in überkandidelte Science-Fiction-Welten.»
Wir schreiben das Jahr 2054, und Mickey Barnes (Robert Pattinson) und sein Kumpel Timo (Steven Yeun) wollen die Erde schnellstmöglich verlassen – nicht etwa wegen des Klimas, das um sie herum kollabiert, sondern weil sie einem blutrünstigen Mafioso sehr viel Geld schulden. Gemeinsam heuern sie auf dem Raumschiff des gescheiterten Politikers Kenneth Marshall (Mark Ruffalo) und seiner saucenversessenen Ehefrau Ylfa (Toni Collette) an, die auf dem Eisplaneten Niflheim eine Siedlung etablieren und führen wollen. Doch während der gerissene Timo einen Pilotenjob landet, fällt Mickey nichts Besseres ein, als ein «Expendable» zu werden – also Versuchskaninchen, Bergwerk-Kanarienvogel und Bauernopfer in einem. Eine gefährliche Reparatur steht an? Ein neues Medikament soll getestet werden? Eine ausserirdische Atmosphäre muss auf giftige Gase geprüft werden? Mickey ist zur Stelle. Wann immer er im Einsatz ums Leben kommt – was häufig passiert –, wird kurzerhand eine neue Version von ihm ausgedruckt, die da weitermacht, wo ihr abgemurkster Vorgänger aufgehört hat.
Dass dieses System, wie so vieles im Reich der aufgeblasenen Marshalls, nicht ganz idiotensicher ist, rächt sich nach der Ankunft auf Niflheim: Nicht nur bekommen es die Crewmitglieder, darunter auch Mickeys Freundin Nasha (Naomi Ackie), dort mit mysteriösen Käfer-Aliens zu tun; die inzwischen 17. Version von Mickey macht hier auch Bekanntschaft mit dem durchaus einleuchtenden Grund, warum das Menschendrucken auf der Erde verboten wurde.

Mark Ruffalo in «Mickey 17» / © 2025 Warner Bros. Ent. All Rights Reserved.
Wohlverstanden: Wer sich von Bongs neuestem Werk die bissige und nuancierte – wenn auch selten subtile – Gesellschaftssatire eines «Memories of Murder» oder eines «Parasite» erhofft, ist hier definitiv an der falschen Adresse. «Mickey 17» vermengt Versatzstücke aus Filmen wie «Snowpiercer», «Okja», «Starship Troopers» (1997), «Don’t Look Up» (2021) und «Nausicaä of the Valley of the Wind» (1984) zu einer relativ simplen Farce über spätkapitalistische Entmenschlichung und den amerikanischen Hurrapatriotismus in der Ära Trump.
Mickey steht stellvertretend für die Arbeiterklasse, die nicht über ihr eigenes Leben verfügt und voll und ganz der Willkür der wirtschaftlichen und politischen Elite ausgesetzt ist. Die Raumschiffbewohner*innen – inklusive die an ihren roten Baseballmützen erkennbaren Marshall-Superfans – bekommen faden, rigoros rationierten Kantinenfrass vorgesetzt, während sich Kenneth und Ylfa Marshall den Bauch mit allerlei Delikatessen vollschlagen, und werden darauf gedrillt, die Käfer von Niflheim als Feinde wahrzunehmen, die es um jeden Preis auszulöschen gilt.
«‹Mickey 17› ist ein ungemein unterhaltsames Stück Sci-Fi, in dem das karikiert dystopische Setting, Bongs schräger Sinn für Humor und sein sturer Optimismus wunderbar mitenander harmonieren.»
Und wenn Mark Ruffalo («Avengers: Endgame», «Poor Things») spricht, dann erinnern Mimik, Gestik und Diktion – die geschürzten Lippen, die bizarr theatralischen Fingerzeige, die gepresst formulierten Nonsens-Superlative – dermassen an Donald Trump, dass es schwierig ist, sich zu entscheiden, ob man es hier mit einer etwas übermotivierten Imitation seitens Ruffalos zu tun hat, oder ob die Figur Kenneth Marshall bewusst einem politischen Idol nacheifert.
An diesen gesellschaftskritischen Ansätzen ist sehr wenig sonderlich scharfsinnig, geschweige denn radikal, aber das fällt letztlich auch nicht allzu schwer ins Gewicht. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Satiriker*innen ist Bong zuallererst ein enorm begabter Geschichtenerzähler und Filmemacher, dessen Werke nicht primär um der didaktischen Botschaft willen existieren. So ist «Mickey 17» vor allem ein ungemein unterhaltsames Stück Sci-Fi, in dem das karikiert dystopische Setting, Bongs schräger Sinn für Humor und sein sturer Optimismus wunderbar mitenander harmonieren.

Naomi Ackie und Robert Pattinson in «Mickey 17» / © 2025 Warner Bros. Ent. All Rights Reserved.
Wie gut der Regisseur und Autor sein Handwerk beherrscht, zeigen indes nicht nur die vielen Momente des Slapstick und Wortwitzes, deren Effekt durch eine intelligente Kamerapositionierung oder Yang Jin-mos präzisen Schnitt noch verstärkt wird, sondern auch die Souveränität, mit der er das Publikum durch die stetig eskalierende, von assoziativen Rückblenden und erzählerischen Umwegen durchsetzte Handlung führt. Der Film beginnt in medias res, springt zurück, holt wieder auf, illustriert seine futuristischen Konzepte mit kuriosen Anekdoten, die nichts mit den Hauptfiguren zu tun haben, schlägt hier einen Plot-Haken, konfrontiert da seine Zuschauer*innen mit unerwartet aufrichtigem Pathos – und scheint generell, wie so oft bei Bong, darauf bedacht zu sein, sich alle 30 Minuten auf irgendeine Weise neu zu erfinden. Überfrachtet oder gar verwirrend ist das aber nie. Im Gegenteil: Der Umstand, dass «Mickey 17» im Grunde drei oder vier Filme in einem ist, macht das Ganze zu einem äusserst kurzweiligen Vergnügen.
Dazu trägt auch der gut aufgelegte Cast bei – nicht zuletzt Naomi Ackie («The End of the F***ing World», «Blink Twice») und Steven Yeun («Burning», «Minari»), deren Figuren Bongs Drehbuch etwas mehr Tiefe hätte zugestehen können, doch die mit ihren jeweiligen Performances Nasha und Timo dennoch zu einprägsamen Nebenfiguren zu machen.
«Das schauspielerische Highlight ist eindeutig Robert Pattinson, der hier erstmals im ganz grossen Stil sein schon lange erkennbares komödiantisches Talent ausspielen darf – und diese Chance optimal nutzt.»
Das schauspielerische Highlight ist aber eindeutig Robert Pattinson («Twilight», «The Lighthouse», «Tenet»), der hier erstmals im ganz grossen Stil sein schon lange erkennbares komödiantisches Talent ausspielen darf – und diese Chance optimal nutzt. Sei es seine scheinbar unmotiviert quäkende – und damit umso lustigere – Erzählstimme, die Hingabe, mit er immer wieder auf die Fresse fliegt, die immer absurderen Tode, die er sterben muss, oder seine Interaktionen mit den Käfern von Niflheim und seinem eigenen Doppelgänger: Wie Leonardo DiCaprio in «The Wolf of Wall Street» (2013) und Ryan Gosling in «The Nice Guys» (2016) und «Barbie» (2023) vor ihm brilliert Pattinson in der Rolle des trotteligen Spassmachers, der seine eigene Star-Persona genüsslich unterläuft.

Steven Yeun in «Mickey 17» / © 2025 Warner Bros. Ent. All Rights Reserved.
Aber unter all der populistischen Satire und dem mitreissenden, zum Schluss sogar überraschend anrührenden Weltraum-Schabernack steckt – wie könnte es in einem waschechten Science-Fiction-Film denn auch anders sein? – eben doch noch die eine oder andere eindringliche Frage, mit der das Publikum aus dem Kinosaal entlassen wird. Klone wie jene, die von Mickey Barnes angefertigt werden, sind längst ein alter Genre-Hut; doch «Mickey 17» nimmt sie sowohl als ethisches als auch als philosophisches Problem ernst. Sobald sich Mickey 17 und Mickey 18 gegenüberstehen, müssen sie sich mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass ein Erinnerungstransfer allein den Tod eines Mickeys nicht ungeschehen macht. Gibt es wirklich so etwas wie ein fixes, «wahres» Ich, obwohl Nasha sich daran erinnert, dass verschiedene Mickeys verschiedene Charaktereigenschaften hatten? Und wenn Mickey 17 voller Empörung feststellt, dass Nasha und Mickey 18 zugedröhnt miteinander schlafen wollen, dann weist das vor allem auf den mentalen Graben hin, der zwischen der Bewertung des eigenen Verhaltens und jenes anderer Leute klafft.
«Klone wie jene, die von Mickey Barnes angefertigt werden, sind längst ein alter Genre-Hut; doch ‹Mickey 17› nimmt sie sowohl als ethisches als auch als philosophisches Problem ernst.»
«Mickey 17» wird wahrscheinlich nicht als essenzieller Schritt in Bong Joon-hos Karriere in die Geschichte eingehen. Dazu ist die Satire zu plump und die Figurenzeichnung zu simpel. Doch um die Qualitäten eines Regisseurs oder einer Regisseurin abschätzen zu können, muss man neben ihren allseits bejubelten Meisterwerken auch ihre «geringfügigen», «unbedeutenden», «zweitrangingen» Filme in Betracht ziehen. Und wenn diese so unterhaltsam, virtuos inszeniert und unterschwellig intelligent wie «Mickey 17» sind, dann hat man es wohl mit einem Meister seines Fachs zu tun.
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Kinostart Deutschschweiz: 6.3.2025
Filmfakten: «Mickey 17» / Regie: Bong Joon-ho / Mit: Robert Pattinson, Naomi Ackie, Mark Ruffalo, Toni Collette, Steven Yeun, Holliday Grainger, Anamaria Vartolomei, Thomas Turgoose, Patsy Ferran / Südkorea, USA / 137 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © 2025 Warner Bros. Ent. All Rights Reserved.
Wer sich damit abfindet, dass «Mickey 17» kein «Parasite» ist, wird mit Bong Joon-hos unterhaltsamer Science-Fiction-Farce viel Spass haben können – auch dank eines herausragenden Robert Pattinson.
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