Der Mond fällt auf die Erde, und helfen können nur zwei geschiedene Ex-Astronaut*innen und ein Internet-Verschwörungstheoretiker. Im herrlich stumpfsinnigen «Moonfall» weckt Katastrophenfilmexperte Roland Emmerich Erinnerungen an vergangene Blockbuster-Tage.
Die Erde steht mal wieder am Rande der Auslöschung. «Wahn-sinn», möchte man unbeeindruckt seufzen. Was ist es diesmal? Zombies? Ein Komet? Ein Komet und menschliche Inkompetenz? Ein violettes Alien mit genozidalen Ambitionen, das nur durch die vereinten Kräfte der grössten Superheld*innen des Multiversums gestoppt werden kann?
Nein, dieses Mal ist es der Mond, der seine Umlaufbahn verlassen hat, der Erde in einer buchstäblichen Todesspirale auf die Pelle rückt und nach drei Wochen Gravitationschaos auseinanderbrechen und als feuriger Meteorschauer alles Leben auf unserem blauen Planeten auslöschen wird. Der Grund? Ein mysteriöses Schwarmbewusstsein scheint den Erdtrabanten infiziert zu haben. Klingt strunzdumm, und ist es auch. Oder anders gesagt: Willkommen zurück, Roland Emmerich.
«Klingt strunzdumm, und ist es auch. Oder anders gesagt: Willkommen zurück, Roland Emmerich.»
Es war kein einfaches Jahrzehnt für ihn. Wie kaum eine andere Hollywood-Figur wurde der Spezialist für so anspruchslose, überwiegend inferiore Leinwand-Materialschlachten wie «Independence Day» (1996), «The Day After Tomorrow» (2004) oder «2012» (2009) von seiner eigenen Pionierleistung überholt: Digitale Spezialeffekte dominieren mittlerweile die Kinokassen und sind längst nichts Besonderes mehr. Wer sehen will, wie Wolkenkratzer und historische Wahrzeichen zu Bruch gehen, muss nicht auf Emmerichs nächsten esoterisch angehauchten Verschwörungstheorien-Remix warten, sondern kommt, dank aseptisch-kompetenter Fliessbandware von Marvel und Co., im Quartalstakt auf seine Kosten.
Entsprechend hat die einstige Strahlkraft des württembergischen Katastrophenfilmpapstes empfindlich nachgelassen. Die Zeit nach «2012» war geprägt von zutiefst fehlgeleiteten Ausflügen ins Drama-Fach («Anonymous», «Stonewall»), kommerziellen Enttäuschungen («White House Down», «Midway») und einem späten Sequel zu «Independence Day», das, so schien es, bereits wenige Wochen nach seinem Kinostart 2016 wieder aus dem kollektiven Popkultur-Gedächtnis verschwunden war. Kein Wunder, musste Emmerich auf drei Kontinenten für das 140-Millionen-Dollar-Budget von «Moonfall» weibeln gehen.
War es eine sinnvolle Investition, die amerikanisch-chinesisch-deutschen Gelder in die vielleicht teuerste Independent-Produktion aller Zeiten zu stecken, in der Regierungsinformationen grundsätzlich zu misstrauen ist, zugekiffte Verschwörungstheoretiker die wahren Wissenschaftler sind, Multimilliardär und Rechtstwitter-Troll Elon Musk zum Schutzheiligen hochstilisiert wird, und Halle Berry, Patrick Wilson und «Game of Thrones»-Alumnus John Bradley mit einer Low-Tech-Raumfähre den hohlen Mond erkunden?
Nun ja. Schund-Auteur Emmerich war noch nie der Alleroriginellste, und was er hier mit seinem altbekannten Drehbuchpartner und Hauskomponisten Harald Kloser («10,000 B.C.», «2012») fabriziert, ist nicht gerade eine Selbstneuerfindung: ein bisschen «Independence Day», ein bisschen «Stargate» (1994), dazu Patrick Wilson als geschiedener Draufgänger, Halle Berry als geschiedene Einsatzleiterin sowie jede Menge Familienmitglieder, die auf der Erde vor Sturzfluten, Gravitationswellen, Mondmeteoren und Hillbillys mit Maschinenpistolen fliehen müssen.
«Ein bisschen ‹Independence Day›, ein bisschen ‹Stargate›, dazu Patrick Wilson als geschiedener Draufgänger, Halle Berry als geschiedene Einsatzleiterin sowie jede Menge Familienmitglieder, die auf der Erde vor Sturzfluten, Gravitationswellen, Mondmeteoren und Hillbillys mit Maschinenpistolen fliehen müssen.»
Doch das ist letztlich auch irgendwie nebensächlich. Denn obwohl sich Emmerich, im Guten wie im Schlechten, wenig bis gar nicht verändert hat, spult er hier seinen üblichen Weltuntergangs-Mumpitz vor gänzlich anderen Vorzeichen ab. Konkurrierte er mit «Independence Day» auf dem Actionmarkt noch mit den weitaus besseren «Mission: Impossible» (1996) und «The Rock» (1996), misst er sich jetzt mit halbgarem, thematisch und formal anonymem Schrott wie «Red Notice» (2021). Sah selbst ein solider Film wie «The Day After Tomorrow» neben einem popkulturellen Event wie Sam Raimis «Spider-Man 2» (2004) ziemlich alt aus, scheint es vermessen, «Moonfall» für seine stereotypen Figuren allzu harsch zu kritisieren: Immerhin besteht die kritisch hochgelobte Nummer 1 an den Kinokassen 2021 hauptsächlich aus etablierten Figuren aus bestehenden Franchiseneinträgen, die einander in schlecht beleuchteten Räumen mit flachen Witzen berieseln.
In diesem Kontext wirkt eine absolut hirnverbrannte Zerstörungsorgie wie «Moonfall», in der praktisch jede einzelne Dialogzeile ein pathetisches Klischee jenseits der Grenze zur Selbstparodie ist, wie eine erfrischende Erinnerung daran, wie entspannend sinnentleert Blockbuster sein können. Hier werden Figuren nicht mit dem Ziel eingeführt, das Publikum mit schierem Wiedererkennungswert vom Hocker zu hauen. Hier werden, trotz seltsamem Cliffhanger-Ende, keine grossen Entscheidungen auf einen nächsten Teil vertagt. Hier fühlt sich niemand verpflichtet, Actionszenen in haarklein erklärter Pseudo-Physik zu verankern, um nicht «unlogisch» zu wirken: Ein Space Shuttle, das inmitten eines Tsunamis startet, sieht einfach cool aus – egal, wie blödsinnig das Szenario auch sein mag. Und dann wäre da noch der wunderbare dritte Akt, in dem «Moonfall» mit einer bewundernswerten Selbstverständlichkeit ein Feuerwerk von haarsträubenden Ideen und kosmischem Hokuspokus abbrennt.
«Die schiere Menge an ironielos vorgetragenem Unsinn sorgt ebenso für Unterhaltung wie das Bild eines gigantischen Mondes, der sich unheimlich funkelnd über den Horizont erhebt und mit seiner Anziehungskraft alles, was nicht niet- und nagelfest ist, in die Höhe katapultiert.»
Emmerich ist kein begnadeter Filmkünstler, doch er verfügt über eine nicht von der Hand zu weisende Grundkompetenz, die dafür sorgt, dass «Moonfall» seinen letztlich überschaubaren Ambitionen mühelos gerecht wird. Die schiere Menge an ironielos vorgetragenem Unsinn sorgt ebenso für Unterhaltung wie das Bild eines gigantischen Mondes, der sich unheimlich funkelnd über den Horizont erhebt und mit seiner Anziehungskraft alles, was nicht niet- und nagelfest ist, in die Höhe katapultiert, derweil ganze Berggipfel von fliegendem Mondgeröll pulverisiert werden. So ist das, was noch vor zehn Jahren unfassbar zynisch geklungen hätte, inzwischen ein durchaus ernst gemeinter Wunsch: Mehr Emmerich wäre gut fürs Blockbuster-Kino.
Über «Moonfall» wird auch in Folge 40 des Maximum Cinema Filmpodcasts diskutiert.
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Kinostart Deutschschweiz: 3.2.2022
Filmfakten: «Moonfall» / Regie: Roland Emmerich / Mit: Halle Berry, Patrick Wilson, John Bradley, Charlie Plummer, Michael Peña, Kelly Yu, Eme Ikwuakor, Donald Sutherland / USA, China, Deutschland / 130 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Ascot Elite
«Moonfall» ist Blödsinn – aber das ist nicht unbedingt schlecht. Der wunderbar unprätentiöse Film zeigt, wie unterhaltsam Blockbuster ausserhalb genormter Franchisen-Vorgaben sein können.
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