Nach knapp einem Jahr Warten geht die Netflix-Serie «Mindhunter» um Kult-Regisseur David Fincher in die zweite Runde. Obwohl die Kriminalserie in der ersten Staffel bisweilen mit stilsicherer Federführung überzeugte, liess sie in Sachen Plot einiges zu wünschen übrig. Die Weiterführung bleibt sowohl den Stärken als auch den Schwächen treu.
Schon in der Titelsequenz von «Mindhunter» wird klar, dass es sich hier um keine gewöhnliche Krimiserie handelt. Mit analytischem Blick wird ein analoger Audiorekorder seziert: Die kalt beleuchteten Nahaufnahmen von Tonbandspule, Volumenpegler und Mikrofoneingang werden fortwährend von flackernden Einschüben von Leichenteilen unterbrochen. Die Botschaft ist unübersehbar: Hier geht es um die Aufzeichnung von Morden, nicht um die Tat selbst. Es sind die Dialogszenen und deren Analyse, die im Vordergrund stehen und es den FBI-Agenten Holden Ford (Jonathan Groff) und Bill Tench (Holt McCallany) erlauben, die Täter zu verstehen. Gleichzeitig werden die Leichenteile den Tonbandaufnahmen gleichgesetzt: Sie sind lediglich Informationsträger, die dazu dienen, Profile der Mörder zu erstellen.
«Auch wenn der überarbeitete Ansatz der Serie für mehr Nervenkitzel sorgt, verliert sie im gleichen Zuge ihre Originalität.»
Während sich die letzte Staffel mit der Aufarbeitung von Tatbeständen auseinandersetzte, sind Holden und Bill nun nicht mehr nur Gesprächspartner in Hochsicherheitsgefängnissen, sondern beraten auch laufende Ermittlungen. Auch wenn dieser überarbeitete Ansatz der Serie für mehr Nervenkitzel sorgt, verliert sie im gleichen Zuge ihre Originalität: Standen bislang die minutiös geskripteten und inszenierten Dialogszenen mit Massenmördern im Zentrum, wirkt «Mindhunter» durch diese Änderung nun konventioneller.
Zudem läuft die zweite Staffel Gefahr, Opfer der kulturellen Faszination mit Serienkiller zu werden. Nachdem die erste Staffel daran interessiert war, unbekannteren Mördern wie Edmund Kemper (Cameron Britton) auf den Zahn zu fühlen, wird nun der fast schon ikonische Charles Manson als Highlight inszeniert. Der Vergleich zu ««Once Upon a Time in Hollywood» (2019) liegt nahe, in dem Quentin Tarantino den Mythos des Schreckgespensts der späten 1960er Jahre dekonstruiert. In «Mindhunter» wird seine Präsenz – und Absenz – jedoch wenig genutzt und dient lediglich dazu, Holdens Faszination mit den Killern einmal mehr zu betonen.
«Das Hauptproblem aber bleibt das ungenutzte Potenzial der Serie, die sich scheinbar planlos entfaltet. So bleibt bis zum Ende unklar, worauf das Ganze hinaus will – oder kann.»
Das Hauptproblem aber bleibt das ungenutzte Potenzial der Serie, die sich scheinbar planlos entfaltet. So bleibt bis zum Ende unklar, worauf das Ganze hinaus will – oder kann. Mit neuen Handlungssträngen werden eine Vielzahl von Baustellen eröffnet, die als klaffende Löcher bestehen bleiben: Holden wird in Atlanta per Zufall in einen Fall um vermisste Kinder verwickelt und sieht sich erstmals mit der Existenz von strukturellem Rassismus konfrontiert. Gleichzeitig wird Bill zuhause von seiner Arbeit heimgesucht. Nachdem Holdens Freundin ohne jegliche Abdankung aus der Show herausgeschrieben wurde, wird nun der letzte weibliche Charakter, Dr. Wendy Carr (Anna Torv), praktisch links liegen gelassen und in einen halbgaren Nebenplot abgeschoben. Auch wenn diese Veränderungen anfänglich neue Möglichkeiten zu eröffnen scheinen, sind sie zutiefst unbefriedigend, weil sie letztendlich ins Leere laufen. Während Finchers Krimi-Epos «Zodiac» (2007) die Frustration seiner Protagonisten in einen pointierten Kommentar über die antiklimaktische Natur von realen Kriminalfällen münden liess, lässt die zweite Staffel von «Mindhunter» hauptsächlich das Publikum frustriert zurück.
–––
Jetzt auf Netflix Schweiz
Serienfakten: «Mindhunter» (2. Staffel) / Creator: Joe Penhall / Regie: David Fincher, Andrew Dominik, Carl Franklin / Mit: Jonathan Groff, Holt McCallany, Hannah Gross, Cotter Smith, Anna Torv, Stacey Roca, Michael Cerveris, Joe Tuttle, Lauren Glazier, Albert Jones, Sierra McClain, June Carryl / USA / 9 Episoden à 46–73 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Netflix
No Comments