Barry Jenkins‘ «Moonlight» ist ein intimes Coming-of-Age-Drama und ein berührendes Plädoyer gegen die Pathologisierung schwarzer Männlichkeit. Ein wichtiges, zeitgemässes, monumentales Werk.
Eigentlich läuft es dem Anliegen dieses Films entgegen, seine Hauptfigur mit Trayvon Martin zu vergleichen, dem 17-jährigen Afroamerikaner, der 2012 in Sanford, Florida, vom Nachbarschaftswächter George Zimmerman unter nebulösen Umständen erschossen wurde. Es ist im Grunde eine reduktive Reaktion, entwachsen aus dem allzu weit verbreiteten weissen Impuls, nicht-weisse Menschen über einen Kamm zu scheren, anstatt sich der Einzigartigkeit des Individuums bewusst zu werden.
Barack Obama meinte, „wenn ich einen Sohn hätte, würde er wie Trayvon aussehen“.
Und doch lohnt es sich, wenigstens kurz eine Verbindung zwischen Martin und Chiron, Jenkins‘ Protagonisten, herzustellen. Martin wurde nach seinem Tod zum Spielball der Medien: Seine Schulakte wie auch sein digitaler Fussabdruck wurden seziert; gefunden wurden explizite Rap-Texte und frustrierte Tweets gegen seine High School – nichts, was man von einem Teenager nicht erwarten würde. Barack Obama meinte, „wenn ich einen Sohn hätte, würde er wie Trayvon aussehen“. Von rechts hagelte es Kritik, weil die publizierten Fotos den Teenager angeblich „zu unschuldig“ aussehen liessen. Das rassistisch konnotierte Wort „Thug“ machte die Runde. Zimmerman-Apologeten gaben Interviews zur besten Sendezeit. Es ist ein Lehrstück darüber, wie unangenehm Amerikas weissem Mainstream schwarze Männlichkeit immer noch ist. (Wer mehr darüber erfahren will, soll sich Ava DuVernays grossartige Netflix-Dokumentation „13th“ ansehen.)
An diesen Diskurs knüpft «Moonlight», der auf Tarell Alvin McCraneys Schauspielschulprojekt «In Moonlight Black Boys Look Blue» basiert, implizit an, angefangen mit seiner dreigeteilten Hauptfigur. Denn bevor Chiron Chiron wird, ist er „Little“ (Alex Hibbert), ein kleiner, schüchterner Junge, der beim Crackdealer Juan (grandios: Mahershala Ali) und dessen Freundin Teresa (Janelle Monáe) die elterliche Fürsorge findet, die ihm seine Mutter Paula (ebenfalls brillant: Naomie Harris) nicht geben kann.
Als Teenager entdeckt der schweigsame Chiron (Ashton Sanders) seine Homosexualität, hat aber weiterhin mit beträchtlichen Widerständen zu kämpfen: Paula ist den Drogen verfallen, derweil in der Schule der homophobe Schläger Terrel (Patrick Decile) lauert. Trotz der Unterstützung von Teresa und seinem besten Freund Kevin (Jharrel Jerome) führt er als Mittzwanziger „Black“ (Trevante Rhodes) ein Leben, das er sich so nicht ausgesucht hat.
In langen, von expressiven Dialogpausen durchsetzten Szenen konstruiert Jenkins ein komplexes Porträt von Chiron, der unter widrigsten Umständen versuchen muss, in einem Gewirr aus Erwartungen, Vorurteilen und Stereotypen eine eigene Identität zu formulieren. Doch obwohl dieses Dilemma voll und ganz ausgeleuchtet wird, verweigert sich der Film der melodramatischen Hoffnungslosigkeit. Vielmehr zelebriert er in wunderschön komponierten, von Nicholas Britells ausgezeichneter Musik vollendeten Einstellungen die Momente des Triumphs: den ersten Kuss, eine Schwimmlektion mit Juan, die Erkenntnis, dass man gewissen Menschen niemals fremd werden kann.
In langen, von expressiven Dialogpausen durchsetzten Szenen konstruiert Jenkins ein komplexes Porträt von Chiron, der unter widrigsten Umständen versuchen muss, in einem Gewirr aus Erwartungen, Vorurteilen und Stereotypen eine eigene Identität zu formulieren.
„Black Lives Matter“, lautet die Bürgerrechtsparole. „Black Lives Exist“, mahnt „Moonlight“ – und zwar in einer Vielfalt und emotionalen Tiefe, die Politik, Gesellschaft und Medien nur zu gerne zu Gunsten von einfachen Narrativen ignorieren.
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Kinostart Deutschschweiz: 9.3.2017
Filmfakten: „Moonlight“ / Regie: Barry Jenkins / Mit: Alex Hibbert, Ashton Sanders, Trevante Rhodes, Mahershala Ali, Naomie Harris, Janelle Monáe, Jaden Piner, Jharrel Jerome, André Holland / USA / 111 Minuten
Bild- und Trailerquelle: DCM
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