«Die Schweizermacher», Rolf Lyssys Einbürgerungskomödie aus dem Jahr 1978, ist einer der grössten Klassiker der Schweizer Filmgeschichte. Das weiss auch die Fichenskandal-Komödie «Moskau einfach!», die allzu tief in Lyssys Schuld steht.
Ein Staatsgewalt-Bünzli erhält den Auftrag, die aufmüpfige alternative Szene unter Kontrolle zu halten, findet dabei aber unerwartet Gefallen an dieser ihm bislang fremden Welt. Was wie eine Beschreibung von «Die Schweizermacher» klingt, in dem Emil Steinberger als Einbürgerungsbeamter Fischer eine am Zürcher Opernhaus tanzenden Aspirantin auf die Schweizer Staatsbürgerschaft unter die Lupe nimmt, trifft auch haargenau auf Micha Lewinskys neue Prestige-Farce «Moskau einfach!» zu.
Hier ermittelt Philippe Graber («Der Freund», «Mary & Johnny») als Polizei-Bürogummi Viktor Schuler verdeckt im Schauspielhaus, um 1989 – kurz vor dem Mauerfall – eine kommunistische Verschwörung aufzudecken. Aber natürlich kommt es, wie es kommen muss: So wie Emil sich in die observierte Frau Vakulic verliebte, verguckt sich Grabers Protagonist in die freigeistige Schauspielerin Odile (Miriam Stein), während der bornierte, kleinbürgerliche Vorgesetzte – Walo Lüönd bei Rolf Lyssy, Mike Müller bei Lewinsky – nur bedröppelt zuschauen kann. (Ob der Name von Viktor Schulers Alter Ego, dem schauspiellustigen Ex-Matrosen Walo Hubacher, eine subtile Verneigung vor Lüönd ist?)

Philippe Graber (im Jeanshemd) in «Moskau einfach!»
Die Affiche ist zweifellos vergnüglich. Graber erinnert als dauerüberforderter Viktor, der Schnurrbart und Bügelfalten gegen Jeans und Lederjacke eintauschen muss, angenehm an den Martin Freeman, den man in «The Office» (2001–2003) und «The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy» (2005) lieben gelernt hat. Lewinsky entfernt sich indessen wieder etwas vom bemühten Hintersinn eines «Nichts passiert» (2015) und konzentriert sich in seinem Drehbuch, das in Zusammenarbeit mit Plinio Bachmann («Der Verdingbub») und Barbara Sommer entstanden ist, auf die sanfte Verballhornung von Füdlibürgertum und solipsistischer Theaterwelt.
«Lewinsky konzentriert sich in seinem Drehbuch auf die sanfte Verballhornung von Füdlibürgertum und solipsistischer Theaterwelt.»
Doch glaubt man Trailer und Promotionsmaterial, dann setzt sich «Moskau einfach!» zumindest thematisch höhere Ziele als eine Gute-Laune-Komödie auf dem Niveau von Lewinskys «Die Standesbeamtin» (2009). Viktors wundersame Reise ins Reich von Shakespeare und Brecht spielt sich vor dem Hintergrund des Fichenskandals ab – der parlamentarischen Untersuchung, die enthüllte, dass die Kantons- und Bundesbehörden im Laufe des Kalten Krieges rund 900’000 Geheimakten über «politisch suspekte», überwiegend linksstehende Personen angelegt hatten.

Mike Müller in «Moskau einfach!»
Mit Ausnahme einiger vager Verweise auf die sich ausbreitenden Nachforschungen, einem späten Archivmaterial-Kurzauftritt des Kommissionsvorsitzenden Moritz Leuenberger sowie einer fichierten Nebenfigur wird der Film diesem Anspruch aber kaum gerecht. War «Die Schweizermacher» auch so etwas wie eine Aufarbeitung der helvetischen Kleingeistigkeit – acht Jahre nach der ausländerfeindlichen «Schwarzenbach-Initiative» –, sind der Fichenskandal und die damit verbundenen Fragen von Rechtsstaatlichkeit und ideologisch befangenen Behörden in «Moskau einfach!» wenig mehr als historische Staffage ohne erkennbare Dringlichkeit, überragt von amüsant-harmlosem Klamauk. Es scheint, als habe man vor lauter Liebe zu Lyssy vergessen, was diesen Film überhaupt erst zum Klassiker macht.
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Kinostart Deutschschweiz: 13.2.2020
Filmfakten: «Moskau einfach!» / Regie: Micha Lewinsky / Mit: Philippe Graber, Miriam Stein, Mike Müller, Michael Maertens, Oriana Schrage, Fabian Krüger / Schweiz / 99 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Vinca Film
«Moskau einfach!» ist eine amüsante, aber letztlich harmlose Komödie, die den Vergleich mit «Die Schweizermacher» geradezu herausfordert – und sich damit keinen Gefallen tut.
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