Man kennt Jonah Hill vor allem aus wilden Komödien wie «Superbad» (2007) und «21 Jump Street» (2012). Doch in seinem Regiedebüt, dem einfühlsamen Coming-of-Age-Drama «Mid90s», huldigt er den Pionieren des modernen amerikanischen Independent-Kinos.
Lange hat Jonah Hill auf seinen ersten eigenen Film hingearbeitet. Das Drehbuch zu «Mid90s», für das er sich von seiner eigenen Jugend als Skateboarder in Los Angeles inspirieren liess, lag offenbar schon geraume Zeit in seiner Schublade, bevor seitens der Produktionsfirma A24 («Moonlight», «Lady Bird») grünes Licht gegeben wurde. Auf dem Set von «The Wolf of Wall Street» (2013), für den Hill eine Oscarnomination als bester Nebendarsteller erhielt, liess er sich von Regie-Legende Martin Scorsese Tipps geben.
Doch es ist nicht Scorsese, der in der Geschichte des schüchternen 13-Jährigen Stevie (Sunny Suljic), der Mitte der Neunzigerjahre seine Leidenschaft fürs Skaten entdeckt, anklingt. Vielmehr tritt Hill in «Mid90s» in die Fussstapfen von Richard Linklater, Jim Jarmusch, Larry Clark und Harmony Korine (der sogar einen kurzen Gastauftritt hat): In Filmen wie «Slacker» (1990), «Night on Earth» (1991), «Kids» (1995) und «Gummo» (1997) verschafften diese Regisseure dem geneigten Publikum während des titelgebenden Jahrzehnts eigenwillige Einblicke in Milieus abseits des medial repräsentierten Mainstreams.
Wie seine Vorbilder verzichtet auch Hill auf eine klassische Dramaturgie und setzt stattdessen auf Authentizität und expressive Momente. Zwar bringt sich der Film so – mangels nennenswerter narrativer Bögen – ein wenig um die innere Stringenz, doch unterstützt von einer ungemein atmosphärischen und unübersehbar nostalgischen Neunzigerjahre-Ästhetik, weiss dieser Ansatz über weite Strecken dennoch zu überzeugen. Denn obwohl Stevie, der orientierungslose Fast-Teenager im Zentrum des Geschehens, kein sonderlich originelles oder einnehmendes Konstrukt ist, wartet Hills Drehbuch mit diversen anderen herausragend konzipierten Figuren und ausnahmslos lebensechten Dialogen auf.
Tatsächlich funktioniert «Mid90s» dann am besten, wenn er die zwischenmenschlichen Dynamiken seiner Protagonisten auslotet. Hier Stevies unfokussierte Rebellion gegen seine überforderte Mutter (Katherine Waterston) und seinen aggressiven Bruder (Lucas Hedges) – dort seine prägende Annäherung an die ihrerseits selber desillusionierten Skater Ray (grossartig: Na-Kel Smith), Fuckshit (Olan Prenatt), Ruben (Gio Galicia) und Fourth Grade (Ryder McLaughlin).
«Im Zusammenspiel der Figuren finden Hill und seine Darsteller zahlreiche berührende Szenen, die sich mosaikartig zu einem nachdenklichen Porträt junger Männlichkeit zusammenfügen.»
In diesem Zusammenspiel finden Hill und seine Darsteller zahlreiche berührende Szenen, die sich mosaikartig zu einem nachdenklichen Porträt junger Männlichkeit zusammenfügen: Sie zeigen, wie sich toxisch-hypermaskuline Verhaltensmuster aus familiärer Dysfunktionalität und sozialer Perspektivlosigkeit speisen, weisen aber zugleich darauf hin, wie Freundschaft und emotionale Ehrlichkeit diesen Mechanismen entgegenwirken können – und verleihen dem Film so eine Relevanz, die über reine Nostalgie hinausgeht.
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Kinostart Deutschschweiz: 18.4.2019 / Streambar auf cinefile.ch, Apple TV, Kino On Demand und im Sky Store.
Filmfakten: «Mid90s» / Regie: Jonah Hill / Mit: Sunny Suljic, Lucas Hedges, Katherine Waterston, Na-Kel Smith, Olan Prenatt, Gio Galicia, Ryder McLaughlin / USA / 85 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Filmcoopi Zürich AG
Erzählerisch zerreisst Jonah Hill in seinem Regiedebüt keine grossen Stricke, doch «Mid90s» überzeugt mit starker Figurenzeichnung und stimmiger Retro-Ästhetik.
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